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Wie das Leben von ukrainischen Soldatinnen von Uniformen abhängt

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Ukrainische Frauen testen ihre Beweglichkeit in Uniformen, die endlich auf sie zugeschnitten sind.Bild: keystone

Wie das Leben von ukrainischen Soldatinnen von Uniformen abhängt

13.07.2023, 14:5116.07.2023, 14:54
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Das Leben an der Kriegsfront in der Ukraine ist brutal. Noch brutaler ist es aber in schlecht sitzender Kleidung und mit fehlenden Hygieneartikeln – und das betrifft hauptsächlich die Frauen. Denn gewisse biologische Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern kommen in der unbarmherzigen Gefahrenzone an der Front noch viel mehr zum Tragen.

Vom WC-Gang zum schweren Körperpanzer

Während die Männer für die Blasenentleerung bloss einen Reissverschluss öffnen müssen, gestaltet sich der Prozess für die Frauen einiges mühsamer. Der Toilettengang – ein für uns so selbstverständlich erfüllbares Grundbedürfnis – ist für sie nicht nur unangenehm, sondern geradezu gefährlich.

Gegenüber der amerikanischen Nachrichten-Webseite The Daily Beast erzählen Frauen der ukrainischen Armee von den Herausforderungen an der Front. So sagt Julia:

«Versuch mal, bei -15 Grad Celsius im Wald auf die Toilette zu gehen ... Wir haben alle eine Blasenentzündung oder eine Entzündung der Eierstöcke und Rückenschmerzen. Nach einem Jahr Krieg haben wir Gesundheitsprobleme aller Art.»

Doch der WC-Gang sei noch eines der geringsten Probleme, sagt Julias Schwester, Alina. Aufgrund ungeeigneter Ausrüstung und Ressourcen sind Soldatinnen häufig in noch grösserer Gefahr als ihre männlichen Kollegen.

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Solche Bewegungen wären in übergrosser Herrenuniform noch viel umständlicher.Bild: keystone

Ausrüstung und Schuhe sind oft nur auf Männer zugeschnitten und sind den Frauen viel zu gross. Das hindert sie unter anderem an schnellen Bewegungen, was in gefährlichen Situationen fatale Folgen haben kann. Am schlimmsten sei dabei die 13 kg schwere kugelsichere Panzerung, die zur Standardausrüstung gehöre, erklärt Julia. Bei «einem Busen wie ihrem» liege diese einfach nie richtig am Körper an. Wenn sie diese aber ausziehen und dann verwundet oder getötet würde, erhielte weder sie noch ihre Familie eine Entschädigung. Sie betont:

«Unser Leben, unsere Sicherheit hängt oft davon ab, was wir am Körper und an den Füssen tragen und wie gesund wir sind.»

Bereits letztes Jahr beklagten sich Soldatinnen darüber, dass es bis dahin bloss bei Tests von Damenunterwäsche geblieben sei. Deswegen trügen sie noch immer Herrenunterhosen, erzählten Frauen im Juli 2022 gegenüber der ukrainischen Nachrichten-Website TSN. Die Frauen hätten unter anderem auch damit begonnen, sich gegenseitig Fotos zu schicken, um zu zeigen, wie sie etwa Hosen mit Schnürsenkeln und Gürteln an ihre Körper anpassten. Bei den Mänteln hingegen seien sie chancenlos: Vielen Frauen lägen die Schultern des Mantels näher an den Ellenbogen.

Endlich Fortschritt in Sicht?

Die Problematik ist bereits bekannt und wird unter anderem von der Wohltätigkeitsorganisation Zemliachky aktiv angegangen. The Daily Beast hat die Schwestern Julia und Alina an einem Anlass von Zemliachky getroffen. In einem Warenhaus stellte die Organisation für Frauen designte Sommer-Uniformen vor und verteilte eine limitierte Anzahl davon. Sie verhandele derzeit mit Armee-Offiziellen über eine Zulassung dieser Uniformen, welche leichtere, speziell auf den weiblichen Körper zugeschnittene Panzerungen beinhalte.

Am Donnerstag äusserte sich der ukrainische Verteidigungsminister Oleksey Reschnikow während des ukrainischen Frauenkongresses noch persönlich zur Thematik. Helme und Uniformen für Frauen seien bereits entwickelt worden und würden nun in Kampfeinheiten getestet werden.

