Seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine sind wir mit schrecklichen Bildern aus dem Kriegsgebiet konfrontiert. Eine neue Dimension des Schreckens stellten dann die ermordeten Zivilisten aus dem zeitweise von russischen Truppen besetzten Kiewer Vorort Butscha dar. Die Bilder lösten Entsetzen und Empörung aus.
Joe Biden betrachtet diese Taten als Kriegsverbrechen und fordert einen Prozess. Der US-Präsident steht mit dieser Forderung nicht allein. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte bei einem Besuch in Butscha, die Welt werde das als Genozid anerkennen. Doch so klar und einfach sich die Sache moralisch darstellt – juristisch ist sie komplizierter: Das Völkerrecht regelt, was als Kriegsverbrechen oder als Genozid gilt; die Bestrafung von Kriegsverbrechern muss sich mithin auf diese Definition stützen. Versuchen wir deshalb, Begriffe wie «Kriegsverbrechen», «Genozid» und «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» zu klären, die im Alltag oft gleichbedeutend verwendet werden.
«Vor Pest, Hunger und Krieg bewahre uns, o Herr», so beteten die Menschen früher. Krieg war schon immer eine – selbstgemachte – Geissel der Menschheit. Der Versuch, den Krieg wenn schon nicht abzuschaffen, so doch das durch ihn verursachte Leid zu verringern, hat sich im Kriegsvölkerrecht kristallisiert. Dieses kennt zwei Bereiche: das Recht zum Krieg und das Recht im Krieg.
Im Grundsatz sind Kriege heute aufgrund des allgemeinen Gewaltverbots in Artikel 2 Ziffer 4 der UNO-Charta völkerrechtswidrig. Ein Präzedenzfall wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher geschaffen, als erstmals die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Durchführung eines Angriffskrieges vor einem internationalen Militärgerichtshof in einem rechtsstaatlichen Verfahren abgeurteilt wurde. Die Einleitung kriegerischer Handlungen gilt selbst nicht als Kriegsverbrechen, sondern wird völkerrechtlich als Verbrechen der Aggression betrachtet.
Es gibt aber mehrere Ausnahmen von diesem grundsätzlichen Verbot. Unter anderem sind militärische Handlungen legitimiert, wenn sie sich auf ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates stützen können. Auch ist die gewaltsame Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs erlaubt, jedenfalls bis der Sicherheitsrat die «erforderlichen Massnahmen getroffen hat». Umstritten ist hingegen, ob eine sogenannte humanitäre Intervention, die Missstände – etwa massive Menschenrechtsverletzungen – beseitigen will, auch ohne Mandat des Sicherheitsrates erlaubt ist.
Wenn es zu einem Krieg kommt, greift das Recht im Krieg, das heute meist als «humanitäres Völkerrecht» bezeichnet wird. Es umfasst neben vertraglich festgelegten Bestimmungen – vornehmlich in den Haager Abkommen und den Genfer Konventionen – auch gewohnheitsrechtlich bindende Prinzipien.
Besonders wichtig ist hierbei der Grundsatz, dass militärische Massnahmen in internationalen Konflikten verhältnismässig sein müssen, das heisst, sie müssen sich im Rahmen der konkreten militärischen Strategie und Taktik bewegen. Wenn etwa ein Soldat getötet wird, ist es nicht verhältnismässig, darauf zu reagieren, indem man eine Stadt in Schutt und Asche legt.
Neben dem Gebot der Verhältnismässigkeit ist auch jenes der Unterscheidung wichtig: Bei militärischen Aktionen muss immer unterschieden werden, ob sie kriegführende oder zivile Personen und Objekte treffen. Das Gebot der Schutzmassnahmen schliesslich verpflichtet die Konfliktparteien dazu, Schaden von der Zivilbevölkerung abzuwehren oder so gering wie möglich zu halten.
Zentral ist der Grundsatz, unnötiges Leid zu vermeiden. Zu diesem Zweck sind bestimmte Waffen verboten, zum Beispiel chemische und bakteriologische Waffen. Das humanitäre Völkerrecht unterscheidet zudem zwischen Kombattanten – dies sind Personen, die unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen – und Nichtkombattanten. Letztere, in aller Regel handelt es sich um Zivilisten, dürfen keine militärischen Handlungen vornehmen, sind aber auch völkerrechtlich besonders geschützt.
Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs listet eine Reihe von Verstössen auf, die als Kriegsverbrechen gelten. Darunter fallen beispielsweise – die Liste ist bei weitem nicht vollständig – vorsätzliche Tötung, Folter, vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung und zivile Objekte wie Krankenhäuser, Kirchen oder Museen, die Tötung oder Verwundung eines Kombattanten, der sich ergeben hat oder wehrlos ist, Vergewaltigung und Nötigung zur Prostitution, Plünderung.
Wer gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts verstösst – dies können nach geltender Praxis nur natürliche Personen, aber nicht juristische wie Staaten oder Organisationen –, handelt rechtswidrig. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jeder Verstoss einem Kriegsverbrechen gleichkommt, sondern nur besonders schwerwiegende. Regel 156 der Liste der gewohnheitsrechtlichen Regeln des humanitären Völkerrechts stellt dazu fest: «Schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts stellen Kriegsverbrechen dar.»
So gilt die militärisch gerechtfertigte Bombardierung von Wohngebäuden oder Schulen oder gar die Tötung von Zivilisten nicht als Kriegsverbrechen. Wenn dieselben Handlungen aber zu unnötigen Zerstörungen und Opfern führen, die den militärischen Nutzen übersteigen, sind sie als Kriegsverbrechen zu betrachten.
Es liegt auf der Hand, dass es hier in der Praxis viele Grauzonen gibt. Es ist überdies zusehends schwieriger geworden, Zivilisten von Kombattanten zu unterscheiden, auch weil sich Konfliktparteien nicht immer an das Gebot der Unterscheidung halten, etwa wenn Soldaten in Zivil agieren oder Zivilisten zu Waffen greifen. Zivilisten können daher ebenfalls als Kriegsverbrecher angeklagt und verurteilt werden.
Zuständig für die Strafverfolgung von Kriegsverbrechen – vornehmlich von solchen grossen Umfangs – ist der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) mit Sitz im niederländischen Den Haag. Dessen Ankläger kann auch selber Ermittlungen aufnehmen, wenn Hinweise auf mögliche Kriegsverbrechen vorliegen. Allerdings verfügt der Gerichtshof nicht über eine eigene Polizei und ist daher auf die Hilfe der Vertragsstaaten angewiesen. Nicht alle Staaten haben das Statut des IstGH unterzeichnet, darunter auch Russland. Die Ukraine indes hat 2013 die Strafgerichtsbarkeit des IStGH für das eigene Territorium anerkannt.
Bei Verstössen gegen das Völkerrecht und damit auch bei Kriegsverbrechen gilt aber auch das sogenannte Weltrechtsprinzip. Dies bedeutet, dass bei solchen schwerwiegenden Fällen alle Staaten der Welt Ermittlungen durchführen und Strafen verhängen dürfen.
Nicht unter die strafrechtliche Kategorie der Kriegsverbrechen fallen weitere Verbrechen, die auch ausserhalb eines bewaffneten Konflikts begangen werden können: Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das Römische Statut führt sie separat auf, aber auch sie werden vom Völkerstrafrecht verfolgt.
Vor allem nach der Erfahrung des Holocausts gilt Genozid als besonders verabscheuungswürdiges Verbrechen und wird manchmal als «Verbrechen der Verbrechen» bezeichnet. Der Begriff «Genozid» (aus griech. genos für «Geschlecht», «Nation» und lat. caedere für «morden») wurde in den 1940er-Jahren unter dem Eindruck des Völkermords an den Juden und Armeniern vom polnisch-jüdischen Rechtsanwalt und Friedensforscher Raphael Lemkin geprägt.
1948 anerkannten die Vereinten Nationen Genozid in der UNO-Völkermordkonvention als Straftatbestand im Völkerstrafrecht. Drei Jahre später trat die Resolution in Kraft; bis 2015 wurde sie von 147 Staaten ratifiziert. Diese haben daher die Pflicht, Genozid zu verhüten und zu bestrafen. Genozid verjährt – wie übrigens auch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – nicht.
