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Interview: Israelische Botschafterin in der Schweiz über den Krieg

Die Israelische Flagge wird am Zytglogge projiziert, am Donnerstag, 12. Oktober 2023, in Bern. Hunderte von Israelis und Palaestinensern sind ums Leben gekommen, seit die militante Gruppe Hamas am 07. ...
Israelische Flagge am Zytglogge in Bern.Bild: keystone
Interview

Israelische Botschafterin: «Alle Schweizer sollten sich diese Videos ansehen»

Der Friedensprozess war der Hauptgrund, warum sie Diplomatin werden wollte. Nun sagt Ifat Reshef: «Wir müssen diesen Krieg führen und gewinnen.» Die israelische Botschafterin über den Schock, den Krieg und die mögliche Rolle der Schweiz.
21.10.2023, 19:0221.10.2023, 20:01
Maja Briner und Joëlle Weil / ch media
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Die Strasse zur israelischen Botschaft in Bern ist abgeriegelt, die Sicherheitskontrolle streng. Im Innern empfängt die israelische Botschafterin Ifat Reshef zum Interview, sie wirkt aufgewühlt, ernst, übermüdet. Doch im Gespräch ist sie hellwach.

Frau Botschafterin, die Attacke der Hamas vor zwei Wochen war ein Schock. Wie fühlen sich die Menschen in Israel jetzt?
Ifat Reshef:
Der Schock begleitet uns die ganze Zeit. Er ist in unseren Köpfen, in unseren Herzen, er ist in meinen Adern. Israel hat leider viel Erfahrung mit terroristischen Attacken und Krieg, aber so etwas haben wir noch nie gesehen. Wir kennen solche Taten aus Erzählungen aus dem Holocaust, von Pogromen und vom IS. Die Terroristen sind in unser Land eingedrungen und haben unsere Grossmütter und Grossväter, Babys und Schwangere abgeschlachtet, ermordet und entführt.

Welches Gefühl dominiert bei Ihnen?
Trauer und Wut. Ich bin entsetzt. Gestern wurden ein fünfjähriges Kind und seine Mutter gefunden, die sich auf einem Dachboden vor den Mördern verstecken wollten und bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Die gesamte internationale Gemeinschaft sollte Israel unterstützen im Krieg gegen diese Monster – so wie sie den Kampf gegen den IS in Irak und Syrien unterstützt hat.

Ifat Reshef, israelische Botschafterin in Bern. (Oktober 2023)
Ifat Reshef, israelische Botschafterin in Bern.Bild: AZ

Was ist Ihre Hauptaufgabe als Botschafterin in der Schweiz derzeit?
Meine wichtigste Aufgabe derzeit ist es, den Menschen bewusst zu machen, was am 7. Oktober geschehen ist: Über 1400 Menschen wurden abgeschlachtet, 200 Menschen nach Gaza entführt. Das Schweizer Volk und die Behörden müssen das Ausmass der Gräueltaten verstehen.

Die Solidarität mit Israel war sehr gross. Aber sie dürfte erodieren, wenn es im Gazastreifen Opfer gibt.
Die internationale Solidarität ist beispiellos. Der US-Präsident Joe Biden hat Israel besucht, der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, viele europäische Staatsoberhäupter und Aussenminister. Klar: Ein Krieg ist kein Spaziergang, es wird sehr schwierige Bilder aus dem Gazastreifen geben. Gaza ist dicht besiedelt, die Terroristen nutzen die eigenen Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Wir halten uns ans Völkerrecht und werden unser Bestes tun, um Schaden von den Zivilisten abzuwenden. Es ist möglich, dass wir auch Fehler machen - das geschieht im Krieg. Aber wir müssen diesen Krieg führen und gewinnen, sonst werden sie nicht aufhören, uns abzuschlachten.

Befürchten Sie, dass die Solidarität nachlassen wird?
Israel hat die Zivilbevölkerung aufgefordert, den Norden des Gazastreifens zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Und was macht die Hamas? Sie hindert die Menschen an der Flucht. Das müssen die Leute verstehen! Natürlich wird es auch in der Schweiz Menschen geben, die ihre Solidarität mit den Palästinensern betonen. Ich verstehe nicht, wie man gegen diesen Krieg sein kann, aber es ist ihr Recht.

