Sie waren frisch verliebt, und er wollte sie jeweils zur Arbeit begleiten. Das fand Thea* süss, aber sehr schnell wurde ihr klar, dass es ihm dabei auch um Kontrolle ging. Als sie ihn über ein Treffen am Abend mit einer Freundin informierte, knallte er auf einem belebten Platz den Kaffeebecher auf den Boden, so wütend machte ihn das. Und als sie noch ein paar Sachen bei ihrem Ex-Freund abholen wollte, ist er gegen ihren Willen mit ins Auto gestiegen.
Ein paar Wochen später hat er den DVD-Player kaputt geschlagen, den sie von ebendiesem Ex-Freund einmal geschenkt bekommen hatte. Später entsorgte er in ihrer Abwesenheit einige ihrer Fotoalben. Und als Thea Ferien planen wollte mit Freundinnen, kamen von ihm klare Anweisungen: nicht nach Ägypten, nicht in die Ukraine, nicht nach Israel und auch nicht in lateinamerikanische Länder. Bleibt besser in der Schweiz!
Thea ist kein Einzelfall. Stalking, 20 SMS pro Tag, immer wieder Vorwürfe und Eifersuchtsdramen – viele Beziehungen münden darin, dass ein Partner den anderen obsessiv bedrängt. Eine italienische Studie hat nun eine wesentliche Ursache für dieses Verhalten gefunden.
Das Forscherteam um Federico Contu von der Sapienza-Universität in Rom hat rund 750 jüngere Erwachsene, die in einer festen Beziehung leben, nach ihrem Selbstwertgefühl und ihrer Neigung zu Übergriffigkeiten in der Partnerschaft befragt. Dabei zeigte sich beispielsweise: Wer Aussagen wie «Ich fühle mich gedemütigt» und «Ich fühle mich nicht respektiert» als zutreffend deklarierte, stimmte eher solchen Sätzen zu wie «Ich habe fast zwanghafte Gefühle für meinen Partner» und «Ich will immer wissen, wo er gerade ist».
Contus Resümee: Wer sich sozial unbedeutend fühlt, sieht in seinem Partner weniger eine Chance für neue Erlebnisse als vielmehr ein Eigentum, das er unter Kontrolle halten muss. Der römische Psychologe vermutet dahinter den Versuch, «das Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit zu kompensieren, indem man sich obsessiv auf den Partner fokussiert».
Nach dem Muster: Ich fühle mich zwar als niemand, aber durch den anderen werde ich zu einem jemand – und deswegen muss der unter allen Umständen bei mir bleiben. Und das gelte, wie der italienische Psychologe überrascht feststellte, «offenbar für Männer wie für Frauen». Er hätte das aggressiv-übergriffige Verhalten eher bei Männern erwartet.
Für Thomas Stompe von der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie ist die Parität der Geschlechter hingegen keine Überraschung. Das sei schon länger bekannt. «Doch wenn man die unterschiedlichen Formen des obsessiven Verhaltens betrachtet, gibt es schon Unterschiede», betont Stompe. «Je schwerwiegender die Reaktion auf den Bedeutungsverlust, umso grösser wird der Anteil der Männer.»
Dazu gehören beispielsweise Stalking und körperliche Gewalt gegenüber der Partnerin. «Das Überwachen und das Sichzurücknehmen bei den eigenen Interessen, um nur noch für den Partner da zu sein, findet man hingegen bei beiden Geschlechtern», so Stompe.
In Theas Fall hat ihr Freund und später Ehemann schon sehr früh in der Beziehung Gewalt ausgeübt, wenn auch zuerst nur gegen Gegenstände. Später presste er sie auch mal grob an die Wand, hielt sie mit Gewalt fest. Manchmal schlug er sich selbst an den Kopf. Sie erklärt sich das auch mit ihrem Widerstand. «Hätte ich nicht dagegengehalten, wäre er sicher weniger ausgetickt.» Sie aber hat immer wieder für ihre Freiheiten gekämpft.
Als sie dann ein Baby hatten, hat ihr Ehemann ihr klargemacht, dass er es schön fände, wenn sie zu Hause bliebe. Thea liess die Entscheidung zuerst offen, hat ihren Job dann aber doch gekündigt. Der Kontrollwahn weitete sich aus. Thea sollte zum Beispiel mit dem Kind nicht auswärts übernachten, auch nicht bei ihrer Familie, weil das für das Kleine schlecht sei. «Er hat mir immer dreingeredet und das hat funktioniert, ich konnte oft nicht selber denken.» In dieser Zeit hat sie vermehrt seinem Druck nachgegeben, weil sie die Eskalation vor dem Kind verhindern und von ihm als glückliche Mutter erlebt werden wollte.
