Für Russland ist sie eine Quelle ewigen Ärgers: Die Erweiterung des Nordatlantikpakts (Nato) nach Osteuropa, die ab 1997 in mehreren Schritten vollzogen wurde. 2020 trat Nordmazedonien als 30. und vorerst letztes Mitglied der Allianz bei. Weitere Anwärter gibt es, vor allem Georgien und die Ukraine. Ihren Beitritt will Moskau unbedingt verhindern.
Ein zentraler Teil der Sicherheitsgarantien, die Russland im Ukraine-Konflikt vom Westen verlangt, ist der dauerhafte Ausschluss einer Nato-Mitgliedschaft beider Länder, obwohl sie ihnen 2008 in Aussicht gestellt worden war. Ebenfalls gefordert wird ein Verzicht auf militärische Aktivitäten der Nato in den Ländern des ehemaligen Warschauer Pakts.
Am liebsten würde der russische Präsident Wladimir Putin wohl die Nato-Osterweiterung rückgängig machen. Er befindet sich im Einklang mit dem «Mainstream» in seinem Land. Viele Russinnen und Russen fühlen sich durch den «Vormarsch» der Nato und vor allem der USA an ihre Grenzen bedroht.
Westliche «Putin-Versteher» verbreiten den Mythos, Moskau sei über den Tisch gezogen worden. Demnach habe man dem sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow 1990 als Gegenleistung für seine Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung zugesagt, die Nato nicht nach Osten auszuweiten. Leider habe sich Gorbatschow dies nicht schriftlich bestätigen lassen.
Im Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen BRD, DDR und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs (USA, Sowjetunion, Grossbritannien, Frankreich) zur Wiedervereinigung Deutschlands wird lediglich festgehalten, dass für eine gewisse Zeit keine Nato-Truppen in Ostdeutschland stationiert werden dürfen. Eine Osterweiterung wird nicht erwähnt.
Michail Gorbatschow selbst widerlegte 2014 in einem Interview mit dem ZDF den Vorwurf, er sei vom Westen betrogen worden. Damals habe der Warschauer Pakt noch existiert. Ein Beitritt dieser Staaten zur Nato sei nicht vorstellbar gewesen. «Was hätte man vertraglich fixieren sollen? Die Frage hat sich nicht gestellt», sagte Gorbatschow dem ZDF.
Die Kritiker der Osterweiterung verweisen deshalb gerne auf 2009 vom «Spiegel» enthüllte geheime Dokumente. Demnach hatte der deutsche Aussenminister Hans-Dietrich Genscher seinem sowjetischen Amtskollegen Eduard Schewardnadse 1990 namens der Bundesregierung versichert, die Nato werde sich nicht nach Osten ausdehnen.
Später relativierte Genscher seine Aussage. Es habe sich nicht um ein Versprechen gehandelt, sondern um ein «Abtasten» vor eigentlichen Verhandlungen. Tatsächlich hätte Genscher mit einer solchen Zusage seine Kompetenzen überschritten. Es wäre ihm kaum gelungen, sich damit im westlichen Verteidigungsbündnis durchzusetzen.
Gegen den angeblichen Wortbruch spricht auch, dass in den 1990er Jahren sogar ein möglicher Beitritt Russlands zur Nato und zur EU im Raum stand. Der Westen lehnte ab. Es lässt sich streiten, ob damit eine Chance verpasst wurde. Allerdings wäre der russische «Koloss» für beide Bündnisse und nicht zuletzt die USA schwer verdaulich gewesen.
Häufig ignoriert werden bei der Kritik an der Nato-Osterweiterung auch die Interessen der betroffenen Länder in Mittel- und Osteuropa. Sie wurden nicht in die westliche Allianz gezwungen, sondern haben sich ihr aus eigenem Antrieb angeschlossen. Der Grund dafür waren ihre oft leidvollen Erfahrungen unter russischer und sowjetischer Herrschaft.
Das trifft besonders auf Polen und die drei baltischen Republiken zu. Sie sind im derzeitigen Ukraine-Konflikt die grössten Hardliner gegenüber Moskau, und nicht etwa die USA. In Ungarn (1956) und der damaligen Tschechoslowakei (1968) wurden Versuche, den Sozialismus zu demokratisieren, von sowjetischen Panzern niedergewalzt.
Selbst Bulgarien, das im Warschauer Pakt als treuester Vasall Moskaus galt und mit Russland enger verbunden ist als die meisten osteuropäischen Staaten, trat 2004 der Nato bei. Staatspräsident Rumen Radew nahm im Ukraine-Konflikt sehr deutlich Stellung: «Die Forderung Russlands zum Abzug der Nato-Kräfte ist unannehmbar und grundlos.»
Eine derart klare Abgrenzung würde es kaum geben, wenn Russland von seinen Nachbarn als gutmütiger «grosser Bruder» wahrgenommen würde. Wladimir Putin bestätigt sie mit seinem Säbelrasseln vielmehr in ihrer Überzeugung, dass sie nur unter dem Nato-Schirm geschützt sind. Er erreicht somit das Gegenteil dessen, was er anstrebt.
Eine Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine ist dennoch auf absehbare Zeit unwahrscheinlich. Und man hat in den letzten Jahrzehnten die Chance verpasst, über eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa zu sprechen. Eine konkrete Zusicherung des Westens zum Verzicht auf die Nato-Osterweiterung, ob mündlich oder schriftlich, aber hat es nie gegeben.
Schliifts?