Wie nehmen Sie die Stimmung in der Schweiz wahr?
Wir erleben sehr viel Solidarität, ich komme gar nicht nach, alle Nachrichten zu beantworten. Dass man nun gegen Israel auf die Strasse geht, dafür habe ich kein Verständnis. Ich fordere alle Schweizer Bürger und Bürgerinnen auf, sich die schrecklichen Videos und Bilder dieser Terrortaten anzusehen - auch wenn es schwierig ist. Wenn man jetzt gegen Israel demonstriert, dann gibt man diesen Taten eine Legitimation. Wenn Menschen für die Hamas auf die Strasse gehen, dann ist das nicht Meinungs- oder Versammlungsfreiheit, sondern Anstiftung zur Gewalt.

Es gibt in diesem Konflikt eine weitere Front, die sozialen Medien. Wie wichtig ist dies?
Wir sind uns gewohnt, dass wir auch in traditionellen Medien vielerorts unfair behandelt werden. Aber der Fall der Explosion beim Al-Ahli-Arab Spital ist erschreckend: Die Hamas hat sofort damit begonnen, die Lüge zu verbreiten, dass Israel 500 Menschen getötet habe. Wir wussten sehr rasch, dass Israel nicht dafür verantwortlich war – wir zielen nicht auf Spitäler, und wir konnten feststellen, dass es bei unseren Systemen keine Fehlzündung gab. Aber wir brauchten Zeit, um Beweise vorzulegen. Unverantwortliche Medien haben die Lüge der Hamas weiterverbreitet. Die Folge ist eine Anstachelung zu Gewalt.

Der US-Präsident war in Israel, der deutsche Kanzler Olaf Scholz ebenso: Würden Sie einen solchen Besuch auch von der Schweiz erwarten?
Es ist an der Schweiz, zu entscheiden, wie sie ihre Solidarität ausdrückt; wir würden einen Besuch jederzeit begrüssen. Ich erwarte von der Schweiz, dass sie ihre Mittel nutzt für die Verbreitung dieser Botschaft: Israel wurde von einer Terrororganisation angegriffen und hat das Recht, sich zu verteidigen. Die Menschheit hat am 7. Oktober einen Rückschlag erlitten. Wir dachten, der IS sei besiegt, und jetzt kommt er zurück in einer palästinensischen Version.

Der Bundesrat hat sich für ein Verbot der Hamas ausgesprochen und prüft nun die rechtlichen Optionen. Begrüssen Sie diesen Schritt?
Ich bin sehr erfreut, dass die Regierung ihre Haltung geändert hat. Das ist sehr wichtig, die Schweiz hat viel moralisches und politisches Gewicht. Ein Verbot der Hamas ist aus meiner Sicht überfällig.

Manche befürchten, die Schweiz könne nicht mehr vermitteln, wenn sie die Hamas verbietet.
Nein, das schliesst sich nicht aus. Man muss die Hamas als das bezeichnen, was sie ist: eine terroristische Organisation. Trotzdem wird die Hamas ab einem gewissen Punkt Vermittlungen wollen. Wer gute Kontakte hat, kann dann vermitteln. Ich glaube sogar, dass es eine bessere moralische Basis gibt für spätere Mediationen, wenn man der Hamas gegenüber eine klare Haltung vertritt.

Kann die Schweiz als Vermittlerin eine Rolle spielen?
Wir brauchen die Hilfe von vielen Freunden, und die Schweiz ist ein Freund. Ich schätze ihre guten Dienste. Jetzt geht es aber zuerst darum, dass Israel sich verteidigen muss. Welches Land, das so angegriffen würde, würde sich nicht verteidigen? Wir bitten nicht um militärische Unterstützung, aber wir brauchen Rückendeckung von der internationalen Gemeinschaft, insbesondere vom UNO-Sicherheitsrat. Wir kämpfen auch für Europa. Das muss die Schweiz und ihre Bevölkerung verstehen.

Sie arbeiteten früher in Ägypten. Wie sehen Sie dessen Rolle jetzt? Es könnte ja die Grenzen öffnen und palästinensische Flüchtlinge aufnehmen.
Ägypten ist ein wichtiger Nachbar, unsere friedlichen Beziehungen sind sehr wichtig. Gaza ist auch für Ägypten eine Herausforderung. Ägypten hat in den letzten Jahren häufig versucht, die Situation zu beruhigen, wenn wir von den Hamas oder dem Palästinensischen Islamischen Dschihad angegriffen wurden - oft erfolgreich. Welche Rolle sie jetzt spielen, kann ich nicht sagen.

