Russland hat in der Nacht auf Freitag einen der schwersten Raketenangriffe der letzten Monate auf die Ukraine durchgeführt. Ins Visier nahmen die Truppen von Präsident Wladimir Putin einmal mehr die ukrainische Energieversorgung. In allen Landesteilen der Ukraine von Lwiw im Westen bis nach Donezk im Osten, von Charkiw und Sumy im Norden bis nach Odessa und Mykolajiw im Süden herrschte Luftalarm.
Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat Russland 60 Drohnen und fast 90 Raketen für den Beschuss eingesetzt. Vielerorts wurden Energieanlagen getroffen. Der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko schrieb auf Facebook:
Overnight, russia attacked Ukraine with more than 60 Shahed UAVs and almost 90 missiles of various types.
— Defense of Ukraine (@DefenceU) March 22, 2024
The main targets for russian terrorists are energy facilities, including Ukraine's largest hydroelectric power plant, and apartment buildings.
Ukraine needs more air… pic.twitter.com/f8s5qE88Cn
Bei den russischen Angriffen wurde mit dem Dnipro-Staudamm unmittelbar bei der Grossstadt Saporischschja auch die grösste Talsperre des Landes getroffen. Videos und Bilder in den sozialen Medien zeigen den brennenden Damm. Aufnahmen auf dem X-Kanal BrennpunktUA zeigen, dass das östliche Betriebshaus des Damms sogar direkt getroffen wurde. Demnach standen die Turbinen des Wasserkraftwerks in Flammen.
Der ukrainische Wasserkraft-Betreiber Ukrhydroenergo bestätigte die Angriffe und meldete einen Brand im Kraftwerk, erklärte aber, dass kein Bruch drohe und die Situation unter Kontrolle sei. Mitarbeiter und Notfalldienste seien im Einsatz.
Das Filmmaterial soll einen der zahlreichen russischen 🇷🇺 Raketenangriffe auf den 🇺🇦 Dnipro-Staudamm zeigen. Das Dnipro HPP ist das größte Wasserkraftwerk am Dnjepr.
— @BrennpunktUA 🇩🇪🇺🇦 (@BrennpunktUA) March 22, 2024
pic.twitter.com/hba9FhQP1f
Petro Andriushchenko, Berater des im Exil lebenden, einstigen Bürgermeisters von Mariupol, berichtete auf seinem Telegram-Kanal, dass ein Bus getroffen wurde, der auf dem Damm fuhr. Im Bus sollen Zivilisten gewesen sein, die auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem Weg zurück waren. Die Zahl der Opfer ist nicht bekannt, die Angaben lassen sich nicht unabhängig prüfen.
A trolleybus was hit and caught on fire when a Russian missile hit the dam, said Petro Andriushchenko, an advisor to the exiled mayor of Mariupol. Civilians were in the vehicle during the attack, the official said, without specifying the number of casualties.
— The Kyiv Independent (@KyivIndependent) March 22, 2024
📷Petro… pic.twitter.com/2GXciTAfSE
Der 1932 errichtete Damm ist 760 Meter lang, hebt den Wasserspiegel des Dnipro um 37,8 Meter und staut mit dem Saporischschja-Stausee ein Wasserreservoir von etwa 3,3 Kubikkilometern auf. Im Sommer 1941 sprengten sowjetische Soldaten auf dem Rückzug vor den deutschen Truppen die Staumauer. Bis zu 35'000 m³/s Wasser strömten damals durch die Bresche und der Stausee lief leer. Zwischen 20'000 und 100'000 Zivilisten sollen ums Leben gekommen sein, zahlreiche Industriebetriebe wurden zerstört.
Die Deutschen bauten die Staumauer bis Ende 1942 wieder auf. Im Oktober 1943 mussten sie sich jedoch zurückziehen und bombardierten nun ihrerseits die Staumauer aus der Luft, sodass sie abermals zerstört wurde. In den Jahren 1944 bis 1950 wurde der Damm dann von der Sowjetunion wieder aufgebaut.
Der Angriff weckt in der Ukraine aber noch weitere, böse Erinnerungen: Am 6. Juni des letzten Jahres zerstörten russische Streitkräfte den weiter flussabwärts liegenden Kachowka-Staudamm und das angrenzende Wasserkraftwerk. Durch die Zerstörung der Talsperre kam es zu grossflächigen Überschwemmungen im Süden der Ukraine, was schwerwiegende sozioökonomische und ökologische Folgen für die Region hatte.
Zurück blieb nicht viel mehr als eine Trümmerlandschaft aus Müll, giftigen Schadstoffen oder verwesenden Fischen. Ausserdem war die Wasserversorgung von rund 700'000 Menschen von einem Tag auf den anderen nicht mehr gewährleistet.
Die schweren russischen Angriffe in der Nacht auf Freitag trafen aber nicht nur den Dnipro-Staudamm, auch eine Hochspannungsleitung, die das Atomkraftwerk Saporischschja mit Strom versorgt, wurde zerstört. Die Stromleitung Dniprowskaja sei am Morgen ausgefallen, teilte die Kraftwerksleitung des vom russischen Militär besetzten Kraftwerks im Süden der Ukraine auf Telegram mit. Die Stromversorgung gewährleiste eine Ersatzleitung, Gefahr für die Sicherheit des AKW bestehe nicht, hiess es weiter.
Das grösste Kernkraftwerk Europas wurde im März 2022 kurz nach Kriegsbeginn von russischen Truppen besetzt. Bis heute liegt es im Frontgebiet und ist mehrfach unter Beschuss geraten. Wegen der Sicherheitsbedenken wurden die Reaktoren schliesslich heruntergefahren, müssen aber weiter gekühlt werden. (pre)
Ausserdem ist dieser Staudamm nicht nur für die Energieversorgung wichtig. Er ist für die Region ein Identifikationspunkt. Und der Mitte des Flusses hat es eine grosse Insel, die als Naherholungsgebiet dient. Und es hat ein sehr grosses Freilichtmuseum. Es wurde eine historische Stadt aufgebaut, das die Geschichte der historischen Ukraine aufzeigt.
Das will Putin natürlich zerstören. Denn die Identität der Ukraine ist für ihn ja bekanntlich nicht existent.