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Was passiert mit Prigoschin? Putin ändert offenbar seine Strategie

Vladimir Putin und ganz viele Prigoschins.
«Bevor man einen Prigoschin eliminiert, muss man wissen, welche Informationen er wo versteckt»: Analysten glauben, Wladimir Putins Problem erkannt zu haben.Bild: imago-images/watson

Was passiert mit Prigoschin? Putin ändert offenbar seine Strategie

Wie geht es weiter mit den Wagner-Söldnern? Offenbar kommt Bewegung in die Sache. Machthaber Wladimir Putin soll seine Pläne geändert haben.
10.08.2023, 10:2510.08.2023, 11:16
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Ein Artikel von
t-online

Glaubt man jenen Leuten, die sich auskennen, soll es hinter den dicken Mauern des Kremls seit Jahren ungefähr so zugehen, wie in einem Drama von Shakespeare. Nur schlimmer. Machtkämpfe, Intrigen, geheime Deals und ungereimte Todesfälle. Das sind laut Insidern die Zutaten, aus denen der Hofstaat des totalitären Herrschers Wladimir Putin gemacht ist.

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Da verschwinden über Nacht verdiente Generäle, da fallen ehemalige Kreml-Günstlinge aus Bürofenstern oder es setzen sich prominente Aushängeschilder des Putinismus plötzlich ins Ausland ab, wie jüngst die mehrfache Olympiasiegerin Jelena Issinbajewa, die nun offenbar einem Luxusleben auf Teneriffa nachgeht. Am seltsamsten ist allerdings der Fall des Jewgeni Prigoschin. Einst einer von Putins nützlichsten Handlangern, wurde er seit dem gescheiterten Aufstand von Ende Juni kaum noch gesehen.

Russian President Vladimir Putin chairs a meeting with the heads of Russia's manufacturing enterprises on the development of industry, at the Kremlin, in Moscow, Russia, Thursday, Aug. 3, 2023. ( ...
Präsident Putin bei einem Treffen im Kreml im August.Bild: keystone

Wie die US-amerikanische Denkfabrik ISW in ihrem neuesten Lagebericht analysiert, soll der Kreml seinen Kurs gegen den Wagner-Boss nun wieder verschärfen. «Putin hat zuvor schon versucht, Prigoschin als korrupt darzustellen, als einen Lügner. Sein Ruf soll zerstört werden, nicht nur unter den Wagner-Söldnern, auch in der russischen Öffentlichkeit», so das ISW über den Strategiewechsel.

Braucht Putin den Söldnerboss noch für seine Afrika-Geschäfte?

Offenbar will Putin mit der Kampagne einen Keil zwischen Prigoschin und die Kommandanten der Söldnertruppe treiben. Die Wagner-Kämpfer hatten Mitte Mai für den bislang grössten Erfolg der russischen Armee gesorgt, als sie nach monatelangen Kämpfen die ostukrainische Stadt Bachmut einnehmen konnten.

Prigoschin hatte daraufhin seine Attacken auf die russische Militärführung verschärft und schliesslich den «Marsch auf Moskau» begonnen, um seinen langjährigen Vertrauten Putin von der Demission des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu zu «überzeugen». Die Meuterei scheiterte.

FILE - Yevgeny Prigozhin, the owner of the Wagner Group military company, looks from a military vehicle leaving an area of the HQ of the Southern Military District in a street in Rostov-on-Don, Russia ...
Jewgeni Prigoschin nach seinem abgebrochenen «Marsch auf Moskau» am 24. Juni 2023 Bild: keystone

Dass er danach überhaupt noch mal lebend gesehen wurde, hatte viele Experten überrascht. Normalerweise überleben diejenigen, die sich offen gegen den Machthaber Putin stellen, in Russland nicht lange. Prigoschin nahm dagegen nicht nur an einem Treffen mit dem Präsidenten Ende Juni teil, sondern tauchte im Juli auch am Rande des wichtigen Russland-Afrika-Gipfels in St. Petersburg auf.

