Wladimir Putin hat heisse Ware im Angebot: Öl. Der Rohstoff steht für einen der bedeutendsten Wirtschaftssektoren des Kreml-Imperiums. Bis Putin seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine startete, war sein Land die drittgrösste Ölfördernation der Welt und der zweitgrösste Exporteur von Öl. Allein die Hälfte der russischen Ölexporte gingen in die EU. Spätestens seit dem Teil-Embargo gegen russisches Öl ist es damit vorbei.
Der Despot im Kreml suchte nach neuen Abnehmern für seinen Stoff. Fündig wurde er unter anderem in Indien. Dort ist mit Narendra Modi ein beinharter Nationalist an der Macht, der sich Moskau gegenüber seit Beginn des Krieges in der Ukraine neutral verhält. Modi gilt als selbstbewusster Pragmatiker, der von wertegeleiteter Aussenpolitik so weit entfernt ist wie Putin von einem Rückzug aus seinem Nachbarland.
Kein Wunder, dass die beiden sich nun bei Modis Besuch in Moskau bestens verstanden haben. In einer von Putins zahlreichen Staatsresidenzen im Grüngürtel der russischen Hauptstadt trafen sie sich zu einem informellen Arbeitstreffen, wie es offiziell hiess. Putin umarmte den Inder demonstrativ und begrüsste ihn überschwänglich: «Du bist hier sehr willkommen, mein Freund. Ich bin glücklich, Dich zu sehen.»
all smiles on modi’s trip to moscow
— ian bremmer (@ianbremmer) July 8, 2024
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Glücklich dürfte der Besuch Modis in Moskau auch den russischen Finanzminister machen. Denn nach Angaben der russischen Regierung ist Indien inzwischen zum grössten Abnehmer von Putins Öl aufgestiegen.
«Indien ist der wichtigste Markt und zum heutigen Tag ist Indien für uns im Energiesektor einer der Schlüsselpartner», sagte Russlands Vizeregierungschef Alexander Nowak der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Seinen Angaben nach hat Russland im vergangenen Jahr 90 Millionen Tonnen Öl nach Indien geliefert. «Das entspricht 40 Prozent des Gesamtbedarfs von Indien.» Die Lieferungen hätten sich damit gegenüber 2022 verdoppelt.
Damit ist das Riesenreich Indien einer der wichtigsten strategischen Partner für den Kriegstreiber Putin. Der 71-jährige Machthaber kann seine Kriegswirtschaft inzwischen auch deswegen am Laufen halten, weil er mit Nordkorea, China, dem Iran und Indien potente Bündnispartner an seiner Seite hat, die ihn stützen.
Im Rahmen des zweitägigen Besuchs von Modi in Putins Residenz in Nowo-Ogarjowo und im Kreml besprachen beide Staatschefs sogar einen Ausbau der wirtschaftlichen Kooperation. Indien und Russland verbinde eine «privilegierte strategische Partnerschaft», sagte Putin bei dem Treffen. Der Handel zwischen beiden Nationen sei im vergangenen Jahr um 60 Prozent gestiegen.
Die bilateralen Beziehungen sind nicht nur deswegen so gut, weil da offenbar eine Männerfreundschaft zwischen Autokraten gewachsen ist (das Stockholmer Friedensforschungsinstitut nannte Modi kürzlich einen «Bilderbuch-Autokraten mit totalitärem Anspruch»). Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind auch historisch begründet.
Allerdings praktiziert Modi eine Art Schaukelpolitik: Ebenso gute Beziehungen wie zu Russland unterhält er auch zum Westen. Er will von beiden politischen Blöcken profitieren und Indien zugleich als neue globale Grossmacht positionieren.
«Indien wird als starke Säule der neuen, entstehenden, multipolaren Weltordnung angesehen», betonte Modi. «Wenn Indien über Frieden, Dialog und Diplomatie spricht, hört die ganze Welt zu. Wann immer die Welt mit einer Krise konfrontiert ist, ist Indien das erste Land, das dort ankommt.» Für Modi war es die erste Auslandsreise seit seiner Wiederwahl als Premierminister Anfang Juni. Auch das gilt als ein deutliches Zeichen, wo die Prioritäten in Neu-Delhi derzeit liegen.
Und so nimmt Indien im Ukraine-Krieg eine konsequent pragmatische Haltung ein: Modi ruft zu einer diplomatischen Lösung auf, verurteilt Putins Angriffskrieg aber nicht und beteiligt sich auch nicht an Sanktionen, wie es die EU, die USA und andere westliche Staaten tun. Im Gegenteil: Weil russisches Öl wegen westlicher Sanktionen billig ist, kauft Indien den Rohstoff in grossen Mengen.
Aber nicht nur das. In einer gemeinsamen Erklärung nach den Gesprächen hiess es, die beiden Länder wollten auch bei Militärtechnologien noch intensiver als bisher kooperieren. Die gemeinsame Produktion von Ersatzteilen russischer Waffen und Verteidigungsausrüstung in Indien soll demnach gefördert werden. Obwohl die Mehrheit indischer Militärausrüstung aus Russland stammt, ging der Anteil russischer Waffenimporte zuletzt zurück. Indien setzte stattdessen mehr auf Einkäufe aus den USA, Israel und Frankreich. Russland und Indien wollen der Erklärung zufolge ausserdem ihren bilateralen Handel ausbauen – möglichst auf ein Volumen von 100 Milliarden US-Dollar bis 2030.
So könnte Modi für den Kremlherrscher sogar zum wichtigsten strategischen Partner werden. Wirtschaftlich, militärisch und auch diplomatisch. Entsprechend aufwendig inszenierte die russische Propaganda den Besuch. In einem Elektromobil fuhr Putin den BJP-Vorsitzenden über das Gelände seiner pompösen Residenz in Nowo-Ogarjowo – eine von vielen dieser Art, die der russische Alleinherrscher unterhält. Putin zeigte dem hochrangigen Besucher den Komplex samt eigenem Hospital, Eishockeystadion und Pferdefarm. Im Anschluss an die dreistündigen Gespräche ging es dann noch zu einer Pferdeshow.
Während Putin seine eigene Show abzog, bombardierten seine Militärs weiter ukrainische Städte, unter anderem ein Kinderkrankenhaus in Kiew, der laut UN-Untersuchungen durch einen russischen Marschflugkörper des Typs Kh-101 verursacht worden sein soll. Bei den Angriffen kamen 43 Menschen ums Leben, mehr als 200 wurden verletzt.
«Es ist eine grosse Enttäuschung und ein Tiefschlag für Friedensbemühungen zu sehen, dass der Führer der weltweit grössten Demokratie den blutigsten Kriminellen der Welt an einem solchen Tag in Moskau umarmt», schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf X. In den sozialen Netzwerken in Indien wurde Modi hingegen in Schutz genommen. Die meisten Inder feiern ihren Premierminister dafür, dass er die Interessen seines Landes in Moskau vertrete. Und das heisst: dass er Indien billiges Öl besorgt.
Hier zeigt sich schön, wie rücksichtslos die Reichen ihren Luxus durchsetzen und glauben dass sie, kraft ihres Reichtums, die Folgen an die ärmere Bevölkerung abschieben können.
Bisher klappt das hervorragend. Aber nicht nur beim Klima gibt es Kipppunkte …