Russlands Botschaft in den USA hat die amerikanischen Warnungen vor einem Überfall auf die Ukraine als haltlos zurückgewiesen. Es werde «Alarmismus» verbreitet in den USA, ohne dass Beweise für die Behauptungen vorgelegt würden, teilte der russische Botschafter in Washington, Anatoli Antonow, am Samstag mit. Die Aussagen in Washington zeugten lediglich davon, dass die USA ihre «Propaganda-Kampagne gegen unser Land» verstärkt hätten, sagte Antonow. Der russische Präsident Wladimir Putin wollte noch am Samstag mit US-Präsident Joe Biden telefonieren.
Der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, hatte am Freitag alle Amerikaner in der Ukraine aufgefordert, das Land zu verlassen. Falls es zu einem russischen Einmarsch kommen sollte, dürfte es zunächst Luftangriffe und dann eine Bodenoffensive geben, weswegen es dann kaum mehr möglich sein dürfte, das Land zu verlassen. Mehrere Staaten riefen ebenfalls ihre Bürger zur Abreise auf.
Die USA wollten erreichen, dass in der Gesellschaft der Eindruck entstehe, die Aggression sei «unausweichlich», sagte Antonow. Den Menschen werde «Staub in die Augen» geblasen mit irgendwelchen Geheimdienstinformationen, ohne dass Details genannt würden. «Die Kommentare von Politikern dazu, dass Russland die Ukraine während Olympia oder danach überfallen wird, werden nicht durch Beweise untermauert», so der Diplomat. Inzwischen gebe es auch in den US-Kommentaren Anmerkungen, dass das Vertrauen der amerikanischen Bürger in die Äusserungen gesunken sei. Die Führung in Moskau habe immer wieder betont, dass Russland nicht plane, irgendjemanden zu überfallen.
Auch Kiew hat sich ob der Warnungen der USA verwundert gezeigt. «Falls Sie oder jemand anderes zusätzliche Informationen über einen 100-prozentigen Einmarsch am 16. (Februar) haben, dann geben Sie uns bitte diese Information», sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Samstag Journalisten. Kiew sei sich dessen bewusst, dass es Risiken gebe.
Dennoch würde es im öffentlichen Raum zu viele Berichte über einen grossen Krieg Russlands gegen die Ukraine geben. Kiew sei zwar auf alles vorbereitet. Doch: «Der beste Freund für die Feinde ist Panik in unserem Land», so richtete Selenskyj sich auf Englisch an westliche Journalisten. All diese Informationen würden nur Panik schüren und der Ukraine nicht helfen.
Angesichts der zugespitzten Lage zieht die US-Regierung den Grossteil ihres Botschaftspersonals aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew ab. Das teilte das US-Aussenministerium am Samstag in Washington mit. Das Personal werde «auf ein absolutes Minimum» reduziert, sagte ein hochrangiger Mitarbeiter des Ministeriums. Ab diesem Sonntag würden reguläre konsularische Dienste an der Botschaft eingestellt.
Einige wenige Mitarbeiter würden nach Lviv im Westen des Landes verlegt. In der Stadt nahe der polnischen Grenze würden für Notfälle noch konsularische Dienste angeboten.
Der Regierungsmitarbeiter rief US-Bürger einmal mehr dringend auf, die Ukraine zu verlassen. Es sei «überfällig» für sie, aus dem Land auszureisen. Die Sicherheit amerikanischer Bürger habe höchste Priorität, doch es gebe Grenzen für das, was die US-Regierung «in einem Kriegsgebiet» tun könne. Man tue alles Erdenkliche, um zu verhindern, dass die Ukraine zu einem Kriegsgebiet werde. Doch es erscheine zunehmend wahrscheinlich, dass sich die Lage dort zu einem aktiven Konflikt entwickle.
Es sei geboten, sich auf den schlimmsten Fall vorzubereiten, sagte der Vertreter des Aussenministeriums weiter. Und dazu gehöre das Szenario möglicher massiver russischer Attacken auf Kiew.
Ausserdem zieht das US-Militär Kräfte aus dem Land ab, die dort zu Trainingszwecken im Einsatz waren. Das US-Verteidigungsministerium teilte mit, 160 Mitglieder der Nationalgarde aus dem US-Bundesstaat Florida würden als Vorsichtsmassnahme aus der Ukraine an einen anderen Standort in Europa verlegt. Sie seien seit November in der Ukraine gewesen, um dortige Streitkräfte zu beraten. Das Pentagon versicherte, ihre Verlegung ändere nichts an der Entschlossenheit der USA, die ukrainischen Streitkräfte zu unterstützen.
Auch die Schweiz hat ihre Reisehinweise für die Ukraine angepasst. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) warnt seit Samstag vor touristischen und anderen nicht dringenden Reisen in die Ukraine.
Die USA, Grossbritannien, Deutschland, Dänemark, die Niederlande, Lettland, Estland, Neuseeland und Australien haben bereits ihre Landsleute zum Verlassen der Ukraine aufgefordert.
Die Lage sei «sehr ernst», sagte Australiens Premierminister Scott Morrison. Es bestehe das Risiko eines bewaffneten Konflikts, hiess es in einer Mitteilung der Regierung.
Neuseelands Aussenministerin Nanaia Mahuta sprach von einer «anhaltenden und beispiellosen Aufstockung russischer Streitkräfte an der Grenze zur Ukraine» und nannte dies zutiefst besorgniserregend. «Die Sicherheitslage in der Ukraine kann sich kurzfristig ändern und Neuseeländer sollten sich unter diesen Umständen nicht auf Unterstützung bei Evakuierungen verlassen», füge sie hinzu. Ihr Land habe keine diplomatische Vertretung in der Ukraine.
