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Nach Horror in russischer Gefangenschaft: Zwei Amerikaner erzählen

Zwei Amerikaner nach 3 Monaten russischer Gefangenschaft frei – das ist ihre Geschichte

Sie verliessen die Vereinigten Staaten, um in der Ukraine gegen Russland zu kämpfen. Bei ihrem ersten Einsatz gerieten sie jedoch in russische Gefangenschaft. Kürzlich freigekommen, erzählen sie nun vom Horror von 104 Tagen Gefängnis.
03.10.2022, 06:5303.10.2022, 13:05
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Es waren die Bilder von flüchtenden ukrainischen Familien, die Alex Drueke und Andy Tai Huynh zum Handeln bewogen hatten. Unabhängig voneinander beschlossen die beiden US-Amerikaner in die Ukraine zu reisen und sich dort der Internationalen Legion zur Verteidigung der Ukraine anzuschliessen.

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Alex Drueke und Andy Tai Huynh bei ihrer Ankunft in einem New Yorker Hotel am 23. September 2022. Bild: keystone

Sie ahnten nicht, dass dieser Einsatz in einer 104 Tage langen Gefangenschaft enden würde, in der sie sich zeitweise den Tod herbeiwünschten. In einem ersten ausführlichen Interview erzählten sie der Washington Post von ihren Erlebnissen.

Der Wille zum Kämpfen

Der 40-jährige Alex Drueke hatte bei Verwandten in Tuscaloosa, Alabama, gelebt, bevor er in den Ukrainekrieg zog. Er gilt seit seinem Einsatz im Irakkrieg als 100 Prozent kriegsversehrt und leidet unter posttraumatischem Stress. Der 27-jährige Andy Tai Huynh lebte mit seiner Verlobten ebenfalls im Bundesstaat Alabama, wo er das Community College besuchte und als Auslieferungsfahrer tätig war.

Am 8. April verliess er seine Heimat, um sich einer humanitären Gruppe in der Ukraine anzuschliessen. Nur vier Tage später trat Drueke seine Reise an. Er wollte die ukrainischen Streitkräfte mit seinen Erfahrungen aus dem Irakkrieg und seinen Kenntnissen über westliche Waffen unterstützen.

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Andy Tai Huynh und Alex Drueke.Bild: keystone

Wenige Tage später hatten sie bereits Verträge mit der Fremdenlegion in Lemberg, einer westukrainischen Stadt nahe der polnischen Grenze, unterzeichnet. Dort traten sie beide demselben Bataillon bei und wurden zur Ausbildung mit AK-74-Gewehren ausgerüstet. Beide erhielten Kriegsnamen: Aus Drueke wurde «Bama» – eine Hommage an seine Heimat Alabama, aus Huynh wurde «Hate». Eine Abkürzung seines Online-Gamer-Namens «Reaper of Hate». Der Name sei Satire, weil er eigentlich keine hasserfüllte Person sei, so Huynh.

Lange blieben sie nicht in diesem Bataillon. Unter dem Eindruck, ihre Fähigkeiten woanders besser einsetzen zu können, baten sie um die Entlassung aus dem unterzeichneten Vertrag. Anschliessend reisten sie per Bus und Zug durch das Land. Dabei trafen sie sich mit ukrainischen Militärs und informierten sich über mögliche Einsatzmöglichkeiten.

Schliesslich unterschrieben sie in Kiew einen Vertrag mit der «Task Force Baguette», einer Militäreinheit der Fremdenlegion, welcher viele französische, aber auch andere westliche Soldaten angehören. Sie erhielten einen ukrainischen Militärvertrag, der es ihnen erlaubte, länger im Land zu bleiben. Und zu kämpfen.

Ein verhängnisvoller Einsatz

Am 9. Juni starteten Drueke und Huynh ihren ersten und zugleich letzten Einsatz. Sie sollten mit Drohnen Ausschau nach russischen Truppen halten und dann Bericht erstatten. Doch auf dem Weg an den Zielort geriet ihre Einheit nahe Charkiw in einen Hinterhalt.

Drueke und Huynh wurden von den Russen in Gewahrsam genommen und nach Russland gebracht. In den folgenden Tagen seien ihre Augen fast konstant verbunden gewesen. Nur ganz kurz jeweils wurden ihnen die Augenbinden abgenommen. Dabei sahen sie, dass sie sich in einer Art «Zeltstadt» befanden. In jedem Zelt seien etwa sechs oder sieben Kriegsgefangene untergebracht worden, erzählt Huynh.

Dann begannen die Verhöre. Als US-Amerikaner hatten Drueke und Huynh bei den Russen einen schweren Stand. Was machten sie genau in der Ukraine? Die Russen glaubten ihnen nicht, dass sie tatsächlich Angehörige des ukrainischen Militärs waren. Stattdessen wurden sie ständig gefragt, ob sie zur CIA gehörten. Die «Wahrheit» wollten sie auf grausame Weise aus ihnen herauspressen. Stundenlang mussten sie beispielsweise auf allen Vieren knien. Bewegten sie sich, wurden sie geschlagen. Nachts wurden sie stundenlang auf den Beinen gehalten, um sie so vom Schlafen abzuhalten. Die Russen hätten ihre Mittel und Wege gehabt, um sicherzugehen, dass sie nicht logen, so Drueke. Zur New York Post sagt er:

«Jedes einzelne unserer Menschenrechte wurde verletzt.»

