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Die schrecklich reiche Decathlon-Familie und ihr Russland-Dilemma

Die schrecklich reiche Decathlon-Familie und ihr Russland-Dilemma

Mit Decathlon, Auchan oder Leroy Merlin ist die diskrete französische Mulliez-Familie reich geworden. Ihre starke Präsenz in Russland wird zunehmend zum Problem, sie kann sich aber nur widerwillig zum Rückzug durchringen.
01.05.2022, 16:40
Stefan Brändle, Paris / ch media
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Geld ist nicht alles. Diese Erfahrung macht derzeit Mulliez, eines der grössten und rentabelsten Detailhandelsunternehmen der Welt, zurzeit in Russland. Seinen Namen kennt auch im Stammland Frankreich kaum jemand - obschon es heisst, zehn Prozent der täglichen Ausgaben aller Franzosen landeten in der Tasche der diskreten Besitzerfamilie. Mulliez betreibt unter anderem die Supermärkte Auchan, den Sportartikelanbieter Decathlon und die Bastelkette Leroy Merlin. Eine kolossale Unternehmung: 500'000 Mitarbeitende erwirtschaften rund 80 Milliarden Euro Jahresumsatz.

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Die Supermarktkette Auchan will ihre Filialen in Moskau nicht schliessen.Bild: keystone

Genaue Zahlen geben die Mulliez' nicht bekannt. Die Grossfamilie aus 800 Mitgliedern, 1923 aus einer kleinen Spinnerei in der armen nordfranzösischen Stadt Roubaix entstanden, ist nirgends kotiert, gemäss dem Leitspruch des Auchan-Gründers Gérard Mulliez (90), die Börsen seien der «Krebs dieser Welt».

Metro statt Lamborghini, Ibis statt Luxushotel

Die Unternehmensphilosophie der streng katholischen Familie beruht nicht auf einer Wall-Street-Bibel, sondern dem päpstlichen Sozialkodex. Die Mulliez sind steinreich, aber sie bewegen sich nicht im Lamborghini oder per Privatjet, sondern nehmen in Paris lieber die Metro. Auf Geschäftsreisen übernachten sie in Ibis-Hotels, und wenn sie sich einmal im Jahr zum festlichen Austausch treffen, kommen sie nicht in Anzug oder Jetset-Robe, sondern ungezwungen locker, wie die Nordfranzosen sind.

Bei der Jahresversammlung sind nur Familienangehörige zugelassen, die entweder von den zwölf Kindern des Firmenurvaters Louis Mulliez abstammen oder zugeheiratet haben. Alle besitzen gleich viele Anteile, und niemand würde sich erdreisten, damit bei mondänen Anlässen zu protzen. Nur der Gemeinsinn zählt. «Tous dans tout» oder eben «Alles gehört allen» lautet ein weiterer Leitspruch in diesem «Familienkommunismus», wie ihn ein Biograf einmal nannte.

Alle müssen ganz unten anfangen

Auchan-Gründer und Familienoberhaupt: Gérard Mulliez.
Auchan-Gründer und Familienoberhaupt: Gérard Mulliez.bild: getty

Oberste Maxime ist - quand-même - die kollektive Gewinnvermehrung, nicht der persönliche Erfolg. Bei den Mulliez müssen auch die Söhne und Töchter unten anfangen, zumeist mit einer Lehrstelle. Als Auchan-Direktor Gérard Mulliez vor ein paar Jahren seinen Sohn Arnaud als sein Nachfolger vorschlug, sagte die Familienversammlung schnöde Nein. Dafür ergänzten sie die Statuten, um Streit und Spaltungen der Grossfamilie zu verhindern.

Sohn und bekämpfter Erbe an der Spitze von Auchan: Arnaud Mulliez.
Sohn und bekämpfter Erbe an der Spitze von Auchan: Arnaud Mulliez.bild: getty

Vielleicht gehören die Mulliez deshalb zu den erfolgreichsten Retailern der Welt. Heute sind sie auch in Zusatzbranchen aktiv: Pharma, Finanz, Gartenbau, Kultur, Freizeitelektronik, Mode und Autounterhalt. Damit sind sie so breit aufgestellt, dass sie auch Covid-19-bedingte Rückschläge wie jüngst bei den Modeketten Pimkie und Orsay leicht wegstecken. Anfang Jahr hat das Unternehmen unter anderem seine Schweizer Pimkie-Filialen schliessen müssen.

Das Vermögen der «Association Familiale Mulliez» (AFM) wird auf 60 bis 70 Milliarden Euro geschätzt. Geschäftszahlen gibt es nur von der Sportartikelkette Decathlon: 913 Millionen Reingewinn bei einem Umsatz von 13.8 Milliarden Euro. Nicht schlecht für 1700 Läden von Deutschland bis China - die schon wieder mehr als vor der Covid-19-Zeit abwerfen. Unbekannt ist dagegen, wie viel die Supermärkte Auchan oder der Bau- und Bastelriese Leroy Merlin an Gewinn in die Familienkasse spülen.

