Auf den ersten Blick schien Wladimir Putin gewonnen zu haben. Der russische Präsident unterzeichnete am Donnerstag ein Dekret, das westliche Staaten verpflichtet, ein Konto bei der Gazprombank zu eröffnen. Andernfalls gäbe es kein Gas mehr. Eine Woche zuvor hatte Putin erklärt, «unfreundliche Staaten» müssten sein Erdgas künftig in Rubel bezahlen.
Mit dem Konto bei der Gazprombank schien er sein Ziel erreicht zu haben. Auch westliche Medien wie CNN vermeldeten das Dekret als vermeintlichen Erfolg Putins. In Wirklichkeit hat der russische Bär seine Krallen eingezogen. Denn die Abnehmer dürfen weiterhin Dollar oder Euro überweisen. Diese werden von der Bank in Rubel umgewandelt.
Die G7-Wirtschaftsmächte hatten die geforderten Rubel-Zahlungen strikt abgelehnt und auf die Einhaltung bestehender Verträge gepocht. In Telefongesprächen mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi sicherte Putin zu, alle Staaten in Europa könnten ihre Gasrechnung in Dollar oder Euro begleichen.
Zwar wiederholte Putin am Donnerstag seine Drohungen an die «unfreundlichen Staaten», doch damit kaschierte er, dass er sein Hauptziel nicht erreicht hat. Dabei geht es nicht nur um Vertragstreue. Westliche Staaten, vor allem Deutschland und Italien, sind auf russisches Gas angewiesen, doch auf der Gegenseite ist die Abhängigkeit ebenso gross.
Dieser Aspekt wird häufig übersehen. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs wird der Stopp der Gas- und Ölexporte als schärfste «Waffe» Moskaus gegen den Westen beschworen. «In Wirklichkeit aber würde Russland seiner Wirtschaft immensen Schaden zufügen, wenn es kein Gas mehr nach Europa liefert», kommentierte die «Financial Times».
Russland ist der weltgrösste Erdgasförderer, doch der Export erfolgt überwiegend durch Pipelines, und diese führen vor allem Richtung Westen. Die Leitungen nach China sind erst im Aufbau begriffen. Gleiches gilt für Anlagen zur Umwandlung in Flüssiggas (LNG). Putin kann auf Europa als Absatzmarkt nicht verzichten. Er braucht das Geld für den Krieg.
Die Europäer hingegen wollen sich von Moskau abwenden. US-Präsident Joe Biden hat mit der EU einen Deal abgeschlossen, der die Lieferung von bis zu 50 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas pro Jahr vorsieht. Damit könnte etwa ein Drittel der derzeitigen Gasimporte aus Russland ersetzt werden. Diesen Ausfall wird Wladimir Putin nicht so leicht verkraften.
«Nach viel Rauch und Spiegelfechterei des Kremls beleuchtet diese Episode die Probleme Russlands beim Verhängen von ‹Gegen-Sanktionen›, die seiner eigenen Wirtschaft nicht noch grösseren Schaden zufügen», folgerte die «Financial Times». Denn mit den Sanktionen des Westens wird Russlands Wirtschaft «empfindlich geschwächt», schreibt CH Media.
Das betrifft nicht nur Güter des täglichen Bedarfs, die immer teurer würden. Russland ist laut der ukrainischen Armee auch nicht mehr in der Lage, neue Panzer herzustellen und alte zu reparieren. Es fehlt an Teilen. Aus diesem Grund hat das Gasunternehmen Novatek offenbar auch die Entwicklung von LNG-Projekten in der Arktis eingestellt.
Von China ist wenig Hilfe zu erwarten. Zwar zelebrierten die Aussenminister Sergej Lawrow und Wang Yi diese Woche in Peking einen Schulterschluss, mit dem China den Russen im Ukraine-Krieg vermeintlich den Rücken stärkte. Auch in den chinesischen Staatsmedien wird vor allem die russische Sicht dargestellt und von «spezieller Militäroperation» gesprochen.
Bei konkreten Taten aber mangelt es nach Ansicht von Experten an Unterstützung. So gehörten Chinas Banken zu den ersten, die die westlichen Sanktionen umsetzten. Denn das Geschäft mit dem «Erzfeind» USA ist wichtiger als jenes mit dem russischen «Bruder». Auch gibt es Berichte über Zurückhaltung chinesischer Ölunternehmen bei Projekten in Russland.
Dabei geht es nicht nur um die Sanktionen. Sie zweifeln offenbar, ob sie ihr Geld sehen werden. Auch deshalb braucht Wladimir Putin die Einnahmen aus dem Gasverkauf. Mit seinem Rubel-Stunt dürfte er sich am Ende nicht nur verpokert, sondern ein veritables Eigentor geschossen haben. Europa wird sich erst recht nach Alternativen umsehen.
Davon geht auch die «Financial Times» aus: «Selbst wenn einige Sanktionen als Teil eines Friedensvertrags in der Ukraine aufgehoben werden, wird Europas neue Entschlossenheit bleiben, seine Abhängigkeit vom Moskauer Gas zu beenden.» Für seinen irrationalen Krieg wird der russische Präsident in jeder Beziehung einen hohen Preis bezahlen.