Israel hat die Strom-, Wasser- und Lebensmittelversorgung nach Gaza eingestellt. Wie rechtfertigen Sie das?
Unser Land hält sich ans Völkerrecht. Aber wir sind nicht verpflichtet, unsere Feinde mit Dingen zu versorgen, die sie für militärische Zwecke nutzen. Wir beurteilen die humanitären Bedürfnisse laufend, deshalb hat Israel die Wasserversorgung im südlichen Gazastreifen wieder hergestellt. Im Übrigen hat Gaza die Fähigkeiten, sich zu grossen Teilen selbst mit Wasser und Strom zu versorgen. Und: Israel hat in den letzten Jahren die Zahl der Menschen, die in Israel arbeiten kommen dürfen, auf 18'000 erhöht - notabene für zwölfmal so viel Lohn wie in Gaza. Das hat die Hamas nun zunichte gemacht.

Aber würden Sie zustimmen, dass die humanitäre Situation im Gazastreifen sehr schwierig ist?
Ja, aber das ist die Schuld der Hamas. Sie hat eine Verantwortung, für die Bevölkerung zu sorgen. Doch sie stecken das Geld in Waffen, statt eine bessere Zukunft für ihre Bevölkerung zu schaffen. Wir haben der internationalen Gemeinschaft erlaubt, Stahl und Beton einzuführen – und sie bauen damit Tunnels. Was sollen wir tun? Die andere Wange hinhalten? Sie haben gezeigt, dass sie uns in unserem Land angreifen. Wir müssen uns verteidigen. Auch die Kinder in Gaza werden nur eine Zukunft haben, wenn die Terroristen weg sind.

Gleichzeitig gibt es in Israel völkerrechtswidrige Siedlungen und einen Finanzminister, der behauptet, es gebe kein palästinensisches Volk. Was sagen Sie jenen, die sagen: Israel hat mit seiner Siedlungspolitik und der Blockade von Gaza diesen Angriff provoziert?
Zu solchen Leuten kann ich nichts sagen. Jeder, der den Angriff legitimiert – das Foltern, Abschlachten, die Ermordung eines zwölfjährigen autistischen Kindes – lebt auf einem anderen Planeten als ich. Wir haben im Übrigen eine andere rechtliche Auffassung über den Status der Siedlungen. Aber darum geht es derzeit nicht. Jetzt geht es darum, was diese Monster gemacht haben. Jeder, der die Taten rechtfertigt mit politischen Debatten oder dem ungelösten Konflikt zwischen Israel und Palästinensern – nein, dafür habe ich kein Verständnis. Ich sehe keine Verbindung, ganz und gar nicht.

Bräuchte es für einen Frieden in der Region nicht auch Zugeständnisse Israels?
Frieden in der Region kann nur auf der Grundlage direkter Verhandlungen zwischen den betroffenen Parteien und der Fähigkeit zu einer Verständigung zwischen ihnen erreicht werden. Terroristische Organisationen wie die Hamas und der Palästinensische Islamische Dschihad können nicht an einem solchen Abkommen beteiligt sein. Sie haben deutlich gezeigt, dass sie keinen Frieden und keine Vereinbarungen wollen.

Israel sagt, es müsse diesen Krieg gewinnen. Doch was heisst das, den Krieg gewinnen?
Wir wurden in diesen Krieg geworfen. Was das Ende sein wird, ist schwierig zu sagen. Das Ziel ist klar: Wir wollen die militärischen Fähigkeiten der Hamas zerstören. Dieser Krieg wird nicht einfach, aber wir haben keine Wahl. Wenn wir ihre militärischen Fähigkeiten nicht zerstören, ist es das Ende Israels - dann können wir die Schlüssel nehmen und einen neuen Ort suchen. Und wenn sie mit Israel und den Juden fertig sind, werden sie sich der palästinensischen Behörde zuwenden und dann sind Christen, moderate Muslime und Europa an der Reihe.