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Ukrainische Frauen nahmen am 12. Juli an der Erprobung einer neuen Militäruniform für Frauen teil, die während einer militärischen Ausbildung auf einem Schiessplatz in der Nähe von Kiew getestet wurde.Bild: keystone
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Die neuen Körperpanzer für Frauen sollen leichter und besser an den weiblichen Körper geformt sein.Bild: keystone

Sobald er die Rückmeldung erhalte, dass die Modelle funktionierten und für die Frauen bequem seien, werde er diese als neuen Standard per Anordnung genehmigen.

Man wolle die Frauen einbeziehen, so Oleksey Reschnikow, und verhindern, «dass es zu einer Situation wie bei der Parade und den Schuhen kommt». Er spielte damit auf ein Ereignis aus dem Jahr 2021 an. Damals wurden Fotos von Studentinnen einer Kiewer Militärhochschule veröffentlicht, die in Schuhen mit Blockabsätzen für den ukrainischen Unabhängigkeitstag am 24. August trainierten. Auch wenn die 5,4 cm hohen Absatzschuhe bloss für Paraden und nicht auf dem Feld getragen würden, sorgten sie nicht nur im Netz für Spott und Empörung, sondern lösten auch im ukrainischen Parlament hitzige Diskussionen aus. Der damalige Verteidigungsminister Andriy Taran verkündete deshalb wenige Tage später, dass man den Kauf von verbesserten und ergonomischen Schuhen in Betracht ziehe.

Ukrainische weibliche Kadetten in Stöckelschuhen
Die ukrainischen Kadetten beim Training für die Parade.Bild: Ukraine Ministry of Defence/Facebook

Der Wille ist stärker als die Mängel

Wie der Gründer von Zemliachky gegenüber The Daily Beast erklärt, hätte seine Organisation derzeit nur genügend Mittel, für 10 Prozent der 9000 Frauen Uniformen herzustellen. Die Frauen benötigten Hunderte von Artikeln, so Zemlichaky, doch die Priorität seien derzeit die Uniformen. Alleine für die Sommer-Uniformen inklusive Schuhen benötigen sie umgerechnet etwa 850'000 Franken. Er betont:

«Sowohl ihre Effizienz als auch ihre Sicherheit hängen davon ab, wie frei sie sich bewegen, rennen, kriechen, Waffen laden oder eine Drohne bedienen können.»

Am Anlass der Organisation stellte Ksenia Draganyu, eine Freiwillige des Militärs, den Reportierenden von The Daily Beast den «Feminine Urinary Director» vor. Diese Art Trichter erlaubt es den Frauen, auch im Stehen zu pinkeln.

«Das benutzen wir Mädchen, wenn wir keine Gelegenheit zum Pinkeln haben. Als wir alle unsere Soldatinnen nach ihren Gesundheitsproblemen befragten, klagten 90 Prozent von ihnen über Blasenentzündungen und Hefepilzinfektionen.»

Nebst diesen Urinal-Trichtern fehle es aber auch an den grundlegendsten Ressourcen wie Damenbinden. Doch wie Kolesnyk stolz festhält: Die Hingabe der zahlreichen ukrainischen Frauen, die im Krieg kämpfen, sei dennoch unerschütterlich.

Laut offiziellen Daten dienten Stand Anfang Mai 2023 42'000 Frauen in ukrainischen Militäreinheiten, davon 5000 direkt an der Front. 107 Frauen der ukrainischen Armee sind seit der russischen Invasion ums Leben gekommen. (saw)

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83 Kommentare
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El_Chorche
13.07.2023 15:17registriert März 2021
Wenn die Schweiz schon keine Waffen liefert, könnten wir doch Hygieneartikel für Frauen senden.

Damit würden wir einen echten Beitrag zur Kampfkraft der ukrainischen Armee leisten und unsere Neutralität zeitgleich nicht verletzen.
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Chalbsbratwurst
13.07.2023 16:56registriert Juli 2020
Hopp Schwiiz!
Wir haben seit vielen Jahren Frauen in der Armee also müssten wir doch eigentlich auch passende Kampfanzüge haben.

Neutralitätsausreden gibt es hier keine!
Also hopp liefern!
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Schoggistängel
13.07.2023 18:19registriert April 2021
Die Amerikaner dürften hier mit Sicherheit weiterhelfen können. Sei es mit "Schnittmustern" zum selber Unformen herzustellen, oder mit (ich gehe mal davon aus) kampferprobten Schutzwesten mit entsprechender Panzerung. Aber auch die Schweiz dürfte hierzu ihren Beitrag leisten.
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