Laut Contu haben 50 Prozent der Erwachsenen im Alter von 18 bis 22 Jahren schon Erfahrungen mit obsessiven Beziehungen gemacht. Vor 20 Jahren sei die Quote noch deutlich niedriger gewesen. Was aber nicht am moralischen Verfall oder einer zunehmenden Aggressivität in der Gesellschaft liegen müsse. «Man muss ja bedenken, dass sich in den letzten Jahren die Möglichkeiten zu so einem Verhalten erweitert haben.» Das digitale Stalking im Internet etwa und erst recht die Handy-Ortung gebe es noch nicht so lange.
Stompe sagt, vor allem zwei Persönlichkeitstypen seien für ein obsessives Verhalten in der Partnerschaft prädestiniert. Einer davon ist der Narzisst. Er kann Zurückweisungen kaum ertragen und versucht daher, alle ausserpartnerschaftlichen Aktionen als mutmassliche Abkehrbewegungen seines Partners zu unterdrücken («Warum willst du dich schon wieder mit deinen blöden Freunden treffen?»).
Der andere Typus ist die dependente Persönlichkeit, die wie ein Gegenentwurf zum Narzissten wirkt und ein passives, unterwürfiges und angepasstes Verhalten zeigt. Personen dieses Typs fallen erst einmal weniger auf, weil zu ihren Strategien gehört, sich selbst stark zurücknehmen («Ich komm' schon damit klar, wenn du mich allein lässt»). Doch das kann den Partner ebenfalls stark belasten, weil es ein schlechtes Gewissen und einen starken Handlungsdruck erzeugt, sich um den anderen kümmern zu müssen.
Bleibt die Frage, was man tun kann, wenn der Partner obsessiv-übergriffig ist. Schlussmachen ist sicherlich eine Option, denn wenn das Verhalten in der Persönlichkeit verankert ist, darf man nicht auf Besserung hoffen. Doch ist es im Falle eines brutalen Narzissten nicht sogar gefährlich, wenn man ihn klar und deutlich zurückweist? Stompe weist hier darauf hin, dass Zurückweisungen selbst bei Soziopathen nicht zwangsläufig in Gewalttätigkeit münden. «Aber Aussprachen mit solchen Menschen sollten im öffentlichen Raum stattfinden», rät der Wiener Psychiater, der auch an einer Justizvollzugsanstalt arbeitet.
Beim Stalking sei eine ausführliche Dokumentation der Nachstellaktivitäten das oberste Gebot, damit eine entsprechende Strafanzeige bessere Chancen habe: «Wenn ein Stalker von der Polizei verhört wird, bekommt das für ihn eine andere Qualität, die meistens dazu führt, dass die Aktionen aufhören.» Eine Garantie dafür gebe es jedoch nicht.
Thea ist heute geschieden, wird vom Vater ihres Kindes aber immer noch unter Druck gesetzt. Es gebe immer wieder Situationen, die ihn dazu veranlassten, sie mit Nachrichten zu bombardieren und ihr wüste Vorwürfe zu machen, erzählt sie. Etwa wenn es um die gerichtlich festgelegten Unterhaltszahlungen geht.
Warum sie trotz allem zehn Jahre mit ihm zusammengeblieben ist, versteht sie heute selbst nicht. Sie habe sich an den positiven Dingen festgehalten. Als er nach seinem Doktorat – während dem sie ihn finanziert hatte – einen guten Job in der Pharmaindustrie gefunden hatte, gingen die Ausraster etwas zurück, was sie hoffen liess. Auch konnte sie ihn auf Geschäftsreisen in viele verschiedene Städte begleiten. Das hat Thea auch genossen.
Heute holen sie die Erlebnisse aus der Beziehung immer noch im Alltag ein. «Ich habe etwa einmal pro Woche ein diffuses Angstgefühl und funktioniere dann für ein paar Stunden nicht. Dabei habe ich mehr Angst vor seinen Worten als vor etwas anderem.» (bzbasel.ch)
Heute sehe ich ihn kaum noch, weil jedesmal wenn wir etwas unternehmen wollen, sie ihm das verbietet. Ich muss dabei sagen, dass sie herrisch ist und ihm die Hölle heiss macht, wenn er nicht genau das tut, was sie will.
Warum er in dieser Ehe bleibt kann ich nicht verstehen, ich wäre längst gegangen …