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Ukraine

Putins Arsenal des Schreckens: Das ist die Atom-Waffenkammer des Kremls

FILE - In this image made from video released by the Russian Presidential Press Service, Russian President Vladimir Putin addressees the nation in Moscow, Russia, on Feb. 24, 2022. (Russian Presidenti ...
Wladimir Putin droht der Ukraine mit dem Einsatz von Atomwaffen. Bild: keystone

Putins Arsenal des Schreckens: Ein Blick in die Atom-Waffenkammer des Kremls

Wladimir Putin droht der Ukraine mit dem Einsatz von Atomwaffen. Doch mit welchen Waffen könnte er seine Drohung wahr machen? Ein Blick in die Waffenkammer des Kremls.
03.10.2022, 04:2103.10.2022, 13:38
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Ein Artikel von
t-online

Mit der Annexion der besetzen ukrainischen Gebiete bekommt die atomare Drohkulisse des Kremls eine neue Dimension. In der perfiden Logik der russischen Führung gilt ab jetzt jeder weitere Vorstoss der Ukrainer als Angriff auf russisches Territorium – und damit als möglicher Vorwand für den Einsatz von Nuklearwaffen. Dabei würde Kriegsherr Putin seine Drohung vermutlich mit taktischen Atomwaffen in die Tat umsetzen.

Diese haben im Gegensatz zu strategischen Atomwaffen eine deutlich geringere Sprengkraft. Als strategische Atomwaffen gelten Sprengköpfe mit einer Detonationskraft von 100 Kilotonnen TNT bis hin zu mehreren Megatonnen. Zum Vergleich: Die Bombe, die 1945 Hiroshima zerstörte, hatte eine Sprengkraft von 15 Kilotonnen. Die Sprengkraft moderner taktischer Atomwaffen variiert stark und kann sogar noch deutlich unter jener der Hiroshima-Bombe liegen. Das macht sie allerdings nicht weniger gefährlich – im Gegenteil.

Russland hat fast 2000 taktische Sprengköpfe

Während strategische Atomwaffen der Logik der wechselseitigen Zerstörung unterliegen und damit «nur» der Abschreckung eines Gegners dienen, führt der Einsatz von taktischen Atomwaffen nicht zwangsläufig zu einem unbegrenzten atomaren Schlagabtausch.

Unter Militärs gelten taktische Sprengköpfe in einem begrenzten Szenario daher als «einsetzbar». Dieser Logik könnte auch Putin folgen, zumal die russische Atomdoktrin das Prinzip der «Eskalation zum Zwecke der Deeskalation» vorsieht – also den Gegner durch einen überwältigenden Schlag zur Aufgabe zu zwingen.

FILE - In this photo taken from video provided by the Russian Defense Ministry Press Service on Tuesday, Jan. 25, 2022, The Russian army's Iskander missile launchers take positions during drills  ...
Eine mobile Iskander-Abschussrampe: Damit könnte Russland theoretisch auch Atomwaffen abfeuern.Bild: keystone

Russland verfügt über das grösste Atomwaffenarsenal der Welt, auch im taktischen Bereich. Während die Nato-Armeen ihre taktischen Bestände bis auf wenige Ausnahmen wie die im Fliegerhorst Büchel gelagerten B61-Bomben abgeschafft haben, hat Russland sein taktisches Arsenal bis heute weitgehend aufrechterhalten. US-Forscher vom «Bulletin of the Atomic Scientists» schätzen die Zahl taktischer Sprengköpfe in russischen Arsenalen zurzeit auf mindestens 1'912 Stück, die meisten davon unter Kontrolle der Marine und der Luftwaffe.

Beachtlich sind auch die Möglichkeiten Russlands, diese Sprengköpfe ans Ziel zu bringen:

  • Atom-U-Boote vom Typ Projekt 885 Jasen: Bei dem Schiff handelt es sich um eine Neuentwicklung der russischen Marine, das erste Exemplar lief erst 2015 vom Stapel. Nach Informationen der US-Regierung kann es nuklear bestückte Marschflugkörper vom Typ Kalibr bis zu 2'500 Kilometer auf Bodenziele abfeuern.
  • Mittelstreckenbomber wie die Tupolew Tu-22M, die Suchoi Su-24 oder die MiG-31K sind in der Lage, nuklear bestückte Marschflugkörper aus der Luft abzufeuern. In diese Kategorie gehört auch die Kinshal genannte Hyperschallrakete, die Russland im Krieg gegen die Ukraine schon mehrfach eingesetzt haben will – allerdings mit konventionellem Sprengstoff bestückt.
  • Die 2S7M Malka ist das grösste Artilleriegeschütz der Welt und verschiesst auch Atomgranaten. Mit konventioneller Munition setzt Russland die Waffe schon gegen die Ukraine ein. Die Kanone vom Kaliber 203 Millimeter hat eine Reichweite von bis zu 55 Kilometern.
  • Mittelstreckenraketenwerfer vom Typ Iskander-M: Die mobile Abschussrampe kann Raketen mit einer Reichweite von 500 Kilometern und Marschflugkörper mit einer Reichweite von 1'500 Kilometern abfeuern – sowohl nuklear als auch konventionell bestückt. Iskander-M sind auch in der russischen Exklave Kaliningrad stationiert, von wo sie auch Berlin, Warschau oder Kopenhagen erreichen könnten.

