Maryam Banihashemi war die erste Frau, die sich in der Schweiz in Solidarität mit dem Protest im Iran die Haare abschnitt. Ging sie im September auf eine Demonstration, schnitt sie sich jeweils eine Strähne ab. Ihre schwarzen Locken sind seither 20 Zentimeter kürzer geworden – und noch immer uneben.
Seit dieser Geste ist sie das Gesicht des iranischen Protests in der Schweiz. Sie kennt alle Politikerinnen und Politiker – und sie kennen Banihashemi: Als Bundesrat Alain Berset sie auf dem Bundesplatz in Bern sieht, hebt er den Zeigefinger, tut so, als sei ihm gerade etwas eingefallen, und geht zurück ins Bundeshaus. Er kommt nicht wieder.
Banihashemi schätzt die Schweiz: Sie trinkt Rivella, liebt die Alpen, aber von der Regierung ist sie enttäuscht. Die Ereignisse zu verurteilen, sei richtig gewesen, reiche aber nicht, sagt sie. «Die Schweiz muss aufhören, das Regime zu unterstützen.»
In ihrer Petition fordert sie, dass die iranischen Botschafter ausgewiesen werden; dass personalisierte Sanktionen gegen die Hauptverantwortlichen und deren Familien verhängt werden, indem ihnen das Visum verweigert wird und ihre Bankkonten eingefroren werden; dass Technologieunternehmen aufgefordert werden, einen freien Internetzugang im Iran herzustellen, um die Zensur zu umgehen; und dass ein effizienter Finanzkanal eröffnet wird, damit politische Gefangene auf Kaution freigelassen werden und Folter, Vergewaltigung und Tod entkommen können.
Es gibt keine Kreditkarten, kein PayPal, kein Twint im Iran – dem nach Russland am stärksten sanktionierten Land der Welt.
Die Mullahs kosteten sie ein Leben lang Kraft: Im Iran, um ihr Regime zu umgehen, und nun, um es zu stürzen. Ihr Kopf kreist um nichts anderes. Sie schläft spätabends am Handy ein und wird um 4 Uhr wieder wach.
Die Arbeit als Selbstständige hat sie ausgesetzt. In ihrem Status auf WhatsApp steht: «Busy with the Iranian Revolution.» Das Wording ist ihr wichtig: Es sei eine Revolution und keine Revolte.
2009 protestierten die Iranerinnen und Iraner gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen. Über 70 von ihnen starben und Tausende wurden verhaftet. Banihashemi war auch auf den Strassen und sagt: «Damals dachten wir: Reformen reichen. Aber wir haben uns geirrt. Das Regime muss weg.»
Aber als sie vor drei Jahren gegen die plötzliche Erhöhung der Benzinpreise demonstrierten (das Regime schaltete das Internet ab und tötete laut Reuters innert fünf Tagen 1500 Menschen), sei das Anliegen zu spezifisch gewesen.
«Dieses Mal ist es anders. Dieses Mal ist es anders.» Sie wiederholt den Satz wie ein Gebet, das erhört werden soll.
Als die 22-jährige Mahsa Jina Amini von der Sittenpolizei festgenommen wurde, weil sie ihren Hijab zu lose trug, und anschliessend am 16. September starb, wusste jede Iranerin: Das hätte ich sein können. Auch Banihashemi.
34 Jahre lang lebte sie im Iran – und damit ein eingeschränktes Leben: Als Kind fing sie an, einen Hijab zu tragen. Als Teenie wurde sie in der Schule dafür bestraft, weil sie sich die Augenbrauen gezupft haben soll. Mit 17 heiratete sie einen Jungen, der einfach ihr erster Freund hätte sein können, wie sie sagt, doch die Familie wollte, dass es ihr erster Ehemann wird. Mit 22 liess sie sich scheiden. Und als sie berufstätig war, konnte sie nach Feierabend nicht ins Fitness, weil das Studio für Frauen nur tagsüber geöffnet war. Frauen und Männer machen im Iran getrennt Sport.
Banihashemi hätte in Kanada studieren können. Ihre Eltern wollten, dass sie geht. Sie fanden, sie sei zu aufmüpfig, um im Iran zu bleiben. Als Kind wollte sie sich den Kopf rasieren, damit sie wie ihre Brüder und Cousins Fahrrad fahren konnte. Später bestand sie darauf, mit den Männern der Familie wandern zu gehen. Denn in den Bergen, wo niemand war, konnte sie ihr Kopftuch abnehmen, frei sein.
