Ich bin im vierten Monat.
Nein, ich bin nicht schwanger, sondern an Long Covid erkrankt. Was sich nach dem dritten Monat offiziell Post Covid nennt. Ich bin also im vierten Monat dieser Krankheit, für die es noch keine Heilung gibt und ich bin angepisst.
Angepisst, weil es einfach nicht besser wird. Weil ich gute Tage habe und deshalb Hoffnung schöpfe, um am nächsten Tag wieder ausgelaugt auf meiner Couch zu liegen. Angepisst, weil ich das wenige Sozialleben, welches ich zurzeit habe, immer wieder auf andere Daten verschieben muss, weil zwei Stunden zu plaudern mich schon erschöpfen. Aber vor allem bin ich sauer, weil ich nicht richtig arbeiten kann und vor allem nicht weiss, wann ich je wieder voll arbeitsfähig sein werde.
Ich war 42 Jahre kerngesund, hab mir noch nie was gebrochen und dann das. «Zum Glück» bin ich, wie der Rest der Welt, lockdown-erprobt und gerne zu Hause, ansonsten würde mir die Decke so richtig auf den Kopf fallen. Während den vergangenen Lockdowns habe ich mich jeweils sehr isoliert, um mich und andere nicht anzustecken, geimpft bin ich drei Mal.
Ich bin sauer, weil die Arztrechnungen sich stapeln und nicht nur die. Auch mein schlechtes Gewissen meinen 80-jährigen Eltern gegenüber stapelt sich, da sie mich zu jedem Termin fahren müssen. Was ihnen nichts ausmache, mir jedoch ist es nicht recht. Will ich mich mal wieder mündig und erwachsen fühlen und trete die kurze Zugfahrt nach Zürich in eine Therapie selbst an, ist das körperlich so anstrengend, dass ich am nächsten Tag einen Rückfall erleide. Also heisst es wieder bei den Eltern anklopfen.
Meine Hausärztin verordnet mir eine Therapie bei einer Ergotherapeutin. Diese erzählt mir am Telefon, dass eine Patientin von ihr nach 23 (!) Monaten wieder 100% arbeiten könne. Da habe ich ja nur noch 19 Monate vor mir, bis ich wieder topfit bin. Achtung: Zynismus.
Sucht man sich als Betroffene Halt unter Gleichgesinnten, tritt man zum Beispiel einer Long Covid-Gruppe auf Facebook bei. Die Beiträge der Erkrankten zu lesen, deprimiert mich jedoch so, dass ich nach 24 Stunden wieder aus der Gruppe austrete. Dasselbe bei Zeitungsartikeln: Die Erlebnisberichte sind zwar hochinteressant, es hilft auch zu sehen, dass man nicht alleine ist, aber es hilft meinem Gemütszustand gar nicht und macht mich bloss hoffnungslos. So geht es auch meinem Umfeld. Sie können mir bloss viel Energie und baldige Genesung wünschen. Sie sagen: «Ich kann mir nicht vorstellen, wie du dich fühlst» und ich kann auch nach all den Wochen kaum in Worte fassen, wie sich diese Art von Erschöpfung anfühlt. Ich will es aber versuchen: als hätte man einen Hungerrast, dieser schwächt einen auch von Kopf bis Fuss. Aber es gibt auch die Schlappheit, man ist abgeschlafft, kurz: ein Zombie. Mein WhatsApp-Status ist deshalb auch das Zombie-Emoji, besser lässt sich mein Post Covid nicht zusammenfassen und erklären.
Denn Long- und Post Covid sind Krankheiten, die man nicht mit Aspirin oder einem Gips heilen kann. Nur Zeit und Geduld tun dies. Und ja, natürlich diverse Therapien, die das Energiemanagement fördern.
Nur schon diesen Text zu schreiben, strengt mein Hirn an. Ich spüre das jeweils auch beim Arbeiten. Was ich mittlerweile eine (!) Stunde am Tag vom Home Office aus mache, beziehungsweise schaffe. Dies geht manchmal gut, manchmal nicht. Jedes Mal spüre ich aber, wie es mein Hirn anstrengt und ich muss zwischendurch kleine Pausen einlegen und nach «Feierabend» eine grosse, um zu verhindern, dass ich einen sogenannten Crash auslöse. (Crashes werden durch Überforderung ausgelöst und bedeuten in meinem Fall die Erschöpfung, Schwäche und eine Mattscheibe haben. Jede Kleinigkeit, wie zum Beispiel zu duschen, ist eine physische und psychische Anstrengung.) Der Gedanke, wieder 50% zu arbeiten, was in meinem Fall 3h 40 Minuten wären, ist für mich heute unvorstellbar.
Vier Monate krank. Das heisst, ein Drittel des Jahres 2022 habe ich zu Hause verbracht. Während die Menschen draussen bis spätabends in Bars sassen, im See schwimmen gingen, das Leben genossen haben. Da muss ich mich manchmal echt anstrengen, um nicht kurz verbittert zu werden. Vier Monate, die ich verloren habe und ich weiss nicht mal, ob es nicht fünf oder gar sechs Monate werden, bis ich wieder voll funktionsfähig sein werde.
Auf Instagram sehe ich ein Meme, das davon handelt, dass man am Montag keine Lust auf Arbeit hat. Die Leute wissen nicht wie gut sie es haben: sich ab seinem Job zu nerven ist ein Luxusgut. Andere Menschen wünschten, sie könnten sich vor den Computer setzen und normal arbeiten.
«Wie geht es dir?» Diese nett gemeinte Frage kann ich nach 16 Wochen Krankheit nicht mehr hören. Weil ich einfach auch nicht weiss, was ich darauf antworten soll. «Auf und ab» lautet jeweils die ehrliche Antwort. Jeder Tag ist anders, ich weiss nie, wie es mir am darauffolgenden Tag gehen wird. Übernehme ich mich, wie mit der Zugfahrt nach Zürich, erhalte ich am nächsten Tag umgehend die Busse dafür.
Nach vier Monaten kann ich immer noch nicht begreifen und vor allem glauben, wie wenig es braucht, damit es mich ausser Gefecht setzt. Es ist absurd, mich sagen zu hören «Ich bin um das Haus gelaufen und musste mich danach hinlegen» oder «bei jedem Spaziergang oder Einkauf muss ich mich irgendwo hinsetzen und kleine Pausen einlegen.» Ich fühle mich wie 80 und habe mit 42 einen Ausblick darauf, wie sich das Alter einmal anfühlen wird. Jeder Einkauf kann zum Kraftakt verkommen.
Wenn Leute sagen: «Hauptsache, man ist gesund», habe ich das nie als Lüge abgetan, aber dem Spruch auch nie wirklich viel Beachtung geschenkt. Erst jetzt weiss ich, wie wahr er aber ist. Pathos hin oder her.
Auf die Gesundheit!
Glaube daran, und geniesse die guten Tage.