International
Wirtschaft

Ukraine-Konflikt: Putins Rubel-Bluff beim Gasexport ist geplatzt

FILE - A Russian construction worker speaks on a mobile phone during a ceremony marking the start of Nord Stream pipeline construction in Portovaya Bay some 170 kms (106 miles) north-west from St. Pet ...
Russland transportiert sein Gas mit Pipelines: Hier eine Nord-Stream-Röhre.Bild: keystone
Analyse

Putins Rubel-Bluff beim Gasexport ist geplatzt

Russisches Gas gebe es nur noch gegen Rubel, verkündete Präsident Putin. Jetzt darf der Westen weiter in Dollar oder Euro zahlen. Denn Russland hätte sich damit selbst geschadet.
01.04.2022, 14:1502.04.2022, 17:03
Mehr «International»

Auf den ersten Blick schien Wladimir Putin gewonnen zu haben. Der russische Präsident unterzeichnete am Donnerstag ein Dekret, das westliche Staaten verpflichtet, ein Konto bei der Gazprombank zu eröffnen. Andernfalls gäbe es kein Gas mehr. Eine Woche zuvor hatte Putin erklärt, «unfreundliche Staaten» müssten sein Erdgas künftig in Rubel bezahlen.

Mit dem Konto bei der Gazprombank schien er sein Ziel erreicht zu haben. Auch westliche Medien wie CNN vermeldeten das Dekret als vermeintlichen Erfolg Putins. In Wirklichkeit hat der russische Bär seine Krallen eingezogen. Denn die Abnehmer dürfen weiterhin Dollar oder Euro überweisen. Diese werden von der Bank in Rubel umgewandelt.

Die G7-Wirtschaftsmächte hatten die geforderten Rubel-Zahlungen strikt abgelehnt und auf die Einhaltung bestehender Verträge gepocht. In Telefongesprächen mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi sicherte Putin zu, alle Staaten in Europa könnten ihre Gasrechnung in Dollar oder Euro begleichen.

Russland braucht Europa

Zwar wiederholte Putin am Donnerstag seine Drohungen an die «unfreundlichen Staaten», doch damit kaschierte er, dass er sein Hauptziel nicht erreicht hat. Dabei geht es nicht nur um Vertragstreue. Westliche Staaten, vor allem Deutschland und Italien, sind auf russisches Gas angewiesen, doch auf der Gegenseite ist die Abhängigkeit ebenso gross.

Dieser Aspekt wird häufig übersehen. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs wird der Stopp der Gas- und Ölexporte als schärfste «Waffe» Moskaus gegen den Westen beschworen. «In Wirklichkeit aber würde Russland seiner Wirtschaft immensen Schaden zufügen, wenn es kein Gas mehr nach Europa liefert», kommentierte die «Financial Times».

Putin braucht das Geld

Russland ist der weltgrösste Erdgasförderer, doch der Export erfolgt überwiegend durch Pipelines, und diese führen vor allem Richtung Westen. Die Leitungen nach China sind erst im Aufbau begriffen. Gleiches gilt für Anlagen zur Umwandlung in Flüssiggas (LNG). Putin kann auf Europa als Absatzmarkt nicht verzichten. Er braucht das Geld für den Krieg.

epa09848331 (FILE) - Bahamas-registered LNG tanker ship 'Arctic Voyager' arrives in the port of Rotterdam, the Netherlands, 06 July 2011 (reissued 26 March 2022). The US committed to deliver ...
Ein Tanker mit amerikanischem Flüssiggas im Hafen von Rotterdam. Die USA wollen deutlich mehr liefern.Bild: keystone

Die Europäer hingegen wollen sich von Moskau abwenden. US-Präsident Joe Biden hat mit der EU einen Deal abgeschlossen, der die Lieferung von bis zu 50 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas pro Jahr vorsieht. Damit könnte etwa ein Drittel der derzeitigen Gasimporte aus Russland ersetzt werden. Diesen Ausfall wird Wladimir Putin nicht so leicht verkraften.

Die Sanktionen wirken

«Nach viel Rauch und Spiegelfechterei des Kremls beleuchtet diese Episode die Probleme Russlands beim Verhängen von ‹Gegen-Sanktionen›, die seiner eigenen Wirtschaft nicht noch grösseren Schaden zufügen», folgerte die «Financial Times». Denn mit den Sanktionen des Westens wird Russlands Wirtschaft «empfindlich geschwächt», schreibt CH Media.

