Herr Diggelmann, aufgrund der gigantischen Niederschlagsmengen sind in Osteuropa zahlreiche Dämme gefährdet. Was heisst das?
Philemon Diggelmann: Es ist ein entscheidender Unterschied, ob ein Damm kontrolliert überläuft oder erodiert.
Was bedeutet erodiert?
Ausgeschwemmt. Die Schleppkraft des Wassers nimmt das Material des Dammes auf und transportiert es weg. Dies führt zu immer tieferen Rinnen und Furchen im Damm, so wird mit der Zeit der ganze Dammkörper weggeschwemmt. Grundsätzlich sind Dämme jedoch darauf ausgelegt, dass sie auch bei sehr selten auftretenden, aber heftigen Ereignissen wie jetzt in Osteuropa, nicht kaputtgehen.
Was ist das Prinzip eines Dammes?
Es gibt zwei Kategorien von Dämmen. Die erste Sorte sind Dämme für Wasserkraftanlagen. Sie stauen das Wasser, wodurch der Wasserpegel steigt, um danach mehr Leistung herausziehen zu können. Bei solchen Dämmen kann das Wasser auch umgelagert werden, vom Wochenende auf Wochentage, weil an diesen Tagen mehr Strom benötigt wird.
Und die zweite Kategorie?
Das sind Hochwasser-Rückhaltedämme. Es handelt sich dabei um Dämme, die meistens sehr wenig Wasser führen. Im Falle eines Hochwassers kommt es zu einer Füllung dieser Dämme durch Flusswasser. Die Funktionsweise der Dämme erlaubt es in der Folge, einen Teil der Wasserflut zurückzuhalten und verzögert – mit reduzierten Wassermassen – abfliessen zu lassen. Dies reduziert die maximalen Abflusswerte und hat so eine dämpfende Wirkung.
Wie sieht die Lage in der Schweiz aus? Könnte es uns auch so heftig treffen wie aktuell Osteuropa?
Grosswetterlagen, wie wir sie derzeit in Osteuropa haben, kann es sicher auch in der Schweiz geben. Dann wären auch unsere Dämme gefordert.
Gibt es kritische Dämme in der Schweiz?
Grundsätzlich nicht. Dämme werden unabhängig von der geografischen Lage durch ihre Eigentümer – Energieproduzenten, Kantone, Gemeinden – sicher dimensioniert. Es gibt eine Stauanlagen-Gesetzgebung. Dieser sind Dämme ab einer gewissen Stauhöhe und einem gewissen Volumen unterstellt. Ebenso analysieren Expertinnen und Experten, ob von Dämmen eine besondere Gefahr ausgeht, wenn sie brechen.
Wie laufen solche Analysen ab?
Anhand von Überflutungsberechnungen schauen Fachpersonen, ob Menschenleben gefährdet sein könnten oder nicht. Ist dies der Fall, unterstehen diese Dämme ebenfalls der Stauanlagen-Gesetzgebung. Diese Gesetzgebung stellt sehr hohe Anforderungen an den Bau von Dämmen. Sie müssen den neuesten Normen entsprechen. Regelmässige Inspektionen und Qualitätskontrollen sind vorgeschrieben. Mindestens alle fünf Jahre erfolgt eine Kontrolle. Die grösseren Dämme werden jährlich begutachtet.
Was ist mit denjenigen Dämmen, die nicht unter die Stauanlagen-Gesetzgebung fallen?
Dabei handelt es sich um kleinere Weiher, die einen halben oder einen Meter hoch sind. Bei solchen Dämmen kann man ausschliessen, dass bei einem Bruch Menschenleben gefährdet sind.
Ist durch das Hochwasser in Osteuropa davon auszugehen, dass sich die Schweizer Behörden vermehrt mit der Sicherheit unserer Dämme befassen?
In der Schweiz werden Gesetze eingehalten, jeder Kanton hat seine Vorschriften, zudem übernimmt der Bund zusätzliche Aufsichtsfunktionen und kontrolliert die Kantone. Ich gehe davon aus, dass aufgrund der Lage in Osteuropa bei uns keine zusätzlichen Untersuchungen erfolgen – im Wissen darum, dass sämtliche Kontrollen ohnehin regelmässig stattfinden. Sollte man jedoch bei der Analyse der Vorfälle in Osteuropa neue Erkenntnisse gewinnen, kann es gut sein, dass die Schweizer Behörden diese auch auf die Situation hierzulande anwenden.
Es gibt jedoch bei jedem System eine Niederschlagsmenge ab der es kritisch wird - wäre interessant wo die bei uns liegt.