Der Kritiker der russischen Führung, Alexej Nawalny, ist tot. Das teilte die Gefängnisverwaltung des nordrussischen Gebietes Jamal am Freitag mit. Am Samstagmorgen hat auch das Team des inhaftierten Kremlgegners dessen Tod bestätigt. Das teilte Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch am Samstag bei X unter Berufung auf Nawalnys Mutter mit. Sie war in das Straflager im Norden Russlands gereist und habe dort die Nachricht über den Tod ihres Sohnes erhalten.
Was wir wissen:
Nach Angaben des Strafvollzugsdiensts wurde Nawalny am 16. Februar nach einem Spaziergang krank, woraufhin er das Bewusstsein verlor. Das medizinische Personal der Strafkolonie sei schnell vor Ort gewesen. «Es wurden alle notwendigen Wiederbelebungsmassnahmen durchgeführt, die jedoch keine positiven Ergebnisse brachten.»
Die Notärzte hätten schliesslich den Tod Nawalnys festgestellt. Die Todesursachen würde derzeit ermittelt, teilte der Strafvollzugsdienst in einer Erklärung mit. Gemäss der russischen Nachrichtenagentur Tass wurde Präsident Wladimir Putin vom Tod Nawalnys informiert.
⚡️Peskov indirectly confirms the death of the Russian opposition leader Alexey Navalny in prison. pic.twitter.com/Ebk4RszGlI
— WarTranslated (Dmitri) (@wartranslated) February 16, 2024
Der russische Propagandakanal RT verbreitete kurz nach den ersten Berichten über Nawalnys Tod die Theorie, dass der 47-Jährige an einem losgelösten Blutgerinnsel gestorben sei. Alexander Polupan, der Nawalny nach seiner Novitschok-Vergiftung untersuchte, hält dies allerdings für unwahrscheinlich. Denn für eine solche Erkenntnis wäre eine Autopsie nötig – die bisher nicht stattgefunden habe, sagt er zum kremlkritischen russischen Newsportal Meduza.
Das Team von Nawalny bestätigte seinen Tod am Samstagmorgen. Seine Sprecherin Kira Jarmisch schreib auf Twitter:
Alexey Navalny was murdered. His death occurred on February 16 at 2:17 p.m. local time, according to the official message to Alexey’s mother.
— Кира Ярмыш (@Kira_Yarmysh) February 17, 2024
An employee of the colony said that the body of Navalny is now in Salekhard. It was picked up by investigators from the IC. Now they are…
Seine Leiche befinde sich laut eines Mitarbeitenden der Kolonie in Salechard, wo nun Abklärungen stattfinden würden, schreibt Jarmyisch weiter. Sie fordert die sofortige Übergabe von Nawalnys Leichnam an seine Familie.
Am Freitagabend stand die Bestätigung seines Todes noch immer aus: «Wir verstehen, dass es höchstwahrscheinlich so passiert ist, dass Alexej Nawalny getötet wurde. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit», sagte der im Exil lebende Direktor von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung, Iwan Schdanow, während einer Liveschalte auf Youtube.
The Federal Penitentiary Service of Russia in the Yamalo-Nenets Autonomous Okrug is spreading the news of Alexey Navalny's death in IK-3. We have no confirmation of this yet. Alexey's lawyer is currently on his way to Kharp. As soon as we have some information, we will report on…
— Кира Ярмыш (@Kira_Yarmysh) February 16, 2024
«Wir werden euch keine Lügen erzählen darüber, dass es irgendeine Hoffnung gibt, dass sich morgen herausstellt, dass das nicht wahr ist», sagte der bekannte Nawalny-Unterstützer. «Eine solche Chance ist geringfügig.» Schdanow fügte hinzu:
Am Freitag betonte Sprecherin Jarmysch noch, dass das Team nach wie vor keine eigene Bestätigung für den Tod Nawalnys habe. Ein Anwalt sei gemeinsam mit Verwandten auf dem Weg zum Straflager im hohen Norden Russlands, werde dort aber voraussichtlich erst am Samstagmorgen eintreffen. «Bis zu diesem Moment können wir keine Bestätigung bekommen. Deshalb können wir die Berichte all der Kreml-Nachrichtenagenturen darüber, dass Nawalny tot ist, offiziell nicht bestätigen oder dementieren.»
Sein Anwalt Leonid Solowjow sagte der kremlkritischen Zeitung «Nowaja Gaseta» zunächst: «Auf Entscheidung von Alexej Nawalnys Familie kommentiere ich überhaupt nichts.»