Der Russlandexperte Alexander Gabujew vom Carnegie Russia Eurasia Centre mutmasste daher jüngst im «Spiegel», «dass Prigoschin noch gebraucht wird, etwa für internationale Geschäfte mit afrikanischen Regimen. Viele dieser Verbindungen vor Ort bestehen nur dank Prigoschin oder seinen Männern». Unter anderem sind Prigoschins Wagner-Söldner in Libyen, Mali, der Zentralafrikanischen Republik und im Niger aktiv, wo der demokratische Präsident Mohamed Bazoum Ende Juli von Putschisten abgesetzt wurde.

Hat Prigoschin irgendwo einen Aktenordner versteckt?

Nach einer Phase relativer Ruhe zwischen Putin und Prigoschin im Juli versucht der russische Despot laut ISW-Informationen nun offenbar erneut, den Wagner-Boss zu diskreditieren und zu isolieren. So sollen die Wagner-Kämpfer aus Belarus, wo viele von ihnen nach dem gescheiterten Aufstand ins Exil gegangen waren, nach Russland zurückgeholt und in die Verbände der russischen Armee integriert werden.

FILE - Then Russian Prime Minister Vladimir Putin rides a horse while traveling in the mountains of the Siberian Tyva region (also referred to as Tuva), Russia, Aug. 3, 2009. Putin has shot back at We ...
Früher zeigte sich Putin gern zu Pferd, heute sitzt er fast nur noch hinter dicken Kremlmauern.Bild: keystone

Tatsächlich sollen unbestätigten Berichten zufolge einige der Söldner Belarus verlassen haben und inzwischen wieder in Russland sein. Auch weil der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko sich offenbar weigert, die Kämpfer zu bezahlen. Ebenso wie der Kreml. Unter russischen Militärbloggern wird daher spekuliert, dass die Wagner-Söldner sich eher wieder Missionen in Afrika widmen könnten, wo die Organisation von Prigoschin dabei helfen soll, Warlords und Putschisten an die Macht zu bringen. Im Gegenzug erhält die Wagner-Gruppe wohl lukrative Aufträge zum Schürfen von Bodenschätzen.

Laut ISW sei Putin zunehmend darüber besorgt, dass Prigoschin ihm bei seinen langfristigen Plänen im Weg stehen könnte. Er habe daher veranlasst, die Diskreditierungskampagne gegen den Oligarchen zu verschärfen. «Wenn das stimmt», schreiben die US-Analysten, «könnte es bedeuten, dass Putin sein ursprüngliches Ziel, Prigoschin zu Fall zu bringen und ihn klar vom Rest der Wagner-Gruppe zu trennen, wieder zur Priorität erklärt hat.»

Warum Putin überhaupt solche Intrigen gegen den 62-jährigen Unternehmer und Oligarch inszeniert, anstatt ihn einfach zu liquidieren, wie es in Diktaturen üblich ist, das beantwortet Wissenschaftler Alexander Gabujew. Demnach könnte Prigoschin eine Sammlung mit kompromittierendem Material über die russische Führung besitzen. Dieses unter russischen Geheimdienstlern beliebte Druckmittel, das sogenannte Kompromat, könnte eine Art Lebensversicherung für den Söldnerchef sein. «Bevor man einen Prigoschin eliminiert, muss man wissen, welche Informationen er wo versteckt», so Gabujew. (t-online, cc)

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quelle: epa / stringer
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22 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Martin Baumgartner
10.08.2023 10:51registriert Juni 2022
Putin kann Prigoschin nicht einfach beseitigen lassen, sonst hätte er das schon längst getan. Trotz allem schein er auf die Dienste der Wagner Gruppe nicht verzichten zu können.
Putin muss das Wasser schon recht hoch stehen.
Es sei ihm gegönnt!
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Danieli
10.08.2023 11:14registriert Dezember 2021
Das ganze spielt bald keine Rolle mehr. Putin verliert seinen Krieg und reisst Russland ins Chaos.
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Die Geschichte wiederholt sich...
10.08.2023 10:56registriert Februar 2022
Bin ich der einzige, der nicht Schlau wird aus dieser ganzen Thematik? Ich meine ein Putschversuch mit 2000 Soldaten? Das kann doch nicht ernst gemeint gewesen sein. War das nicht inszeniert? Irgendetwas stinkt hier gewaltig. Ich habe nur noch nicht herausgefunden, was es ist.
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