Es war der 18. März, als russische Soldaten ins Haus von Mykola Kulichenko und seiner zwei Brüder in einem Dorf bei Tschernihiw kamen. Da hatte Putins Invasionsarmee die Stadt nordöstlich von Kiew schon wochenlang belagert und beschossen. Hunderte Menschen in der Region wurden während der Besatzung bis Anfang April getötet.
Zwei von ihnen waren Dima und Eugen, der ältere und der jüngere Bruder von Mykola Kulichenko. Und wäre es nach den Besatzern gegangen, würde auch Mykola bei seinen Brüdern in einem Erdloch liegen, berichtet er dem ukrainischen Nachrichtenportal «Suspil'ne novyny». Auch das «Wall Street Journal» berichtet über den Vorfall.
>> Alle aktuellen Entwicklungen im Liveticker
Zum Verhängnis sollen den Kulichenkos Eugens Armeeuniform und die Orden des Grossvaters geworden sein, die die Russen im Haus fanden. Nachdem die Soldaten Eugen vor dem Haus verprügelt hatten, verbanden sie den drei Brüdern die Augen und brachten sie in einem Militärfahrzeug aus dem Dorf, erzählt der Überlebende. Erst später wurde Mykola klar, dass die Russen sie in ein verlassenes Sägewerk etwa 40 Kilometer entfernt gebracht hatten.
Drei Tage lang wurden Mykola und seine Brüder in der Ruine verhört, geschlagen und gefoltert, heisst es in dem Bericht. Dann wurden die drei nach draussen geführt, die Augen verbunden, an Händen und Füssen gefesselt. Das Erdloch für die Leichen der Kulichenkos hatten die Soldaten schon gegraben. «Hier lag ich neben meinem älteren Bruder, mein jüngerer lag ein wenig weiter weg», erzählt Mykola an dem Ort stehend, wo seine Brüder starben.
«Eugen wurde zuerst erschossen und in die Grube geworfen, dann Dima. Dann schossen sie auf mich, ich wurde getreten und fiel auf Dima.» Zum Schluss bedeckten die Soldaten die Leichen der Brüder mit Erde.
Doch Mykola war nicht tot. Die Kugel, die ihn umbringen sollte, ging durch glatt durch seine Wange, ohne lebenswichtige Organe zu treffen. Trotz seiner gefesselten Arme und Beine konnte er sich aus der flachen Grube befreien und schaffte es ins nächste Dorf, wie er berichtet.
Dort las Valentina Petrowna den verletzten jungen Mann auf, brachte ihn in ihr Haus und versorgte ihn. «Wenn wir uns jetzt treffen, umarmen wir uns immer. Mykola wurde für mich zur Familie», berichtet die Bewohnerin.
Körperlich hat Mykola Kulichenko die russische Besatzung gut überstanden. Ausser der Schusswunde stellten Ärzte zwei gebrochene Rippen bei ihm fest.
Die Staatsanwaltschaft in der Ukraine hat den Tatort inzwischen untersucht und Mykolas Darstellung bestätigt, so «Suspil'ne novyny». Der Fall gehört jetzt zu mehr als 10'000 mutmasslichen russischen Kriegsverbrechen, die die ukrainischen Behörden verfolgen. (t-online,mk)