Schon als Mädchen wollte Sara Mohammadi auf eigenen Beinen stehen. Mit acht Jahren bestand sie darauf, alleine in die Schuhe zu gehen. Sie wollte nicht wie die anderen Kinder, vom Vater mit dem Auto gefahren werden. Dabei war der Schulweg wegen des vielen Verkehrs gefährlich. Sie wuchs in Sanandadsch auf, einer kurdischen Stadt im Westen Irans, nahe der Grenze zum Irak.
Mit 18 heiratete sie zum ersten Mal. Sie wählte ihren Ehemann zwar selber aus, doch schon während der Verlobungszeit bereute sie den Entscheid und wollte sich von ihm trennen. Ihre Eltern erlaubten ihr das aber nicht und so heiratete sie ihn trotzdem.
Die Ehe war von Anfang an unglücklich, weil ihr Mann ihr ständig vorschrieb, was sie zu tun hatte und was nicht. Erst als sie drohte, sich umzubringen, akzeptierten ihre Eltern eine Scheidung. Ihr Vater drängte sie allerdings, bald wieder zu heiraten, und schlug ihr einen 24 Jahre älteren Mann vor. Sie erzählt:
Beruflich hatte sie zwar eine Perspektive im Iran. Sie hatte an der Universität Recht studiert und arbeitete als Assistentin in einer Anwaltskanzlei. Aber sie hielt es nicht mehr aus, sich den Männern unterzuordnen. Als sie in einem pinken Mantel unterwegs war, wurde sie von Sittenwächtern festgenommen und musste eine Entschuldigung unterschreiben.
Am Tag ihrer geplanten Hochzeit verschwand sie, ohne ihrer Familie etwas zu sagen. Eine Freundin wartete in einer Gasse in einem Taxi, mit dem sie zu einem Schlepper fuhr. Die inzwischen 22-Jährige reiste über die Balkanroute, überquerte alle Grenzen zu Fuss, fror in den slowenischen Bergen und rannte vor Einwohnern in kroatischen Dörfern davon, die mit Gewehren auf sie schossen. Heute sagt sie:
Nach einer dreimonatigen Reise kam sie in der Schweiz an. Sie dachte, im Land, wo die UNO ihren Sitz hat, werde sie sofort aufgenommen, wenn sie erzähle, dass sie als Frau vor einem frauenfeindlichen Regime geflüchtet sei.
Doch das ist nicht so. Sie muss eine persönliche Verfolgung nachweisen können. Das gelang ihr nicht.
Das Staatssekretariat für Migration hielt ihre Schilderung der Zwangsheirat für unglaubwürdig. In zwei Befragungen erzählte sie ihre Geschichte unterschiedlich und verstrickte sich in Widersprüche. Die Migrationsbehörden wollten zum Beispiel wissen: «Wann haben Sie zum ersten Mal ernsthaft mit Ihrem Vater über die Heirat gesprochen?» Darauf nannte sie unterschiedliche Zeitpunkte. Es sei ein schleichender Prozess gewesen, den sie nicht so klar festmachen könne, sagte sie.
Ein Dreiergremium des Bundesverwaltungsgerichts – zwei SVP, ein SP – konnte sie mit solchen Einwänden nicht überzeugen. Ihre Angaben seien zu vage, heisst es im Urteil von Ende August. Es ist rechtskräftig.
Am 4. Oktober erhielt sie vom Luzerner Migrationsamt die Aufforderung zur Ausreise. Sie ist inzwischen 26 Jahre alt, lebt seit vier Jahren in der Schweiz und hat in dieser Zeit gut Deutsch gelernt. Doch nun müsse sie das Land sofort verlassen, sonst könne sie verhaftet und polizeilich ausgeschafft werden, heisst es im Brief. Falls sie freiwillig gehe, erhalte sie 6000 Franken für den Flug und den Wiederanfang im Iran.