Schon im vergangenen Dezember war der als politischer Gefangener eingestufte Politiker über mehrere Wochen verschwunden.
Im Nachhinein erwies sich, dass die Justiz ihn aus dem europäischen Teil Russlands in ein Straflager im hohen Norden Sibiriens verlegt hat – in ein Straflager in der Stadt Kowrow im Gebiet Wladimir rund 260 Kilometer östlich von Moskau. Nawalnys Team vermutete, dass er dort vor der anstehenden Präsidentenwahl im März möglichst isoliert werden sollte.
Nawalny führte immer wieder Klagen gegen den Strafvollzug wegen Verletzung seiner Rechte. Er nutzte die Gerichtsauftritte nicht zuletzt zur beissenden Kritik an Putins autoritärem System und Moskaus Krieg gegen die Ukraine. Wegen angeblicher Verstösse gegen die Lagerordnung wurde er immer wieder in Isolationshaft gesteckt. Dies könnte seine Gesundheit verschlechtert haben, sagte Dmitri Muratow, der frühere Chefredakteur der «Nowaja Gaseta».
Zuletzt war Nawalny am Donnerstag per Video zu einem Prozess zugeschaltet worden und habe dort den Umständen entsprechend noch «fröhlich, gesund und munter» gewirkt, schrieben die Journalisten des Kanals «Sota» am Freitag auf Telegram.
Der 47-Jährige hat eine 19-jährige Haft in Strafkolonien verbüsst. Verurteilt wurde Nawalny unter anderem wegen Extremismus – er hat den Vorwurf stets bestritten. Seine politische Bewegung wurde verboten, enge Mitarbeiter wurden inhaftiert oder flohen ins Ausland. International wird er als politischer Gefangener eingestuft. Menschenrechtsorganisationen fordern seit langem Nawalnys Freilassung.
Ja, der Oppositionelle hatte im August 2020 nur knapp einen Mordanschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok überlebt. Nawalny hatte Russlands Präsidenten Wladimir Putin und ein Killerkommando des Inlandsgeheimdienstes FSB für das Attentat verantwortlich gemacht.
Nachdem er in Deutschland von den Folgen des Giftanschlags behandelt worden war, kehrte Nawalny am 17. Januar 2021 nach Russland zurück – und wurde noch am Flughafen verhaftet.
Nawalny war einer der populärsten russischen Oppositionellen. Das beruhte auf seinen Enthüllungen über Korruption in der Führungsschicht und auf der Organisation von Protesten. Er steht aber auch wegen früherer nationalistischer Äusserungen in der Kritik.
Nach der Nachricht über den Tod des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny haben sich in mehreren russischen Städten Menschen versammelt und des berühmten Oppositionspolitikers gedacht.
Trotz eines hohen Polizeiaufgebots standen etwa im Moskauer Stadtzentrum am Freitag Menschen Schlange, um Blumen an einer Gedenkstelle für Opfer politischer Repression abzulegen. Auch aus St. Petersburg, Jekaterinburg, Nischni Nowgorod und mehreren anderen Städten gab es ähnliche Bilder. Manche Leute brachten Fotos von Nawalny mit, einige weinten und lagen sich in den Armen.
Kritische Russinnen und Russen machen sich ausserdem in sozialen Netzwerken mit einer früheren Aussage des Kremlgegners Mut.
Unter anderem auf Instagram, Telegram und X (früher Twitter) teilten zahlreiche Menschen und Medien am Freitag einen Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm «Nawalny» des kanadischen Regisseurs Daniel Roher, der zwar erst im Jahr 2022 erschien, aber teils noch vor der Inhaftierung des Oppositionellen Anfang 2021 gedreht worden war.
Der Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin wird darin gefragt: «Alexej, falls du verhaftet und ins Gefängnis gesteckt wirst oder falls das Undenkbare eintritt und sie dich töten: Welche Botschaft wirst du dem russischen Volk hinterlassen?» Nawalny antwortet daraufhin: «Für den Fall, dass ich getötet werde, ist meine Botschaft sehr einfach: Gebt nicht auf!»
Der Film «Nawalny» wurde 2023 mit einem Oscar als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. Zum Zeitpunkt des zitierten Interviews erholte sich Nawalny gerade von einem Giftanschlag, den er zuvor nur knapp überlebt hatte.
(red, mit Material der sda)
Mein Beileid an die Angehörigen und Freunden!