Als Genozid gelten Handlungen, die darauf abzielen, auf direkte oder indirekte Weise «eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören». Zu diesen Handlungen zählt die Konvention in Artikel II:
Diese Handlungen müssen in der Absicht begangen werden, die Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Der Vorsatz, eine Gruppe von Menschen zu vernichten, die sich durch Sprache, Religion und Tradition von anderen unterscheidet, ist auch dann strafbar, wenn das Ziel der Vernichtung nicht erreicht wurde. Es ist dabei unerheblich, ob oder wie viele Mitglieder der Gruppe tatsächlich getötet wurden. Strafbar sind des Weiteren auch die Verschwörung oder Anstiftung zur Begehung eines Genozids und die Teilnahme daran. Es spielt dabei keine Rolle, ob die Verbrechen in amtlicher Eigenschaft oder als Zivilperson begangen wurden.
Strafverfahren gegen Personen, die unter dem Verdacht des Völkermords stehen, können durch ein nationales Gericht in dem Gebiet, in dem die Straftat begangen wurde, oder durch einen internationalen Gerichtshof durchgeführt werden. In letzterem Fall muss dessen Zuständigkeit durch die Vertragsstaaten anerkannt sein. Bei Genozid gilt – wie bei Kriegsverbrechen – das Weltrechtsprinzip.
Bekannte Fälle von Genozid sind der Holocaust, der Völkermord an den Juden, und der Porajmos, der Völkermord an den Sinti und Roma. Beide fanden während der Nazi-Zeit statt. In den Neunzigerjahren kam es in Ruanda zum Genozid an den Tutsi und im Bosnienkrieg zum Massaker von Srebrenica, das durch UNO-Gerichte ebenfalls als Genozid klassifiziert wurde. Auch das Massaker an den Jesiden 2014 im Irak durch den «Islamischen Staat» gilt als Genozid.
Der Begriff «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» wurde zum ersten Mal 1946 bei den Nürnberger und Tokioter Prozessen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs definiert. Er diente dazu, rückwirkend die Kriegsverbrechen der Achsenmächte zu ahnden, insbesondere die durch das Nazi-Regime begangenen Gräuel. Die Umgehung des Rückwirkungsverbots im Strafrecht (es dürfen nur Verbrechen verfolgt werden, die nach dem Erlass des entsprechenden Gesetzes erfolgten) war zwar umstritten, aber völkerrechtlich begründet, da das Nazi-Regime auch internationale Verträge verletzt hatte.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind quasi ein Oberbegriff im Völkerrecht, unter den sowohl Kriegsverbrechen als auch Genozid und das Verbrechen der Aggression fallen. Kennzeichnend ist dabei gemäss Artikel 7 des Römischen Statuts, dass die Verbrechen im Zuge eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung erfolgen. Zu diesen Verbrechen zählt das Römische Statut unter anderem vorsätzliche Tötung, Ausrottung, Versklavung, Vertreibung, Freiheitsentzug, Folter, Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation, Verfolgung einer bestimmten Gruppe oder zwangsweises Verschwindenlassen von Personen.
Der Tatbestand ist bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit weiter gefasst als bei Genozid – es muss nicht wie bei diesem eine bestimmte, ethnisch, religiös oder national definierte Gruppe Ziel der verbrecherischen Handlungen sein, sondern jede Zivilbevölkerung, auch die eigene. Im Gegensatz zu Kriegsverbrechen können Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch ausserhalb von bewaffneten Konflikten stattfinden. Sie unterliegen wie bei Kriegsverbrechen und Genozid dem Weltrechtsprinzip.
Da einflussreiche Staaten wie die USA, China oder Russland das Römische Statut noch nicht ratifiziert haben, können die Verbote von Kriegsverbrechen, Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ihre Wirkung derzeit nicht voll entfalten.
Er ist mit geschätzten 1.5 Millionen Opfern nicht nur einer der Schlimmsten überhaupt, sondern wird darüberhinaus bis heute von der türkischen Regierung aktiv geleugnet.
Z.B. Eine Brille reichte als Beweis, dass jemand Bildung hatte.
Ich schreibe das, weil ich entsetzt war, als ich erstmals mit 29 ein Buch darüber las und feststellte, das dies in unserer Schulbildung (zumindest der 90er Jahre) komplett gefehlt hatte. Ich meine da wurden vor nichtmal 50 Jahren ca. eine Million Leute ermordet...