2022 und 2023 kamen noch 46, respektive 56 Kinder mit dem Down-Syndrom in der Schweiz auf die Welt. Das sind deutlich weniger als zehn Jahre zuvor mit jeweils 88 Geburten jährlich.
Zwar gibt es immer wieder statistische Ausschläge, dennoch ist die Entwicklung rein mathematisch erstaunlich. Da das Alter der Mütter bei der Geburt steigt, nimmt auch das Risiko für eine Chromosomen-Störung zu. Dieses beträgt bei einer 25-jährigen Mutter 0,1 Prozent, mit 40 Jahren ist es zehnmal höher. Rein statistisch müsste es also eher mehr Trisomie-Geburten geben als zehn Jahre zuvor, zumal 2012 und 2022 praktisch gleich viele Kinder (rund 82'000) in der Schweiz auf die Welt kamen.
Auf der Suche nach Gründen, warum die Entwicklung in die umgekehrte Richtung verläuft, sind Expertinnen und Experten vorsichtig. Dennoch gehen viele gehen davon aus, dass die sinkende Zahl von Kindern mit Down-Syndrom mit der zunehmenden Verbreitung der pränatalen Bluttests zu tun hat.
Diese haben in den letzten drei Jahren in der Schweiz einen neuen Höchststand erreicht. 2021 waren es gemäss dem Bundesamt für Gesundheit über 23'000 solcher Tests, die in der Schweiz durchgeführt wurden oder von Schweizer Labors zur Analyse ins Ausland geschickt wurden.
Im Gegensatz zur Fruchtwasserpunktion, die bis vor zehn Jahren die einzige Möglichkeit war, Erbgutstörungen zu erkennen, birgt der nicht invasive Test keinerlei Fehlgeburtsrisiko. Er erfolgt über das Blut der Mutter und kann ab der zehnten Schwangerschaftswoche mit über 99-prozentiger Sicherheit eine Trisomie ausschliessen oder bestimmen.
«Aufgrund der deutlich gestiegenen Qualität der Pränataldiagnostik werden mehr Kinder mit Trisomie 21 in frühen Wochen entdeckt», sagt Tina Fischer, stellvertretende Chefärztin an der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Kantonsspital St. Gallen. In den meisten Fällen komme es anschliessend zur Beendigung der Schwangerschaft, aufgrund der mütterlichen Notlage. «Die zusätzliche Herausforderung eines Kindes mit Handicap scheint heutzutage die meisten Familien in ihrer sozialen Struktur zu überfordern», sagt Fischer.
Dass weniger Kinder mit Trisomie geboren werden, ist auch für Franziska Wirz von der konfessionell neutralen Beratungsstelle Appella in Zürich keine Überraschung. Auch sie stellt fest, dass sich die Suche nach Ungeborenen mit einer Trisomie 21 intensiviert hat. Insbesondere der Entscheid des Bundesamtes für Gesundheit, dass die Grundversicherung der Krankenkassen die Kosten des genetischen Bluttests selbst bei einer Trisomie-Wahrscheinlichkeit von nur 0,1 Prozent übernimmt, sei problematisch. Das verzerre die Risikowahrnehmung, sagt Wirz.
Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen verstehen offenbar viele Paare als eine Empfehlung, den Test vornehmen zu lassen. Es sei dringend nötig, dass der selektive Schwangerschaftsabbruch nach einer positiven Trisomie-Diagnose in der Gesellschaft diskutiert werde. Zurzeit finde vieles im Verborgenen statt, sagt Wirz.
Im letzten Jahr gab es in der Schweiz über 12'000 Schwangerschaftsabbrüche. Gemäss Schätzungen dürften rund 200 bis 300 auf eine Trisomie-Diagnose zurückzuführen sein. Auch zur genauen Zahl der Geburten von Kindern mit dem Down-Syndrom gibt es noch nicht lange wirklich verlässliche Zahlen. Erst seit 2010 liefern sämtliche Spitäler in der Schweiz die entsprechenden Daten an das Bundesamt für Statistik.
Ethikerinnen äusserten in der Vergangenheit immer wieder die Befürchtung, dass die Gesellschaft mit der zunehmenden Verbreitung der pränatalen Gentests Mechanismen fördere, die Menschen mit Beeinträchtigungen an den Rand der Gesellschaft drängen. Organisationen wie Insieme Schweiz sehen das heute aber weniger kritisch.
«Für uns ist klar, dass es keinen Zusammenhang zwischen diesen Gentests und der Akzeptanz von Menschen mit Beeinträchtigungen gibt», sagt Regula Sandi von der Dachorganisation der Elternvereine für Menschen mit einer geistigen Behinderung. Dass es möglich ist, auf bestimmte genetische Anomalien zu testen, habe nicht zur Folge, dass Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft weniger akzeptiert werden. «Wir sind der Ansicht, dass jedes Leben lebenswert ist», sagt Sandi. Eine Behinderung sei Teil des Lebens, definiere aber nicht dessen Wert.
Ähnlich sieht dies Mark Brotzmann. Der Arzt beim Kinder-Unispital beider Basel ist Mitbegründer der ersten und derzeit einzigen Sprechstunde in der Deutschschweiz für Kinder mit Down-Syndrom. Brotzmann schätzt, dass sich 90 Prozent der Eltern für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, wenn nach einem Pränatal-Test ein Trisomie-Befund vorliegt.
Das sei ein individueller Entscheid, den er nicht bewerten wolle, sagt Brotzmann. Die Geburt eines Kindes mit Trisomie werfe bei vielen Eltern grosse Fragen auf, könne Ängste und Verzweiflung auslösen. Seine Erfahrung sei aber, dass die Integration von Kindern mit Trisomie mit der notwendigen Begleitung selbst in der Regelschule sehr gut klappen könne. (aargauerzeitung.ch)
Wir empfehlen allen vor einem pränatalen Test zu Entscheid, was ihr bei einem positiven Befund tun wollt. Es hilft in dieser schweren Situation enorm.
Und ganz ehrlich: Leben hin oder her, aber ich habe durchaus Verständnis für alle Eltern, welche sich im Anschluss bewusst für eine Abtreibung entscheiden. Wir haben dies im Voraus auch besprochen und hätten mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit auch abgetrieben.
Solange es diese Möglichkeiten gibt, sollen sie verwendet werden können und sie sollten auf keinen Fall von den Finanzen abhängig sein.