>> Russland-Ukraine-Konflikt: Alle Entwicklungen im Liveticker

Das Russland-Problem

Wie auch immer, der Ukraine-Krieg macht der AFM nun einen Strich durch die Rechnung. Die Nordfranzosen hatten seit zwei Jahrzehnten massiv in Russland investiert. Leroy Merlin macht zum Beispiel in seinen 113 russischen Läden - mit 54'000 Mitarbeitenden - fast 20 Prozent seines Gesamtumsatzes.

Auch Auchan erwirtschaftet mit 231 Märkten und 30'000 Mitarbeitenden ein Umsatzzehntel in Russland. Nach langjährigen Problemen, nicht zuletzt mit der lokalen Korruption, hatte Auchan noch kurz vor Kriegsbeginn stolz verkündet, man habe «die Wende geschafft»: Im russischen Markt sei Auchan heute als Nummer vier etabliert. Die Kette der «hypermarchés» macht in Russland schätzungsweise 5 Milliarden Euro Umsatz - nach 20 Jahren Aufbauarbeit.

Verständlich, dass die Mulliez' nicht einfach aus dem Putin-Land abziehen wollen. «Die Entscheidung über die Fortführung unserer Aktivität in Russland fällt nicht leicht», liessen sie in einem ihrer seltenen Communiqués verlauten. «Wir können unsere russischen Equipen nicht für einen Krieg verurteilen, den sie nicht gesucht haben.» Ausserdem könnte eine auch nur vorläufige Schliessung als vorsätzlicher Bankrott ausgelegt werden, was zur Enteignung führen könnte, argumentierte Auchan.

Die «Sponsoren der Kriegsmaschine» Putins

Decathlon, in Osteuropa eine kleinere Nummer, hat seine 60 Läden mit 2500 Angestellten bis auf weiteres geschlossen. Bei seinen beiden Schwergewichten Auchan und Leroy Merlin können sich die Mulliez' aber nicht zum Abzug durchringen. Obwohl der Druck wächst. Ende März wurde ein Leroy-Merlin-Markt in Kiew womöglich unbeabsichtigt von einer Bombe getroffen. Vor dem französischen Parlament erklärte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski, einzelne Firmen benähmen sich «wie Sponsoren der Kriegsmaschine» Putins. Er erwähnte namentlich Auchan, Leroy Merlin und Renault. Wobei der Autohersteller Renault seine Tätigkeit in Russland mittlerweile eingestellt hat, ähnlich wie die französische Parfum-Kette Sephora oder das Luxushaus Hermès.

Der Bauriese Vinci, die Hotelgruppe Accor und der Foodkonzern Danone bleiben dagegen in Russland, weil sie, wie sie sagen, die Zivilbevölkerung nicht benachteiligen wollen. Der Energiekonzern Total stoppt immerhin seine Investitionen in Russland, und die Pariser Bank Société Générale will ihren Anteil an Rosbank verkaufen, wobei sie nach eigenen Angaben 3.1 Milliarden Euro ans Bein streichen muss.

Angestellte werden in Frankreich beschimpft

Am meisten haben aber die Mulliez' zu verlieren. Und nicht nur finanziell. Leroy-Merlin-Gewerkschafter berichten, auch in Frankreich würden Angestellte von Kunden als «Putins Komplizen» beschimpft, weil die Firma Leroy Merlin in Moskau bleibe und damit die Kriegskosten mitfinanziere.

Die Mulliez' sehen auch, dass dieser Zustand nicht ewig anhalten kann. Fürs Erste spielen sie auf Zeit, in der Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende. Danach sieht es aber nicht aus. Der «Familienverein» Mulliez steht vor dem schwersten Entscheid seiner fast hundertjährigen Firmengeschichte. (aargauerzeitung.ch)

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30 Kommentare
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Hosenabe
01.05.2022 16:52registriert März 2014
Also wenn die Grossfamilie 800 Mitglieder hat und das Vermögen 70 Milliarden beträgt sind das 87.5 Millionen pro Kopf, weil es gehört ja allen... Nicht, dass es wenig ist, aber da gibt es gewiss viele einzelne Personen, welche "schrecklich" reich sind im Vergleich...
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G.Oreb
01.05.2022 19:40registriert September 2014
“Sondern ungezwungen locker, wie die Nordfranzosen sind.”

Haha, Humor habt ihr 😅
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Pummelfee
01.05.2022 18:40registriert Mai 2020
„die Zivilgesellschaft nicht benachteiligen wollen“ ist doch einfach eine faule Ausrede, um nicht handeln zu müssen. Jeder, der die Geschäftsteilnahme in Russlabd unterlässt, macht Verluste. So ist das halt manchmal mit der Solidarität. Aber man muss sich jetzt einfach mal entscheiden, ob man Putin finanziell unterstützen will oder nicht.
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