Grossbritannien hat derweil nochmals bekräftigt, keine Kampftruppen in die Ukraine schicken zu wollen. Der russische Präsident Wladimir Putin und seine Kollegen wären sehr gerne in der Lage dazu, zu sagen, dass ihr mögliches Vorgehen eine Folge westlicher Aggression in der Ukraine sei, sagte der britische Verteidigungsstaatssekretär James Heappey am Samstag im BBC-Frühstücksfernsehen. Es sei deshalb sehr wichtig, deutlich zu machen, dass man keine «aktive Rolle in der Ukraine» spielen werde. Auf die Frage, ob im Kriegsfall keine britischen Kampftruppen in der Ukraine sein werden, antwortete er: «Es ist absolut wesentlich, dass die Leute in Moskau das hören: Ja.»
Alle britischen Soldaten, die an einem Einsatz zur Ausbildung von Ukrainern an britischen Panzerabwehrraketen beteiligt sind, werden im Laufe dieses Wochenendes abgezogen. Das sagte Heappey dem BBC-Radio.
Bereits vor rund zwei Wochen hatte die britische Aussenministerin Liz Truss gesagt, es sei «höchst unwahrscheinlich», dass es eine Situation geben werde, in der britische Soldaten an der Seite der Ukrainer gegen Russland kämpfen werden. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte damals den Einsatz von Kampftruppen in der Ukraine im Fall einer russischen Invasion ausgeschlossen.
Auf diplomatischer Ebene laufen die Bemühungen zu einer Beilegung der Krise weiter auf Hochtouren. US-Präsident Joe Biden und Russlands Staatschef Wladimir Putin wollen an diesem Samstag telefonieren. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron will mit dem Kremlchef sprechen.
Bereits am Freitagabend hatten auch US-Aussenminister Antony Blinken und Bundesaussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit ihrem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba gesprochen. In der Unterredung Baerbocks ging es nach Angaben aus Berlin unter anderem um die aktuelle Sicherheitslage und den am Montag anstehenden Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Scholz wird im Anschluss am Dienstag erstmals als Kanzler in Moskau mit Putin zusammentreffen.
Biden hatte sich am Freitag in einer Videoschalte mit westlichen Verbündeten ausgetauscht, darunter auch Scholz, Macron und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen betonten die Verbündeten ihre Entschlossenheit, mit schnellen und harten Sanktionen auf einen möglichen Einmarsch zu reagieren. In Berlin hiess es, die Lage werde von den Teilnehmern aus EU und Nato als «sehr, sehr ernst» eingeschätzt. «Alle diplomatischen Bemühungen zielen darauf ab, Moskau zur De-Eskalation zu bewegen», schrieb Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf Twitter. «Es gilt, einen Krieg in Europa zu verhindern.»
…sollte es zu weiteren Verletzungen der territorialen Integrität und der Souveränität der Ukraine kommen. Alle diplomatischen Bemühungen zielen darauf ab, Moskau zur De-Eskalation zu bewegen. Es gilt, einen Krieg in Europa zu verhindern. 2/2
— Steffen Hebestreit (@RegSprecher) February 11, 2022
Die US-Regierung hatte erst Anfang des Monats die Verlegung von rund 2000 Soldaten nach Europa angeordnet. 1700 davon sollten ebenfalls nach Polen verlegt werden, ein Nachbarland der Ukraine. «Alles in allem umfassen diese 5000 zusätzlichen Soldaten eine hoch mobile und flexible Truppe, die zu mehreren Einsätzen fähig ist», erklärte das Pentagon am Freitag. Es gehe darum, die östlichen Nato-Partner zu beruhigen und mögliche Aggressionen abzuwenden, hiess es weiter.
Auf Bidens Anordnung hin waren Ende Januar bereits rund 8500 Soldaten in den USA in erhöhte Bereitschaft versetzt worden, um bei Bedarf eine schnelle Verlegung nach Europa zu ermöglichen. Es sollen aber keine Soldaten in die Ukraine geschickt werden. In Europa sind auch ausserhalb von Krisenzeiten viele US-Soldaten stationiert - derzeit mehr als 80'000 Soldaten, darunter etwa 35'000 in Deutschland.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sprach wegen des Ukraine-Konflikts am Freitag in einer Schalte mit seinen Kollegen aus Polen, Deutschland, Kanada, Frankreich, Rumänien und Italien.
Sullivan wiederum betonte, der US-Regierung lägen keine Informationen vor, dass Putin bereits eine endgültige Entscheidung für eine Invasion getroffen habe. Er fügte hinzu: «Wir sehen weiterhin Anzeichen für eine russische Eskalation, einschliesslich neuer Truppen, die an der ukrainischen Grenze eintreffen.» Ein möglicher Angriff könne verschiedene Formen annehmen, darunter auch ein schneller Vormarsch der Truppen auf die ukrainische Hauptstadt Kiew.
(dfr/sda/dpa)
Man weiss, dass Putin die Existenz der Ukraine in Frage stellt und Russland, Belarus und die Ukraine in einem Staat/Bundesstaat/Staatenbund zusammenführen möchte. Mit der Besetzung der Krim und der Einmischung in der Ostukraine hat Putin einmal mehr gezeigt, dass er falls notwendig Willens ist Militär zur Durchsetzung seiner Ziele einzusetzen.