Michael Räber, auf der Facebook-Seite Ihrer Organisation schreiben Sie, dass pünktlich zum heutigen Weltflüchtlingstag Hilfsleistungen gestrichen werden müssen. Was ist passiert?
Die finanziellen Mittel reichen nicht mehr aus. Wir hatten im Januar 3000 Franken pro Tag, im März 2200, im Mai waren es noch 800 und im Juni sind die Spendeneinnahmen auf 500 Franken pro Tag geschrumpft. Da wir keine Reserven haben, können wir jetzt nicht mehr gleich viel ausgeben wie vor ein paar Monaten.
Warum habt ihr keine Reserven?
Das ist unsere Philosophie. Wir wollen 80 Prozent der Spendeneinnahmen sofort ausgeben, weil wir davon ausgehen, dass derjenige, der einzahlt, sein Geld sofort umgesetzt sehen will. Aber natürlich machen wir Rückstellungen, mit denen wir alle laufenden Kosten decken können. Ich will keine Schulden.
Woran liegt es, dass die Spenden so stark zurückgegangen sind?
Zum einen ist das Thema ausgelutscht. Das ist nicht meine Formulierung, sondern diejenige von Journalisten. Die Problematik ist nicht mehr so präsent in den Medien. Und wir auch nicht. Hinzu kommt, dass wir einen kleinen, aber sehr hartnäckigen Unterstützerkreis haben. Ich nehme an, dieser ist mittlerweile an Grenzen gestossen. Ein weiterer Grund, und das ist ein positiver, ist, dass es in unserem Flüchtlingscamp in Sindos gut läuft. Ich würde deshalb jetzt auch nicht unbedingt «Schwizerchrüz» spenden – an anderen Orten ist mehr Hilfe nötig.
Was heisst das, «es läuft gut»?
In unserem Flüchtlingscamp wohnen 580 Menschen, davon sind 125 unter 7 Jahren. Diese Zahlen sind konstant, weshalb die ganze Situation planbarer ist als beispielsweise das Ankommen von Flüchtlingen in Lesbos. Ausserdem hatten wir bereits sehr früh eine gute Zusammenarbeit mit dem Militär. Wir haben das beste von allen schlimmen Camps.
Welche Leistungen müsst ihr streichen?
Seit vergangenem September sind rund 8 Personen 24 Stunden pro Tag an sieben Tagen die Woche am Strand von Lesbos. Sie empfangen Flüchtlinge, kümmern sich um Kleider und Essen. Diese Rund-um-die-Uhr-Abdeckung müssen wir nun aufgeben. Ab sofort werden die Helfer nur noch in der Nacht bis in den frühen Morgen am Strand sein. Um diese Zeit ist es am wahrscheinlichsten, dass Schlepper anlegen. Während des Tages halten sich die Helfer aber an einem Ort auf, der nur 20 Minuten vom Strand entfernt ist. Sofern wir genug früh von der Ankunft eines Bootes erfahren, können wir also trotzdem helfen.
Wie erfahrt ihr das?
«United Rescue» ist eine Facebook-Page, auf der Bootspositionen diskutiert werden. Wir werden aber über eine Whatsapp-Gruppe informiert. Uns werden die Positionen erst mitgeteilt, wenn die Boote über die griechische Grenze fahren. Dann weiss es «United Rescue» und dann wissen wir es.
Was passiert im Flüchtlingslager in Sindos, wenn die Spenden ausgehen?
Wir müssen jetzt an Essen einsparen – weniger Früchte und nur noch halb so viel Milch. Ausserdem müssen unsere rund 18 freiwilligen Helfer Beiträge an Auto und Benzin zahlen.
Und was, wenn die Spendeneinnahmen weiter sinken?
Ich bin zuversichtlich, dass wir das jetzige Niveau halten können. Im Notfall – das versuche ich aber eigentlich, zu vermeiden – müssen wir vielleicht doch Geld von Institutionen, nicht nur Privaten, sammeln. In diesen sauren Apfel würde ich beissen. Aber eben: Eigentlich muss ich ja Freude haben, wenn's bei uns schlecht läuft, solange das bedeutet, dass dafür andere mehr Unterstützung kriegen.