Putin dürfte auf psychologische Wirkung setzen

Entwickelt wurden taktische Atomwaffen während des Kalten Krieges, um Truppenansammlungen, Panzerverbände, Kommandozentralen oder unterirdische Bunker zu zerstören. Ihren vermeintlichen militärischen Nutzen hält der Atomwaffen- und Abrüstungsexperte Pavel Podvig allerdings für vorgeschoben: «Das Gerede von begrenzten Atomwaffeneinsätzen dient nur dazu, die Existenz dieser Waffen irgendwie zu rechtfertigen», sagte Podvig Euronews. «Aber bei diesen Waffen geht es nicht um militärische Ziele, es geht darum zu demonstrieren, dass man bereit ist, sie einzusetzen und dabei unzählige Zivilisten zu töten.»

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Auch wenn die Sprengkraft taktischer Atomwaffen geringer ist als die strategischer, ist ihre Wirkung immer noch verheerend. Selbst kleine Sprengköpfe erzeugen einen Atompilz, nuklearen Fallout und setzen alles in der Umgebung in Brand. Kriegsherr Putin dürfte beim Einsatz von Atomwaffen aber vor allem auf die psychologische Wirkung spekulieren: Er will die Widerstandskraft der Ukrainer brechen und die westlichen Verbündeten Kiews von weiteren Waffenlieferungen abbringen. Laut Pavel Podvig steht dieses Szenario aber nicht unmittelbar bevor.

«Sprengköpfe sind alle noch im Lager»

«Abgesehen von Interkontinental- und U-Boot-gestützten Raketen sind Atomwaffen nicht direkt einsatzbereit: Noch wurde keine Bombe an ein Flugzeug gehängt, kein Sprengkopf auf eine Rakete montiert, und es fahren auch keine Iskander-Abschussrampen mit Atomsprengköpfen herum. Die sind alle noch im Lager, und die USA sehen bislang auch keine Hinweise auf die Vorbereitung eines Atomwaffeneinsatzes in Russland», schreibt Podvig auf Twitter.

«Diese Waffen müssen aus Bunkern geholt, auf Lkw geladen, an einen bestimmten Ort gefahren und 'scharf gestellt' werden. Diese Abläufe sind sichtbar und wurden von der Nato schon bei vielen Übungen beobachtet.» Zwar sei es denkbar, dass die russische Armee Sprengköpfe aus einem Lager «herausschmuggelt», so Podvig: «Allerdings könnten die Russen nie sicher sein, dass sie nicht doch entdeckt werden. Ausserdem hätten sie überhaupt keinen Grund, diese Aktivitäten zu verstecken: Wenn sie das Signal senden wollen, dass sie bereit zur Eskalation sind, dann wollen sie beim Verladen der Waffen gesehen werden».

Hoffnung auf eine Entspannung der Lage macht auch eine Meldung aus Moskau, die unter dem Säbelrasseln der vergangenen Tage leicht unterging. So berichtete die russische Nachrichtenagentur Interfax am Donnerstag, dass Russland und die USA über die Wiederaufnahme der gegenseitigen Atominspektionen im Rahmen der START-Abrüstungsverträge verhandeln. Die Inspektionen waren im März 2020 wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt worden. Der New START-Vertrag von 2011 sieht die weitere Reduzierung der strategischen Atomarsenale beider Seiten vor. (t-online, mk)

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52 Kommentare
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Ilovepies
03.10.2022 09:29registriert Februar 2015
Liebe Medien. Beginnt jetzt bitte nicht Ängste zu schüren. Das ist es doch genau, was Putin will. Die mediale Berichterstattung über atomare Auslöschung etc. gehört zu der Kriegsführung.
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Callao
03.10.2022 06:32registriert April 2020
Verständnisfrage: ist belegt, dass die genannte Anzahl taktischer Sprengköpfe als solche tatsächlich existieren? Oder könnte das Ganze (oder ein Teil davon eventuell) nur Bluff sein? So wie der ganze Zustand des russischen Militärs?
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butlerparker
03.10.2022 05:28registriert März 2022
Die Frage ist doch, wo genau eine solche Bombe überhaupt gezündet werden kann.

Denn zu weit östlich, könnte RUS stark betroffen sein. Zu weit westlich würde, wenn die Strahlung NATO Gebiet erreichen würde, sicherlich die NATO das als einen Angriff werten und Artikel 5 ziehen.

Man sieht so einfach "ich setz jetzt mal Atombomben ein“, ist die Sache nicht.
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