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Ukraine: Dnipro-Staudamm steht nach russischen Angriffen in Flammen

Der brennende Staudamm bei Saporischschja.
Der brennende Staudamm bei Saporischschja.bild: screenshot X

Dnipro-Staudamm nach russischen Angriffen in Flammen – was wir wissen

Russische Raketen haben am Freitag den Dnipro-Staudamm getroffen. Die Talsperre nahe der Stadt Saporischschja steht in Flammen, ein Dammbruch soll aber nicht drohen. Dennoch werden böse Erinnerungen wach.
22.03.2024, 10:3322.03.2024, 12:30
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Russland hat in der Nacht auf Freitag einen der schwersten Raketenangriffe der letzten Monate auf die Ukraine durchgeführt. Ins Visier nahmen die Truppen von Präsident Wladimir Putin einmal mehr die ukrainische Energieversorgung. In allen Landesteilen der Ukraine von Lwiw im Westen bis nach Donezk im Osten, von Charkiw und Sumy im Norden bis nach Odessa und Mykolajiw im Süden herrschte Luftalarm.

Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat Russland 60 Drohnen und fast 90 Raketen für den Beschuss eingesetzt. Vielerorts wurden Energieanlagen getroffen. Der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko schrieb auf Facebook:

«Das Ziel (der Angriffe) besteht nicht nur darin, das Energiesystem des Landes zu beschädigen, sondern wie im letzten Jahr erneut zu versuchen, einen grossflächigen Ausfall herbeizuführen.»

Bus auf dem Damm getroffen

Bei den russischen Angriffen wurde mit dem Dnipro-Staudamm unmittelbar bei der Grossstadt Saporischschja auch die grösste Talsperre des Landes getroffen. Videos und Bilder in den sozialen Medien zeigen den brennenden Damm. Aufnahmen auf dem X-Kanal BrennpunktUA zeigen, dass das östliche Betriebshaus des Damms sogar direkt getroffen wurde. Demnach standen die Turbinen des Wasserkraftwerks in Flammen.

Der ukrainische Wasserkraft-Betreiber Ukrhydroenergo bestätigte die Angriffe und meldete einen Brand im Kraftwerk, erklärte aber, dass kein Bruch drohe und die Situation unter Kontrolle sei. Mitarbeiter und Notfalldienste seien im Einsatz.

Petro Andriushchenko, Berater des im Exil lebenden, einstigen Bürgermeisters von Mariupol, berichtete auf seinem Telegram-Kanal, dass ein Bus getroffen wurde, der auf dem Damm fuhr. Im Bus sollen Zivilisten gewesen sein, die auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem Weg zurück waren. Die Zahl der Opfer ist nicht bekannt, die Angaben lassen sich nicht unabhängig prüfen.

Im Zweiten Weltkrieg zerstört

Der 1932 errichtete Damm ist 760 Meter lang, hebt den Wasserspiegel des Dnipro um 37,8 Meter und staut mit dem Saporischschja-Stausee ein Wasserreservoir von etwa 3,3 Kubikkilometern auf. Im Sommer 1941 sprengten sowjetische Soldaten auf dem Rückzug vor den deutschen Truppen die Staumauer. Bis zu 35'000 m³/s Wasser strömten damals durch die Bresche und der Stausee lief leer. Zwischen 20'000 und 100'000 Zivilisten sollen ums Leben gekommen sein, zahlreiche Industriebetriebe wurden zerstört.

Der Staudamm nach seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg.
Der Staudamm nach seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg.bild: wikimedia commons

Die Deutschen bauten die Staumauer bis Ende 1942 wieder auf. Im Oktober 1943 mussten sie sich jedoch zurückziehen und bombardierten nun ihrerseits die Staumauer aus der Luft, sodass sie abermals zerstört wurde. In den Jahren 1944 bis 1950 wurde der Damm dann von der Sowjetunion wieder aufgebaut.

