Ihr Name klingt nach einem blümeligen Groschenroman: Floria Lind. «Floria Lind und die Praxis mit Strand», «Floria Lind – ein Engel für den Chefarzt». Doch ihr Alltag ist so sehr in unserer Realität verankert, wie ein Alltag das nur sein kann, denn Floria Lind ist das absolut naturalistische Porträt einer Pflegefachfrau, wie es sie zu Tausenden gibt in der Schweiz, im Spital, in Alters- und Pflegeheimen, bei der Spitex.
Sie ist eine Frau in einem immer noch typischen Frauenberuf, die der Care-Arbeit nachgeht und damit einer Arbeit, die immer wieder prekär auf der Schnittstelle von Leben und Tod stattfindet und die nicht nur die physische, sondern auch die psychische Pflege beinhaltet. Ohne Floria Linds wären wir verloren. Wir, die Verletzten, die Kranken, die Gebärenden, die immer Älteren und auch die Sterbenden. Vom ersten bis zum letzten Atemzug.
Petra Volpe, unsere Frau für den filmischen Grosserfolg (Regisseurin von «Die göttliche Ordnung», Showrunner der Serie «Frieden», Drehbuchautorin von «Heidi»), liefert nun mit ihrer «Heldin» die bitternötige Liebeserklärung an alle Pflegefachkräfte. Der Film zeigt nichts als eine Spätschicht im Leben der Floria Lind. Minutiös recherchiert und der Wirklichkeit nachgestellt mit wenigen, dramatisch zugespitzten Elementen und immer gegliedert durch Florias Frage: «Haben Sie Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10?»
Für Floria wird diese Nacht zum kaum bewältigbaren Inferno aus Stress und Sorge und dabei sollte sie sich allem mit äusserster Sorgfalt widmen können. Für uns wird ihre Nacht so viszeral wie ein Thriller. «Viszeral» bedeutet, dass sich ein Erlebnis direkt auf unsere Eingeweide niederschlägt, unser eigenes Stresslevel steigt beim Zuschauen parallel zu dem von Floria, spätestens nach zwanzig Minuten ist man völlig fertig, nur die Koch-Serie «The Bear» lieferte in jüngster Vergangenheit eine ähnliche Seh-Erfahrung. Vielleicht arbeitet Volpes Heldin auch deshalb auf der viszeralchirurgischen Abteilung eines Schweizer Kantonsspitals, also dort, wo man sich um Bäuche und ihr Innenleben kümmert.
Leonie Benesch («Babylon Berlin», «Der Schwarm», «Lehrerzimmer», «September 5») gehört derzeit zu den begehrtesten deutschen Schauspielerinnen. Kein Wunder, ihre Floria ist ein Gesamtkunstwerk aus Entschlossenheit, Professionalität – sie absolvierte für ihre Rolle ein Praktikum am Kantonsspital Liestal –, Verletzlichkeit und Nahbarkeit, ist eine Frau, die Nacht für Nacht von Neuem mit Anlauf in die Totalverausgabung springt.
«Floria rennt» könnte der Film deshalb auch heissen, und mit ihr rennt die Kamera (von Judith Kaufmann) in atemlosen Takes, die beiden rennen von einer Patientin zum nächsten Patienten, von einem Schicksal zum andern, von einem Schmerz zum andern, von höchster Not zu höchster Not, und je sinnloser eine Lage ist, desto eigensinniger bäumen sich die Betroffenen dagegen auf.
Innehalten gibt es kaum, nur, wenn Floria versucht, eine verwirrte alte Frau in den Schlaf zu singen und wenn der ewige Schlaf zuschlägt. Spital-Alltag eben. «Heldin» ist nicht zuletzt ein Film über die Kostbarkeit der Zeit (bezeichnenderweise kostet die Uhr eines Privatpatienten 40'000 Franken) und das Fehlen davon.
«Meiner Meinung nach sollte dieser Beruf zu einem der höchst angesehensten und respektiertesten in unserer Gesellschaft gehören», sagt Volpe, «es ist nicht nur ein technisch hoch anspruchsvoller Job, sondern auch menschlich und psychologisch. Pflegende kümmern sich um uns, wenn wir krank und alt sind, wenn wir am verletzlichsten, abhängigsten und bedürftigsten sind. Sie tragen tagtäglich eine enorme Verantwortung. Deswegen wollte ich einen Film machen, der diesen Beruf feiert.»
Und sie wollte einen Film über den Pflegenotstand machen. Über das Dilemma, wenn die Personaldecke immer dünner, die Patientendichte aber immer grösser wird. Bereits heute sind 14'000 Stellen in den Schweizer Gesundheitseinrichtungen nicht besetzt, bis 2040 sollen es 40'000 sein.
«Heldin» zeigt überwältigend kompromisslos, aber zugleich höchst unterhaltsam, wie schlimm der Notstand schon ist. Wie schlimm er dereinst wird, wenn nichts passiert, wagt man sich nach diesem Film gar nicht auszumalen. Er sei allen ans Herz gelegt, die bald einen Spitalaufenthalt vor sich haben. Oder deren Angehörige im Spital liegen. Oder am besten: allen.
«Heldin» läuft ab dem 27. Februar im Kino.
Ich war selbst vor nicht allzulanger Zeit wegen zwei schweren Operationen erstmals stationär im Spital und hab da schon einiges gesehen. Kaum war ich draussen gabs einen nicht selbst verschuldeten Unfall und ich wurde mit den Krankenwagen direkt nochmal eingeliefert. Man kann sich kaum vorstellen, wie kaputt ich war. Ich war am Ende. Wäre ich gestorben, hätte ich das begrüsst. Und dann war da auf dem Notfall eine Pflegerin, die mich auch emotional sowas von aufgefangen hat. ...
Ich finde es wichtig, dass man auch positive Resonanz gibt und nicht immer nur meckert, wenn was falsch läuft.