Das betrifft nicht nur Güter des täglichen Bedarfs, die immer teurer würden. Russland ist laut der ukrainischen Armee auch nicht mehr in der Lage, neue Panzer herzustellen und alte zu reparieren. Es fehlt an Teilen. Aus diesem Grund hat das Gasunternehmen Novatek offenbar auch die Entwicklung von LNG-Projekten in der Arktis eingestellt.

China hilft nicht

Von China ist wenig Hilfe zu erwarten. Zwar zelebrierten die Aussenminister Sergej Lawrow und Wang Yi diese Woche in Peking einen Schulterschluss, mit dem China den Russen im Ukraine-Krieg vermeintlich den Rücken stärkte. Auch in den chinesischen Staatsmedien wird vor allem die russische Sicht dargestellt und von «spezieller Militäroperation» gesprochen.

In this photo released by Xinhua News Agency, Chinese Foreign Minister Wang Yi poses for photos with Russian Foreign Minister Sergei Lavrov in Tunxi, eastern China's Anhui Province, Wednesday, Ma ...
Sergej Lawrow und Wang Yi zelebrierten den Schulterschluss, aber China ist keine grosse Hilfe.Bild: keystone

Bei konkreten Taten aber mangelt es nach Ansicht von Experten an Unterstützung. So gehörten Chinas Banken zu den ersten, die die westlichen Sanktionen umsetzten. Denn das Geschäft mit dem «Erzfeind» USA ist wichtiger als jenes mit dem russischen «Bruder». Auch gibt es Berichte über Zurückhaltung chinesischer Ölunternehmen bei Projekten in Russland.

Europa sucht weiter Alternativen

Dabei geht es nicht nur um die Sanktionen. Sie zweifeln offenbar, ob sie ihr Geld sehen werden. Auch deshalb braucht Wladimir Putin die Einnahmen aus dem Gasverkauf. Mit seinem Rubel-Stunt dürfte er sich am Ende nicht nur verpokert, sondern ein veritables Eigentor geschossen haben. Europa wird sich erst recht nach Alternativen umsehen.

Davon geht auch die «Financial Times» aus: «Selbst wenn einige Sanktionen als Teil eines Friedensvertrags in der Ukraine aufgehoben werden, wird Europas neue Entschlossenheit bleiben, seine Abhängigkeit vom Moskauer Gas zu beenden.» Für seinen irrationalen Krieg wird der russische Präsident in jeder Beziehung einen hohen Preis bezahlen.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
So leidet die russische Bevölkerung unter dem Ukraine-Krieg
1 / 13
So leidet die russische Bevölkerung unter dem Ukraine-Krieg
1. Rationierte Nahrungsmittel
Viele Russen decken sich aufgrund der unsicheren Lage mit größeren Mengen an Lebensmitteln ein. Zudem erklärt der Kreml, hätten einzelne Personen tonnenweise Nahrungsmittel erstanden ...
quelle: keystone / anatoly maltsev
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Auszüge von Putins Rede im O-Ton
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
110 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
TRN
01.04.2022 15:05registriert Dezember 2021
Putin versteht noch so einiges nicht. Er hat ja auch behauptet, der Westen hätte einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen Russland entfacht. Dabei handelt es sich nur um eine Spezialoperation zur Entrussifizierung der Weltwirtschaft.
3587
Melden
Zum Kommentar
avatar
Rüedu 22
01.04.2022 14:31registriert Januar 2022
und ich hoffe der Wiederaufbau in der Ukraine, sowie Witwen und Waisenrenten wird dem Wladimir in Rechnung gestellt.
21114
Melden
Zum Kommentar
avatar
Tilman Fliegel
01.04.2022 15:00registriert Februar 2014
Putins Drohung erinnert mich an Facebooks Drohung, sich aus Europa zurückzuziehen: totale Verkennung der eigentlichen Abhängigkeiten.
886
Melden
Zum Kommentar
110
    Millionäre am WEF fordern Steuern für Superreiche

    Millionäre und Milliardäre haben am Weltwirtschaftsforum in Davos höhere Steuern für Superreiche wie sie selbst gefordert. Extremer Reichtum sei eine Gefahr für die Demokratie, weil damit oft politischer Einfluss einhergehe, warnten rund 370 Unterzeichner in einem Offenen Brief an Staats- und Regierungschefs.

    Zur Story