Der Chef der Weltgesundheitsorganisation hat vergangene Woche einen kaum beachteten Gastbeitrag veröffentlicht, in dem er vor den Folgen von «Long Covid» warnt. Solche Langzeitfolgen würden das Leben sowie die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen zerstören, so Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Er rief in seinem Kommentar die Nationen der Welt dazu auf, die Menschen besser davor zu schützen. Symptome wie eine erdrückende Müdigkeit, «Gehirnnebel» oder Kurzatmigkeit beim Treppensteigen: Mehrere zehn Millionen Menschen würden darunter leiden – und zwar monatelang.
Veröffentlicht wurde der Text im britischen «Guardian», der seit einigen Tagen in einer regelrechten Grossoffensive die weltweiten und persönlichen Folgen von «Long Covid» untersucht. Dabei kam neben Ghebreyesus auch der US-Epidemiologe Anthony Fauci zu Wort. Er sagt: «Einer der unglücklichen, herausfordernden und frustrierenden Aspekte der Krankheit ist, dass es so viele Elemente gibt, die nicht in einen bekannten oder identifizierbaren Krankheitsverlauf passen.»
Auch der WHO-Chef bestreitet das nicht. In seinem Text macht auch er klar, dass die Langzeitfolgen einer Coronainfektion pathologisch noch nicht geklärt seien. Für ihn bedeute das aber nicht, dass man die Symptome, die unter den Begriff «Long Covid» gezählt werden, nicht ernst nehmen müsse: Die Datenlage sei zwar dünn, die vorliegenden Zahlen würden aber klar aufzeigen, dass Millionen von Menschen darunter leiden.
Ghebreyesus formulierte deshalb in seinem Appell an die Weltgemeinschaft fünf Forderungen. Sie zielen in die Richtungen: Informiert die Menschen, verhindert Infektionen, sammelt Daten, forscht und garantiert die medizinische Versorgung. Doch wie ist die Schweiz aufgestellt?
watson hat vergangene Woche beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) nachgefragt. Dieses erklärt nicht nur allgemein, dass man die Forderungen von Ghebreyesus unterstütze. Das Bundesamt gibt auch einen vertieften Einblick in die Hintergrundarbeit der Behörden, die seit Monaten andauern. Diese Gesprächigkeit überrascht, da dies zumindest von aussen nicht zu erwarten war: Betroffene klagen seit über einem Jahr darüber, dass das Bundesamt die «Long Covid»-Symptome nicht ernst nehmen würde.
Bis zur watson-Anfrage waren nur wenige Informationen auf den BAG-Seiten zu finden, nachdem sie lange gesucht werden mussten. Dies soll sich nun ändern, wie das Bundesamt erklärt: In den vergangenen 1,5 Jahren sei ein «vergleichsweise dichtes, spezialisiertes Versorgungsangebot für Betroffene aufgebaut» worden. Das BAG spricht von über vierzig solcher Angebote – diese Liste soll für Betroffene «in Kürze» im Internet aufgeschaltet werden.
Schlechter sieht es im Bereich der Forschung aus. Dieser Punkt betrifft die dritte Forderung des WHO-Chefs Ghebreyesus: Er verlangte eine «systematische Datenerhebung» und einen besseren Austausch von Daten auf der WHO-eigenen Datenplattform. Sein Appell dazu: «Ich fordere die Länder dringend auf, Daten auszutauschen, um Wissenslücken schnell zu schliessen.»
Ghebreyesus lobte die reichen Länder, welche schon Daten liefern würden. Er liess aber unerwähnt, dass selbst die Schweiz – also das Land, in dem die WHO ihren Hauptsitz hat – sich nicht an der Datenplattform beteiligt. Das Bundesamt für Gesundheit bestätigt gegenüber watson:
Einen Austausch gebe es derzeit mit den «Gesundheitsbehörden der Nachbarländer». Das BAG erklärt zudem, dass man daran arbeite, die vorhandenen Datenquellen besser zugänglich zu machen. Parallel dazu erklärt das BAG eine finanzielle Beteiligung an einer klinischen Studie und fünf Forschungsprojekten zur Post-Covid-19-Erkrankung.
Das BAG unternimmt nicht viel, aber immerhin etwas, um «Long Covid»-Betroffenen zu helfen. Das soll nicht als Vorwurf verstanden werden, denn der Föderalismus zieht in «Normalzeiten» eine Arbeitsteilung zwischen Bund und den Kantonen vor. Hauptverantwortlich für Gesundheitsfragen sind die Kantone, der Bund darf mit Koordinationsaufgaben helfen und im Notfall während der «besonderen Lage» selbst eingreifen.
Diese Notsituation herrscht derzeit aber nicht. Bund und Kantone definierten vier verschiedene Szenarien, wobei die aktuelle Situation zur Stufe 2 passt: «Anstieg der Infektionszahlen kann mit vorhandenen Strukturen bewältigt werden.» Sprich: Aktuell stehen die Kantone in der Verantwortung, Ghebreyesus Forderung nach einem besseren Schutz vor Covid zu intensivieren. In den Kantonen tut sich hier aber wenig bis nichts.
- siehe CoVid
- siehe Krankheitskosten
- siehe Krankenkassen
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