Sara Mohammadi verweigerte die Unterschrift. Sie befürchte, ihr Vater werde sie umbringen, wenn er sie wiedersehe. Als alleinstehende Frau könne sie sich im Iran kaum vor ihrer Familie verstecken. Der Name ihres Vaters stehe im Pass an erster Stelle. Im Iran gehe es immer schnell und irgendjemand melde der Familie, wo ihre Tochter gerade sei.
Eine Ausschaffung hat sie allerdings ohnehin nicht zu befürchten. Denn der Iran ist neben Eritrea das einzige Land, das keine zwangsausgeschafften Landsleute zurücknimmt. Deshalb hat sich mit der Ausreiseaufforderung des Migrationsamts vor allem etwas geändert: Sie darf nicht mehr arbeiten.
Sie hatte einen Job in einer «Burger King»-Filiale, der ihr gefiel. Ihre Vorgesetzten bedauern ihren Abgang und setzen sich in einem Brief für sie ein. Sara sei sehr gut integriert, eigne sich für eine höhere Position im Betrieb und werde vom ganzen Team vermisst, schreiben sie. Doch das hat nichts bewirkt.
So wie Sara Mohammadi geht es vielen Landsleuten in der Schweiz. 254 Iranerinnen und Iraner leben hier, die eigentlich sofort ausreisen müssten. Da sie sich nicht daran halten, sind sie zum Nichtstun verurteilt. Nur jede fünfte Person aus dem Iran erhält hier Asyl.
Der Fall ereignet sich in einem politisch brisanten Umfeld. Die Schweiz ist zwar offiziell «bestürzt» über die vielen Todesopfer bei den Protesten im Iran und will sich für die Frauenrechte einsetzen. Doch das bedeutet nicht, dass sie alle Frauen aufnimmt, die unter diesen Umständen nicht mehr im Iran leben wollen. Sie müssen nachweisen können, dass sie gezielt verfolgt und keinen Schutz erwarten können. Sara Mohammadi fragt:
Sie sitzt auf einem schwarzen Ledersofa in einer kleinen Wohnung in Rain, einem Dorf auf einer Hochebene zwischen Sursee und Luzern. Sie blättert in ihrem Dossier. Eine Träne tropft auf die amtlichen Papiere.
Sie wohnt bei ihrem Freund, einem Iraner, den sie auf der Reise in Bosnien kennen lernte. Er hat ebenfalls kein Bleiberecht, der Entscheid ist aber noch nicht rechtskräftig. Er sei der erste Mann, mit dem sie zusammen sei, der Verständnis für sie habe und ihr keine Vorschriften mache. Das Paar schläft in der Wohnung auf dem Boden; für ein Bett reiche das Geld nicht aus. Sie sagt:
Die vielen mutigen Frauen, die in ihrer Heimat auf die Strasse gehen, würden ihr Hoffnung machen. Aber sie zweifle daran, ob langfristige Veränderungen möglich seien, solange das Regime so brutal dagegen vorgehe.
Sara Mohammadi hat an vier Kundgebungen in Bern und Zürich teilgenommen. Besonders bewegt sei sie, wenn die Demonstrantinnen jeweils den Protestsong anstimmten. Jeder Satz enthalte ihren Schmerz. Der Songtext ist eine Sammlung von Tweets und zählt die Motive der Aktivistinnen auf:
Was Sara Mohammadi nicht weiss: Die Proteste könnten ihr Leben dennoch verändern. Auf Anfrage teilt das Staatssekretariat für Migration mit: «Eine in Iran drohende Verfolgung aufgrund der Teilnahme an regimekritischen Protesten (im Iran oder in der Schweiz) führt zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Diese Praxis gilt auch für die aktuellen Proteste.» Ein Hoffnungsschimmer bleibt. (bzbasel.ch)
Richter sollten nicht der SVP angehören.
Es ist grauenhaft, wie diese Richter entscheiden.
Zum schämen ist sowas!