Er werde Grossbritannien am 31. Oktober aus der Europäischen Union führen. So lautete die Botschaft, die Boris Johnson seit seinem Amtsantritt als Premierminister im Juli fast mantraartig verbreitet hat. Einen No-Deal-Brexit nahm er ausdrücklich in Kauf. In der Thronrede der Queen am Montag tönte es schon differenzierter: Die Umsetzung des Brexits am 31. Oktober habe «Priorität».
In den letzten Tagen entstand eine bemerkenswerte Dynamik in den Brexit-Gesprächen. Noch vor einer Woche waren London und Brüssel damit beschäftigt, sich gegenseitig die Schuld an einem vertragslosen Austritt in die Schuhe zu schieben. Nun konnten beide Seiten am Donnerstagmittag den Durchbruch bei den Verhandlungen vermelden.
"As it stands we cannot support this deal" - Labour leader Jeremy Corbyn refuses to back the new #BrexitDeal
— BBC Politics (@BBCPolitics) October 17, 2019
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Die Zustimmung der 27 verbleibenden Mitgliedsstaaten am EU-Gipfel ist mehr oder weniger Formsache. Schwieriger dürfte es für Johnson an der «Heimatfront» werden. Das Unterhaus muss den Vertrag an einer Sondersitzung am Samstag absegnen. Widerstand gibt es von allen Seiten. Brexit-Ultrahardliner Nigel Farage lehnt den Deal ebenso ab wie die Labour-Partei.
Besonders heikel ist die Haltung der nordirischen Protestantenpartei DUP. Sie tut sich schwer mit der neuen, sehr komplizierten Lösung für die Grenze zur Republik Irland. Mit ihr soll die «Quadratur des Kreises» umgesetzt werden: Die Grenze soll «unsichtbar» bleiben und der europäische Markt gleichzeitig vor unerwünschten Importen aus Drittstaaten geschützt werden.
Boris Johnsons Chancen sind dennoch intakt. Der begnadete Sprücheklopfer versteht es wesentlich besser als seine autistisch veranlagte Vorgängerin Theresa May, Menschen um den Finger zu wickeln. Wenn es hart auf hart geht, kann er vermutlich auf Labour-Abgeordnete aus Pro-Brexit-Wahlkreisen zählen. Mit ihrer Hilfe könnte er im Unterhaus eine knappe Mehrheit erreichen.
Seine konservative Partei hat die PR-Maschinerie für den «grossartigen neuen Deal» bereits angeworfen. Nach den Drohgebärden der letzten Wochen aber ist Johnson faktisch vor der EU «eingeknickt». Der Grund dafür ist simpel: It's the economy, stupid! In den letzten Tagen haben sich die Warnsignale aus der britischen Wirtschaft vor den Folgen eines Chaos-Brexits gehäuft:
Mit den Worten «Fuck Business» soll der Premierminister einst solche Bedenken vom Tisch gewischt haben. Am Ende konnte er sie nicht mehr ignorieren. Sein «Einknicken» enthält auch eine Botschaft an die Schweiz und die hiesige Debatte über das Rahmenabkommen: Man setzt nicht ungestraft das Verhältnis zum wichtigsten Handelspartner aufs Spiel.
In Brüssel wird stets betont, wie unterschiedlich die Ausgangslage sei: Mit den Briten gehe es um einen Scheidungsvertrag, während man das bilaterale Verhältnis mit der Schweiz konsolidieren und vertiefen wolle. Sie ist stärker in den EU-Binnenmarkt integriert als manches Mitgliedsland. Und vor allem hat London auch mit dem neuen Deal mehr Zugeständnisse als die EU gemacht.
Die Briten sind vordergründig den umstrittenen Backstop für das Irland-Problem losgeworden, faktisch aber müssen sie einen Teil ihrer Souveränität über Nordirland abtreten. Dies ist der Hauptgrund, warum die DUP sich weiterhin querlegt. Interessant ist dieser Aspekt nicht zuletzt mit Blick auf die «dynamische» Übernahme von EU-Recht, die nicht nur von der SVP verteufelt wird.
Eigentlich wissen der Bundesrat, die meisten Parteien und die Sozialpartner, was auf dem Spiel steht. Deshalb wurde Europa im Wahlkampf weitgehend totgeschwiegen, zum Leidwesen der SVP. Nach den Wahlen aber muss die Schweiz Farbe bekennen. Vielleicht erhält sie nochmals eine «Gnadenfrist», weil die neue EU-Kommission wohl erst im Dezember ihr Amt antreten wird.
Sich vom Briten-Deal blenden zu lassen und auf Zugeständnisse bei umstrittenen Punkten wie dem Lohnschutz zu hoffen, wäre ein Fehler. Wenn Boris Johnson «umkippt», kann sich die Schweiz erst recht nicht erlauben, ihr Verhältnis zur EU mutwillig zu gefährden.
Würde mich allerdings nicht wundern, wenn sie den neuen vertrag wieder versenken. Und schuld ist dann wieder die eu....
Kopfschüttel
Ich finde nicht, das nur Johnson eingeknickt ist. Die EU hat ja auch nochmal nachgelegt bei einer Sache, die angeblich schon seit Monaten per Definition sakro sankt war in ihrer Substanz.
Was heisst das für uns? Mit der EU kann man Reden. Überraschung! Aber der Deal muss ja erst noch durchs Parlament in GB..