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Im von Russland besetzten Teil der südukrainischen Region Cherson sind nach Angaben der Kriegsparteien ein wichtiger Staudamm sowie ein angrenzendes Kraftwerk nahe der Front schwer beschädigt worden. Der Militärgouverneur des Gebiets, Olexander Prokudin, warnte, innerhalb von fünf Stunden könne der Wasserstand eine kritische Höhe erreichen.
Mittlerweile stehen Teile der Stadt Cherson unter Wasser, Evakuationen wurden auf ukrainischer sowie russischer Seite eingeleitet. Die prorussische Regierung vor Ort hat den Notstand ausgerufen.
Parts of the city of Kherson have already started to flood, following the destruction of the Kakhovka dam.
— Jimmy Rushton (@JimmySecUK) June 6, 2023
The majority of the city is on relatively high ground in relation to the river and should be spared the worst flooding. pic.twitter.com/Na42bRVDwh
Kiew und Moskau machten sich am Dienstagmorgen gegenseitig für den Vorfall mit potenziell gravierenden Folgen verantwortlich. Das ukrainische Einsatzkommando Süd teilte mit, die russischen Besatzer hätten den Damm in der Stadt Nowa Kachowka selbst gesprengt. Präsident Selenskyj sprach via Twitter von «russischen Terroristen», die für das Desaster verantwortlich seien.
Russian terrorists. The destruction of the Kakhovka hydroelectric power plant dam only confirms for the whole world that they must be expelled from every corner of Ukrainian land. Not a single meter should be left to them, because they use every meter for terror. It’s only… pic.twitter.com/ErBog1gRhH
— Володимир Зеленський (@ZelenskyyUa) June 6, 2023
Die russischen Besatzer hingegen machten ukrainischen Beschuss für die Schäden am Kachowka-Staudamm verantwortlich. Das russische Staatsmedium «RIA Novosti» berichtete zuerst, dass der Damm von ukrainischen «Wilcha»-Raketenwerfern beschossen worden sei, und zitierte dabei die Verwaltung von Nowa Kachowka.
In einem späteren Statement gegenüber der Staatszeitung «Tass» erklärte Wladimir Leontjew, der von Moskau eingesetzte Bürgermeister in Nowa Kachowka, dass Raketeneinschläge den Schaden verursacht hätten.
Die Angaben beider Seiten konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.
Der Damm liegt am Unterlauf des Dnjepr, rund 70 Kilometer nordöstlich von Cherson. Der Stausee, genannt Kachowka-Reservoir, hat in etwa die Fläche des Kantons St.Gallen. Er ist rund 240 km lang, bis zu 23 Kilometer breit und führt ein Volumen von rund 18,2 km3 Wasser. Der Damm selbst ist etwa 3 Kilometer lang. Er stellt die letzte Stufe einer Serie von sechs Stauseen entlang des Dnjepr dar.
Der Kachowka-Staudamm wurde 1956 während der Sowjet-Zeit gebaut. Von den 28 Säulen, auf denen der Damm steht, sollen 11 zerstört sein, berichtet das prorussische Medium Rybar auf Telegram.
Gemäss Simulationen dürfte am späteren Abend eine rund 4–5 Meter hohe Flutwelle den Hafen von Cherson treffen.
Auf der rechten Seite des Flusses Dnipro, wo auch die von den Ukrainern befreite Gebietshauptstadt Cherson liegt, befänden sich rund 16'000 Menschen in der «kritischen Zone», Evakuierungen seien im Gange. Man habe Extrazüge einbestellt, um die gefährdeten Personen in Sicherheit zu bringen, erklärte Militärgouverneur Prokudin.
Premierminister Denys Schmyhal erklärte am Dienstag, dass rund 80 Siedlungen von der Flut bedroht seien. Das ukrainische Staatsmedium Suspilne veröffentlichte dazu eine Karte mit den grössten betroffenen Siedlungen.
Auf russischer Seite sah man dem Ganzen gelassener entgegen. «Der Wasserstand in Nowa Kachowka ist um 5 Meter gestiegen», sagte Wladimir Leontjew staatlichen russischen Nachrichtenagenturen zufolge am frühen Morgen. Zudem seien bereits mehrere Inseln flussabwärts vollständig überflutet; bislang gebe es aber keine Notwendigkeit, Zivilisten in Sicherheit zu bringen.
