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Afghanistan: Lokales Personal der Entwicklungshilfe steckt in Kabul fest

«An Leib und Leben gefährdet»: Lokales Personal der Entwicklungshilfe steckt in Kabul fest

Die Taliban haben die afghanische Hauptstadt erobert, am Flughafen herrscht Chaos. Während drei Schweizer Mitarbeitende der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit (Deza) bereits evakuiert worden sind, befinden sich afghanische Deza-Mitarbeitende weiterhin in Kabul. Sie gelten für die Taliban als «westliche Kollaborateure».
16.08.2021, 13:0316.08.2021, 15:28
Christoph Bernet / ch media
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Dramatische Szenen spielen sich derzeit am Hamid-Karzai-Flughafen in der afghanischen Hauptstadt Kabul ab: Tausende verzweifelte Afghaninnen und Afghanen versuchen, einen Platz in einem Flugzeug zu bekommen, um sich ausser Landes in Sicherheit zu bringen. Gemäss der Nachrichtenagentur Reuters sind mindestens fünf Personen ums Leben gekommen. Unklar ist, ob sie durch Schusswaffen oder in Folge eines Gedränges gestorben sind.

afghanistan airport
Verzweifelte Menschen klammern sich in Kabul an US-Transportflugzeugen fest.Bild: twitter/yaldahakim

Am Sonntag haben die radikalislamischen Taliban-Milizen die Kontrolle über Kabul übernommen. Den Flughafen der Hauptstadt sichern gemäss BBC derzeit rund 6000 US-Soldaten ab, um die Evakuierung von US-Botschaftspersonal und weiteren Personen zu ermöglichen. Dazu gehören auch Diplomaten und humanitäre Helfer aus anderen westlichen Staaten.

200 Personen erhalten humanitäre Visa

Dazu gehören auch Schweizer Staatsangehörige: Wie Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) am Montagmorgen via Twitter mitteilte, konnten die drei noch in Kabul verbleibenden Schweizer Mitarbeitenden des Deza-Büros evakuiert werden. Sie sind gemeinsam mit Mitarbeitenden der deutschen Botschaft nach Doha geflogen worden.

Hingegen konnten die 38 afghanischen Lokalmitarbeitenden der Deza und ihre Angehörigen noch nicht in Sicherheit gebracht werden. Diese afghanischen Staatsangehörigen – die meisten sind seit vielen Jahren für die Deza tätig – und ihre Familien befinden sich in unmittelbarer Gefahr. Wie Mario Gattiker, Staatssekretär für Migration, am Freitagabend in Bern vor den Medien erklärte, könnten sie nach Einschätzung des Bundes als «westliche Kollaborateure» gelten und wären damit unter den Taliban «an Leib und Leben gefährdet».

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Die Staatsekretäre Livia Leu und Mario Gattiker mit Deza-Direktorin Patricia Danzi (v.r.n.l.) am Freitag in Bern.Bild: keystone

Aus diesem Grund entschied sich Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP) letzte Woche, den afghanischen Deza-Mitarbeitenden und ihren engsten Angehörigen (Ehegatten und minderjährige Kinder) ein humanitäres Visum zu erteilen. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) geht von rund 200 Personen aus, die nach Aussagen von Mario Gattiker vom Freitag «so rasch wie möglich» in die Schweiz gebracht werden sollten.

Unklarheit über Evakuierungspläne

Doch konnte die Schweiz die Evakuierung der gefährdeten Deza-Mitarbeitenden und ihren Familien aus Kabul bisher noch nicht bewerkstelligen. Aussenminister Ignazio Cassis schrieb am Montagmorgen auf Twitter, man arbeite «mit Hochdruck unter schwierigsten Umständen» an einer Lösung.

Am Montagnachmittag präzisierte das Aussendepartement EDA in einer Medienmitteilung, dass es gemeinsam mit Bundespartnern und externen Partnern intensiv an Lösungen für das Lokalpersonal und deren engsten Familienangehörigen arbeite: «Die aktuelle Situation in Kabul, namentlich, macht die Ausreise des Lokalpersonals aber schwierig». Das EDA stehe dazu mit seinen Mitarbeitenden vor Ort in ständigem Kontakt. Auf Anfrage von CH Media wollte das Aussendepartement mit Verweis auf Sicherheitsüberlegungen keine Details zu den Evakuierungsplänen nennen.

Die Schweiz sei besorgt über die gravierende Sicherheitslage in Afghanistan, heisst es in der Mitteilung des EDA. Das hohe Gewaltniveau trage massgeblich zum Leiden der afghanischen Bevölkerung bei und erhöhe die Zahl der Vertriebenen, die auf der Suche nach Sicherheit und Schutz seien: «Die Schweiz verurteilt die mutmasslichen Verstösse gegen das Völkerrecht, einschliesslich mutmassliche Völkerrechtsverbrechen, und ruft alle involvierten Akteure mit Nachdruck dazu auf, sich an das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte zu halten».

Der Bundesrat fordert dazu auf, insbesondere die Rechte von Minderheiten und von Frauen und Mädchen sind zu gewährleisten und verlangt sichere Ausreisemöglichkeiten für Afghanen und ausländische Staatsbürger, welche das Land verlassen wollten. Aussenminister Ignazio Cassis wird um 16 Uhr in Bern ein Statement zur Lage in Afghanistan abgeben.

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Die Taliban übernehmen die Macht in Afghanistan
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Die Taliban übernehmen die Macht in Afghanistan
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quelle: keystone / zabi karimi
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So dramatisch geht es derzeit in Afghanistan zu und her
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38 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kommissar Rizzo
16.08.2021 13:25registriert Mai 2021
Wenn Afghanistan ohne ausländische Hilfe innert weniger Tage komplett auseinanderfällt, muss man sich schon fragen, was da in den letzten 20(!) Jahren gemacht wurde. Der Verdacht bleibt, dass US Rüstungsunternehmen einfach eine Art Gelddruckmaschine hatten.
Und woher hatten die Taliban eigentlich die Waffen / Ausrüstung in diesem Umfang? Oder bringt man die so schnell ins Land? Und was ist mit der afghanischen Armee? Gabs die überhaupt? Wahnsinn, wie 20 Jahre innert weniger Tage ausgelöscht werden.
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C aus B
16.08.2021 13:12registriert November 2019
Ich hoffe, diese humanitären Visas sind erst der Anfang. Die Schweiz steht in der Pflicht in dieser Dramatischen Situation Unterstützung zu bieten. Nein, nicht weil wir Verursacher sind, sondern weil wir ein priviligiertes Land sind und mindestens temporäre Hilfe und Zuflucht als Teil unserer humanitären Tradition schnell und unbürokratisch zur Verfügung stellen müssen.
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