Noch mehr Horror im Gefangenenlager

Vier Tage später wurden sie mit Säcken über den Köpfen für den Transport in ein Gefangenenlager vorbereitet. Dabei wurde Drueke grob ins Auto geworfen, wo er mit Huynh zusammenprallte. Diesem entfuhr ein «Aua». Ausreichend für Drueke, um Huynhs Stimme zu erkennen. In dieser ausweglosen Situation sei es eine Erleichterung gewesen, diese bekannte Stimme zu hören, erinnert er sich. Die Reise führte sie in die ostukrainische Region Donezk, wo russische Separatisten die Macht an sich gerissen hatten.

Dort wurden die beiden wieder voneinander getrennt. Huynh verbrachte die ersten zwei Tage in Einzelhaft, Drueke musste gleich mehrere Wochen dort ausharren. Während dieser Zeit wurde er tagelang mit denselben bekannten Songs – unter anderem von Eminem und Rammstein – beschallt. Was beide auch immer wieder hörten, waren Schmerzensschreie. Ein Anzeichen dafür, dass Verhöre durchgeführt wurden. Auch sie selbst seien immer wieder «intensiv verhört» worden, wie Drueke es nannte.

Oftmals befürchtete er, dass Huynh getötet worden sei. Plötzlich aber trafen die beiden wieder aufeinander: in einem Schrank. Sie beide sollten Propagandaaussagen für das russische Fernsehen machen. Gefesselt und mit verbundenen Augen mussten sie gemeinsam im Schrank auf das Filmteam warten. Zum ersten Mal seit Wochen hätten sie da miteinander gesprochen, erzählt Drueke.

Dies wiederholte sich einige Male und so hätten er und Huynh jeweils kurz Zeit gehabt, sich einige Dinge zuzuflüstern. Zum Schluss wurden beide in eine gemeinsame Zelle verlegt, was ihnen diese Zeit trotz «dunkler Tage» etwas erleichterte.

Etwa vier Wochen später wurden die beiden wieder verlegt.

Der ungewisse Weg in die Freiheit

In ihrer nächsten Unterkunft wurden sie zwar vor körperlicher Folter verschont, wurden aber in miserablen Zuständen festgehalten. Huynhs Rücken wurde während dieser Zeit so von Bettwanzen zerfressen, dass er nun komplett von Narben übersät ist.

Dann wurde ihnen gesagt, dass sie bald nach Hause zurückkehren würden. Ein anderer Wachmann sagte ihnen allerdings ständig, dass sie nun wohl hingerichtet würden, was für Huynh und Drueke einer mentalen Folter gleichkam. Schliesslich wurden sie in ein Flugzeug verfrachtet. Zuvor wurden ihnen die Hände quälend eng mit Packband verbunden. Über den Kopf wurde ihnen ein Plastiksack gestülpt, der ebenfalls viel zu eng mit Packband fixiert wurde.

American Alex Drueke arrives at the TWA Hotel on Friday, Sept. 23, 2022 in New York. Drueke and Andy Huynh, two U.S. military veterans who disappeared three months ago while fighting Russia with Ukrai ...
Der eng fixierte Plastiksack über seinem Kopf hat bei Alex Drueke Spuren hinterlassen.Bild: keystone

Nach Monaten von Hinrichtungsdrohungen, körperlicher Folter, Einzelhaft und Nahrungsentzug war es diese 24-stündige Reise ins Ungewisse, die Drueke an seine Grenzen brachte.

Es sei einer der schlimmsten Momente gewesen, wie er gegenüber der «Washington Times» sagte:

«Ich habe oft gemerkt, dass ich sterben könnte, dass ich dem Tod nahe war oder dass ich wahrscheinlich sterben würde. Aber das war das einzige Mal, dass ich tatsächlich um den Tod gebetet habe.»

Genauer ausführen wollte er die Details der Reise nicht. Vieles dürfen Drueke und Huynh aus Sicherheitsgründen noch nicht erzählen.

In Freiheit

Am 21. September schnupperten sie mit der Landung in der saudischen Hauptstadt Riad wieder Freiheit. Diese hatten sie Saudi-Arabien zu verdanken, welches im Gefangenenaustausch als Vermittlerin fungierte. Fünf Tage später waren sie zurück in ihrer Heimat in Alabama, wo es zu einem emotionalen Wiedersehen mit Freunden und Familie kam:

Noch immer werden beide Männer medizinisch betreut. Ihr Ziel ist es nun, der US-Regierung von ihren Erfahrungen mit Putins Streitkräften zu berichten. Sie hätten eine zweite Chance auf ein Leben bekommen, so Drueke. Mit der richtigen Verarbeitung ihrer Erfahrungen können sie der Welt viel geben, ist er überzeugt. Keiner der beiden bereut den Einsatz.

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54 Kommentare
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Lisamarie
03.10.2022 07:42registriert März 2022
Was man glaub ich wirklich nicht vergessen darf ist wie stark die Angehörigen in dieser Zeit auch gelitten haben..
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Heinzbond
03.10.2022 07:45registriert Dezember 2018
Warum schreibt man als Autor immer noch Lemberg? Die Stadt heist jetzt Lwiw, die Generation die es noch und er dem deutschen Namen kannte liest in der Mehrheit bestimmt nicht watson oder Washington Post... Ich sage doch auch nicht das ich täglich nach turicum pendel oder in lugdunum Urlaub mache...
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bOvistl
03.10.2022 08:51registriert Mai 2021
„keiner der beiden bereut den Einsatz“
- welch starkes Schlusswort, nach dem ganzen Leid, das im Artikel beschrieben und angedeutet wird.
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