Die ukrainische Hauptstadt Kiew war viele Wochen einer der Brennpunkte im Angriffskrieg von Russland. Mitten im Geschehen: Vitali Klitschko. Der ehemalige Box-Weltmeister ist seit 2014 der Bürgermeister Kiews und damit pausenlos gefordert. Am Wochenende gab Klitscho der «Sonntagszeitung» per Video ein Interview.
Dabei sprach er über die Situation in der ukrainischen Hauptstadt, Wladimir Putin sowie die humanitäre Lage in der Ukraine – und richtete gleichzeitig einen Appell an die Schweizer Bevölkerung.
Klitschko sagte, im Krieg verliere man jegliches Zeitgefühl. Er schlafe kaum noch und wisse teilweise nicht mehr, welcher Tag gerade sei. «Wir sind nonstop an der Arbeit, Tag und Nacht kommen die Hilferufe», so der 50-Jährige. «Ständig müssen wir Menschen in Sicherheit bringen, Leben retten, Essen und Medikamente organisieren. Eine Krisensitzung folgt der nächsten.»
Es sei auch kaum mehr möglich, Pläne zu machen. «Jede Sekunde kann der Alarm losgehen und wir müssen in den Bunker flüchten», so Klitschko. Und nicht nur die Tage seien intensiv – auch in der Nacht ertönen drei oder vier mal die Sirenen.
Trotz seinen Bemühungen konnte Russland bisher kaum Fortschritte im Kampf um Kiew machen. Dies komme für ihn nicht überraschend, hielt Klitschko fest. Entscheidend sei die Moral, welche ukrainischen Soldaten täglich aufbringen können. «Unsere Soldaten, unsere Patrioten kämpfen nicht für Geld wie die russischen Soldaten», sagte der Bürgermeister.
Gleichzeitig ist Klitschko überzeugt, dass der Kampf um die Hauptstadt nicht vorbei sei, auch wenn die russische Regierung zuletzt einen Abzug der Truppen rund um Kiew angekündigt hatte. «Es war eine weitere grosse Lüge!», sagte Klitschko. «Die Vergangenheit hat uns gelehrt: Trau dem Russen niemals!» So gäbe es nach wie vor ständige Explosionen. Am Donnerstag etwa sollen erneut zwei Raketen eingeschlagen sein, wobei Menschen gestorben sein sollen.
Der andauernde Kampf auf die Hauptstadt setze der Bevölkerung Kiews immer mehr zu, so Vitali Klitschko. Die Infrastruktur sei zerstört, die Logistik zusammengebrochen und die Versorgungswege in die Stadt versperrt. «Noch haben wir Reserven für ein paar Wochen», sagte Klitschko, «aber im Osten der Ukraine zeichnet sich eine riesige humanitäre Katastrophe ab.»
Noch sei es zwar für die Leute nach wie vor möglich, in den Supermärkten einzukaufen, doch auch das berge für Zivilisten grosse Gefahren. «Es sind russische Scharfschützen in der Stadt», berichtete Klitschko. Deshalb werden Frauen und ältere Menschen derzeit direkt mit Hilfsgütern versorgt.
Klitschko äusserte sich auch zum russischen Präsidenten, welchen er während seiner Sportlerkarriere vor zehn Jahren einst noch selbst kurz getroffen hatte. Der Bürgermeister von Kiew mag ebenfalls nicht ausschliessen, dass Wladimir Putin zu nuklearen Waffen greifen würde. «Putin ist unberechenbar», warnt Klitschko, «für mich ist klar: Er ist krank.» Er vermutet, das Ziel des russischen Präsidenten sei es, die ehemalige Sowjetunion zurück zu haben. «Er will Macht. Er will ein russisches Reich.»
Zum Ende des Interviews richtete Klitschko noch einen Appell an die Schweizer Bevölkerung. «Ich habe eine Botschaft an die Schweizer: Bitte helfen Sie der Ukraine. Stehen Sie uns bei», sagte er. Zusammen sei es möglich, den Krieg zu beenden. Gleichzeitig bedankte er sich für die bisherige Solidarität mit der Ukraine.
(dab)