Aber Banihashemi wollte im Iran bleiben, das Land von innen verbessern. Sie studierte Business an der Sharif-Universität in Teheran, deren Campus vor einem Monat abgeriegelt wurde, weil Studierende dort demonstrierten. Sie besuchte Kurse an der Universität Koblenz. Dort lernte sie ihren deutsch-iranischen Mann kennen, dem sie später wegen eines Jobangebots in die Schweiz folgte. Seit sechs Jahren leben sie, inzwischen mit ihrer 4-jährigen Tochter, in Horgen.
Auch ihre Brüder leben im Ausland. Ihre Mutter ist gestorben. Nur ihr Vater ist noch im Iran. Als er von ihrem Aktivismus erfuhr, war er wütend. Er unterstützt die Proteste zwar, war früher selbst in der Politik, denkt aber, dass die Kinder der anderen kämpfen sollen und nicht die eigenen. Denn jeder Kampf bringt auch Schmerz.
Seit fünf Wochen hat Banihashemi keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater. Sie wurde auf Instagram und Twitter anonym angeschrieben: «Wir wissen, wo du wohnst. Wir sind hinter deinem Vater her.» Sie will ihn schützen.
Ihn im Iran besuchen kann sie nicht. Sie würde bei der Einreise verhaftet werden, dessen ist sie sich sicher. Sie sagt: «Iran muss ein freies Land werden, damit ich wieder zurückkann.»
Wie würde ein freier Iran aussehen? «Manche wollen wieder ein Königreich, andere fordern einen kurdischen Staat – die Ideen gehen auseinander. Doch davor muss das Land säkular und demokratisch werden.» Der Iran gilt gemäss Democracy Index 2021 als «autoritär».
Es gebe genug gute Iranerinnen und Iraner, die das Land in die Demokratie führen könnten – im In- und Ausland. Nur können die im Iran nicht so hervortreten wie die im Exil.
Als Beispiel nennt Banihashemi Masih Alinejad. Die Journalistin lebt in den USA und veröffentlicht seit 2014 Videos von iranischen Frauen, die ihr Kopftuch abnehmen.
Oder Hamed Esmaeilion. Der Schriftsteller und Zahnarzt lebt in Kanada und hat seine Frau und Tochter im ukrainischen Linienflugzeug PS752 verloren, das 2020 von der iranischen Regierung abgeschossen wurde. Er ist besonders bei der Arbeiterklasse und den Studierenden beliebt.
Auch den Sohn des Schahs Reza Palhavi zählt sie auf. Er setzt sich für einen säkularen Staat ein. Doch die Demonstrierenden auf den Strassen haben wenig Bezug zu ihm – er gehört einer anderen Generation an. Seine Anhänger sind reich und elitär. Seit der islamischen Revolution 1979 lebt er im Ausland.
«Seit 1979 stehen viele Iranerinnen und Iraner einer Führung aus dem Exil skeptisch gegenüber.» Damals stürzte Ruhollah Khomeini von Frankreich aus die Regierung des Schahs. Er gilt als Gründer der Islamischen Republik Iran – eine Epoche, von der sich die Iranerinnen und Iraner emanzipieren wollen.
Für Banihashemi darf diese Emanzipation nur nicht zu lange dauern: Ihr iranischer Pass ist noch drei Jahre gültig und die Schweizer Staatsbürgerschaft kann sie erst in vier Jahren beantragen.
Sie wünscht sich, dass alle Iranerinnen und Iraner im Ausland irgendwann wählen können, wo sie sein wollen. Letztlich dreht sich jeder Freiheitskampf darum, sich entscheiden zu dürfen: wer man sein will, und wo, und was man dort tragen will.
Wenn Iran und die USA wieder einmal das Bedürfnis haben, miteinander zu sprechen, können sie einen anderen Vermittlerstaat suchen. Da muss die Schweiz nicht zwingend dabei sein.
Täglich werden Menschen inhaftiert und verurteilt, aus willkürlichen Gründen. Nur die Schweiz will sich wieder einmal "neutral" verhalten. Mit anderen Worten, ihren Kopf tief in Mullahs A.... schieben. Es ist zum 🤮