Eine Wiedereroberung Gazas ist demnach nicht vom Tisch?
Wollen wir Gaza besetzen? Sicher nicht. Wir verliessen Gaza vor fast zwanzig Jahren. Wir sind nicht verantwortlich für Gaza, sondern die Hamas! Wir wollen diese Verantwortung nicht. Kann ich irgendein Szenario ausschliessen? Nein, das wäre gelogen.

Sie sagten einmal, der Friedensprozess sei der Hauptgrund, weshalb Sie Diplomatin werden wollten. Jetzt ist Ihr Land im Krieg. Wie ist das für Sie?
Das ist eine sehr persönliche Frage …

Sie müssen nicht antworten.
Doch, ich empfinde es als meine Pflicht. In den Kibbuzim sind viele friedensliebende Menschen angegriffen worden. Dieser Angriff ist tragisch für alle friedliebende Menschen. Ich will Frieden. Ich will, dass meine Kinder in Israel in Frieden leben. Vor fünfzig Jahren war der Jom-Kippur-Krieg, ich war sehr klein, aber ich erinnere mich. Unsere Eltern verstanden damals – und ich verstehe es jetzt auch: Israel wird nur eine Zukunft haben, wenn es stark ist und sich verteidigt, wenn es angegriffen wird.

Israeli sagen, der 7. Oktober 2023 werde das Land für immer verändern. Inwiefern?
Er wird uns verändern, er hat uns schon verändert. Unser Vertrauen in die Menschen hat einen grossen Dämpfer erlitten. Vieles hängt nun von der Reaktion der internationalen Gemeinschaft ab. Ich bin immer noch optimistisch, glaube an eine friedliche Zukunft. Aber das geht nur ohne Hamas und ohne Islamistischen Dschihad. Was sich bereits gezeigt hat: In Israel streiten wir manchmal heftig, heftiger als in der Schweiz. Aber wenn wir bedroht sind, halten wir zusammen. Alle wollen jetzt helfen in Israel, Schülerinnen und Schüler, Ältere, alle. Daraus ziehe ich Hoffnung.

Zur Person
Ifat Reshef, 55, hat Rechtswissenschaften studiert und trat 1993 dem israelischen Aussenministerium bei. Seit August 2021 ist sie israelische Botschafterin in Bern.

(aargauerzeitung.ch)

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quelle: keystone / abir sultan
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236 Kommentare
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Ribosom
21.10.2023 19:12registriert März 2019
"Ich fordere alle Schweizer Bürger und Bürgerinnen auf, sich die schrecklichen Videos und Bilder dieser Terrortaten anzusehen - auch wenn es schwierig ist."

Nein! Das ist nicht mein Krieg und ich gebe nicht meine psychische Gesundheit auf!
Es ist genug, wenn es Berichte in schriftlicher Form gibt. Wer freiwillig solche Videos schauen möchte, kann das tun. Ich jedoch ertrage es nicht und will auch nicht.
Ich finde es stossend, dass eine Person sowas öffentlich fordert.
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Voraus denken!
21.10.2023 19:15registriert März 2022
Zitat:"Wir haben im Übrigen eine andere rechtliche Auffassung über den Status der Siedlungen. Aber darum geht es derzeit nicht."

Doch, es geht genau darum. Leider ist dies ein Tabuthema über welches seit Jahrzehnten nicht gesprochen werden darf.

Nein, der Terror der Hamas ist fürchterlich und darf nicht bagatellisiert werden. Genauso wie die Ruzzen, müssen auch die Hamas entsprechend als Terrororganisation eingeordnet und behandelt werden.

Der Hauptgrund für den Konflikt liegt dennoch in obigem Zitat auch wenn man das nicht aussprechen darf.
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Uhu-ciao
21.10.2023 20:30registriert August 2022
Volle Solidarität mit den Israelis, welche unter dem Terror der Hamas leiden. Ebenso volle Solidarität mit den Palästinensern, die von den Hamas unterdrückt werden und jetzt ausbaden müssen, was die Hamas angezettelt haben.

Kein Respekt für die momentane, rechtsextreme Regierung, die in den vergangenen Monaten hauptsächlich damit beschäftigt war, die Justiz auszuhöhlen und eine kleine, ultraorthodoxe Minderheit zufriedenzustellen.
20122
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