Am Mittag gab Leontjew im Staatsfernsehen bekannt, dass der Wasserpegel nun auf 12 Meter angestiegen sei und insgesamt 600 Häuser in drei Ortschaften auf der russisch besetzten Seite betroffen seien. Er hat den Notstand für die Stadt ausgerufen.
Parts of the city of Kherson have already started to flood, following the destruction of the Kakhovka dam.
— Jimmy Rushton (@JimmySecUK) June 6, 2023
The majority of the city is on relatively high ground in relation to the river and should be spared the worst flooding. pic.twitter.com/Na42bRVDwh
Am Dienstagmorgen gab Leontjew zudem im russischen Staatsfernsehen bekannt, dass nebst dem Damm selbst nun auch das angrenzende Wasserkraftwerk zerstört sei. Es sei «offensichtlich», dass eine Reparatur nicht möglich sei.
Andrey Aleksejenko, ein von Russland eingesetzter Beamter im besetzten Teil des Oblasts Cherson, behauptete via Telegram, dass sich rund 22'000 Personen auf «seiner Seite» im Flutgebiet befänden. Die Situation sei jedoch unter Kontrolle.
Professor Hubert Chanson von der University of QLD School of Civil Engineering erklärte gegenüber dem «Guardian», dass es «keine leichte Aufgabe» sei, den Damm wiederherzustellen. Eine Reparatur umfasst das «Stopfen» der Brücke und der Öffnung im Damm, in der Regel durch das Abladen von Steinen oder Betonblöcken:
Der deutsche Sicherheitsexperte und Ukraine-Kenner Nico Lange sieht in einer ersten Reaktion vor allem drei Konsequenzen:
Die Zerstörung des Staudamms hat drei wesentliche Konsequenzen:
— Nico Lange (@nicolange_) June 6, 2023
1. Keine Überquerung des Dnipro bei ukrainischer Offensive möglich
2. Hochwasser am linken, derzeit von Russland besetzten Ufer
3. Probleme mit der Wasserversorgung der Krim.
3/3
Der erste Punkt dürfte den ukrainischen Streitkräften Sorgen bereiten. Über die geplante ukrainische Grossoffensive ist zwar nicht viel bekannt, ein Angriff über den gefluteten Dnjepr dürfte nun aber nicht mehr durchführbar sein.
Auch für das umkämpfte Kernkraftwerk Saporischschja ist die Sprengung ein Risiko. Das Kraftwerk liegt zwar nicht in unmittelbarer Nähe zum Damm, ist aber auf das Wasser des Stausees angewiesen.
Energoatom, die staatliche Betreiberin, hat sich zur Sprengung geäussert: «Sie könnte negative Konsequenzen [für das Kernkraftwerk Saporischja] haben, aber die Situation ist unter Kontrolle.»
Auch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) sieht keine unmittelbare Gefahr für das nordöstlich gelegene Atomkraftwerk Saporischschja. In dem von Russland besetzten AKW würden jedoch Massnahmen zum Weiterbetrieb der Kühlsysteme getroffen, die normalerweise mit dem aufgestauten Wasser gespeist werden, sagte IAEA-Chef Rafael Grossi am Dienstag in Wien.
«IAEA-Experten am Atomkraftwerk Saporischschja beobachten die Situation genau», teilte Grossis Behörde auf Twitter mit. «Keine unmittelbare Gefahr am Kraftwerk.» Auch ein Sprecher des russischen Atomkonzerns Rosenergoatom sagte der Agentur Interfax, das AKW – das ebenso wie der Kachowka-Staudamm am Fluss Dnipro liegt – sei nicht betroffen.
«Es ist daher unerlässlich, dass dieses Kühlbecken intakt bleibt», warnte Grossi. «Es darf nichts geschehen, was seine Unversehrtheit potenziell gefährden könnte», appellierte er an Kiew und Moskau. Grossi kündigte an, das AKW nächste Woche erneut zu besuchen. Seit September sind eine Handvoll IAEA-Experten permanent als neutrale technische Beobachter in Saporischschja stationiert.
(sda/dpa/mlu/cpf)
Aber auch das hat die NATO durchgespielt. Dann wird es halt noch eine Verzögerung geben. Und die Ukraine kann ihr Arsenal in der Zwischenzeit noch aufstocken.
Danach wird zum Angriff geblasen.
Aktuell sehen Experten (u.a. Marcus Keupp) keine Gefahr. Seit die Reaktoren runtergefahren wurde, wird sehr wenig Wasserkühlung benötigt.