Erinnerungen an Kachowka-Katastrophe

Der Angriff weckt in der Ukraine aber noch weitere, böse Erinnerungen: Am 6. Juni des letzten Jahres zerstörten russische Streitkräfte den weiter flussabwärts liegenden Kachowka-Staudamm und das angrenzende Wasserkraftwerk. Durch die Zerstörung der Talsperre kam es zu grossflächigen Überschwemmungen im Süden der Ukraine, was schwerwiegende sozioökonomische und ökologische Folgen für die Region hatte.

Zurück blieb nicht viel mehr als eine Trümmerlandschaft aus Müll, giftigen Schadstoffen oder verwesenden Fischen. Ausserdem war die Wasserversorgung von rund 700'000 Menschen von einem Tag auf den anderen nicht mehr gewährleistet.

Leitung zu AKW Saporischschja gekappt

Die schweren russischen Angriffe in der Nacht auf Freitag trafen aber nicht nur den Dnipro-Staudamm, auch eine Hochspannungsleitung, die das Atomkraftwerk Saporischschja mit Strom versorgt, wurde zerstört. Die Stromleitung Dniprowskaja sei am Morgen ausgefallen, teilte die Kraftwerksleitung des vom russischen Militär besetzten Kraftwerks im Süden der Ukraine auf Telegram mit. Die Stromversorgung gewährleiste eine Ersatzleitung, Gefahr für die Sicherheit des AKW bestehe nicht, hiess es weiter.

FILE - The Zaporizhzhia nuclear power plant, Europe's largest, is seen in the background of the shallow Kakhovka Reservoir after the dam collapse, in Energodar, Russian-occupied Ukraine, Tuesday, ...
Das Atomkraftwerk Saporischschja produziert seit längerer Zeit keinen Storm mehr, muss aber weiterhin gekühlt werden.Bild: keystone

Das grösste Kernkraftwerk Europas wurde im März 2022 kurz nach Kriegsbeginn von russischen Truppen besetzt. Bis heute liegt es im Frontgebiet und ist mehrfach unter Beschuss geraten. Wegen der Sicherheitsbedenken wurden die Reaktoren schliesslich heruntergefahren, müssen aber weiter gekühlt werden. (pre)

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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Tokyo
22.03.2024 10:39registriert Juni 2021
ein weiterer gezielter Terroranschlag gegen die zivile Infrastruktur des Landes; ein weitere Kriegsverbrechen des russischen Regimes.
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TommyGun
22.03.2024 11:36registriert Oktober 2020
Jeden Tag ein neues Kriegsverbrechen und es bleibt wie immer ungesühnt. Wenn die Ukraine besiegt wird und wir Putin dann im Baltikum und Moldau zündeln sehen wird es zu spät sein aufzuwachen. Die Europäer müssen endlich den Ernst der Lage begreifen.
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Hans Jürg
22.03.2024 11:00registriert Januar 2015
Auch hier greift man völkerrechtswidrig zivile Einrichtungen an.
Ausserdem ist dieser Staudamm nicht nur für die Energieversorgung wichtig. Er ist für die Region ein Identifikationspunkt. Und der Mitte des Flusses hat es eine grosse Insel, die als Naherholungsgebiet dient. Und es hat ein sehr grosses Freilichtmuseum. Es wurde eine historische Stadt aufgebaut, das die Geschichte der historischen Ukraine aufzeigt.
Das will Putin natürlich zerstören. Denn die Identität der Ukraine ist für ihn ja bekanntlich nicht existent.
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    Israel will seine Offensive im Gazastreifen gegen die islamistische Hamas weiter verschärfen. Dies sei bei einer Sitzung des Sicherheitskabinetts einstimmig beschlossen worden, berichteten verschiedene israelische Medien in der Nacht unter Berufung auf Beamte.

    Ziel ist es demnach, den Druck auf die Hamas zu erhöhen, um die Freilassung weiterer Geiseln zu erzwingen. Zudem billigte das Sicherheitskabinett einen Plan zur Wiederaufnahme von Hilfslieferungen in den abgeriegelten Küstenstreifen.

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