Lena Dunham und Stephen Fry: Mit der Besetzung der Hauptrollen ihres ersten internationalen Spielfilms «Treasure» ist der deutschen Regisseurin Julia von Heinz ein echter Coup gelungen. In ihrem Familien- und Identitätsdrama mit komödiantischen Elementen hat sie zwei zusammengebracht, die man womöglich nicht sofort auf einen Nenner bringen, geschweige denn bei einem gemeinsam Projekt sehen würde.
Zum einen die 38 Jahre junge amerikanische Feministin, die mit der TV-Serie «Girls» das Porträt einer Generation von lebensnahen, widerständigen Frauen entwarf und eine kluge Autobiografie vorlegte. Auf der anderen der 67-jährige britische Allrounder, der in seiner Heimat nahezu nationales Kulturgut ist. Fry verkörperte Oscar Wilde ebenso wie den Hausgeist Fast Kopfloser Nick in «Harry Potter», schrieb unzählige extrem unterhaltsame Bücher und schenkte uns zusammen mit seinem Seelenverwandten Hugh Laurie Sternstunden des absurden Humors.
In «Treasure» spielt Dunham die New Yorker Journalistin Ruth, die ihren Vater Edek (Fry) Anfang der 90er Jahre nach Polen begleitet – auf einer Spurensuche nach der jüdischen Familienvergangenheit, die sie bis nach Auschwitz führt. Ein Road Movie mit hohem Konfliktpotenzial. Zwei nervöse, neurotische Menschen, die ganz unterschiedlich mit ihren jeweiligen Erfahrungen und Erlebnissen umgehen: Edek mit vordergründiger Leichtigkeit, Ruthie mit klammernder Anspannung.
Dunham und Fry sind beide beim kurzen, sehr herzlichen Gespräch im Berliner Hotel Ritz-Carlton, nicht weit vom Holocaust-Mahnmal, gut aufgelegt. Fry zeigt stolz Handyfotos aus Österreich, wo er jüngst wegen seines Grossvaters die Staatsbürgerschaft erhalten hat. Während ihre Figuren generationenübergreifend zusammenprallen, loben die Schauspieler einander überschwänglich: «Ich hatte noch nie einen Drehpartner, der so viel zurückgeben hat, auch wenn die Kamera gerade nicht auf ihn gerichtet war», sagt Dunham. Und Fry ist begeistert, wie grosszügig und freundlich die Frau war, die so tough eine Serie wie «Girls» verwirklichte.
Ihre eigenen Familiengeschichten, ihre Brüche und Ausgrenzungen, hallen durchaus in den Rollen wider: «Meine Familie hatte durch die Industrialisierung einen bestimmten Grad an Wohlstand erreicht, mit Diener und Pferden. Sie waren keine urbanen Schtetl-Juden und auch nicht religiös. Aber hatten eine Passion für die guten Dinge im Leben, die viele an den Tag legen, die Antisemitismus erlitten haben», erzählt Fry. Sein Grossvater, der in der k. u. k.-Armee kämpfte, wurde bei seiner Rückkehr nach Ungarn keineswegs als Weltkriegsheld empfangen: «Das hat ihn sehr aufgeregt. Als er die Chance erhielt, nach Grossbritannien zu emigrieren, ergriff er sie.»
Dunham und Fry stammen beide aus jüdischen Familien, haben diesen Teil ihrer Identität jedoch nie ins Zentrum ihres Schaffens gestellt. Besonders bei Dunham spürt man jedoch die Begeisterung, wenn sie von den Feiertagen ihrer Kindheit schwärmt: «Pessach und das Fastenbrechen waren sehr wichtig – auch wenn niemand fastete, sondern alle ständig nur die Fastenregeln brachen. Das waren meine Lieblingstage. Ich erinnere mich an jeden Geruch, jedes Gefühl. Daran, wie ich unter dem Tisch die Schuhbänder von allen zusammengebunden habe.»
Für Fry war es ein «leicht exotischer Bonus», jüdisch zu sein: «Ich bin ja sehr britisch aufgewachsen, in Privatschulen, in denen wir Cricket gespielt haben. Ich war der erste jüdische Präsident des Marylebone Cricket Club. Meine Herkunft habe ich zwar niemals verleugnet. Durch den spürbaren Anstieg des Antisemitismus in den letzten Jahren fühlte ich mich aber verpflichtet, mein Jüdischsein noch deutlicher offenzulegen.» Dies sei womöglich ein bisschen eitel, doch als Trotzreaktion zu verstehen, ähnlich wie es sein Grossvater tat. Als dieser als «Dreckiger Jude» beschimpft wurde, habe er sich erst recht dazu bekannt, Jude zu sein.
Dabei nimmt es der atheistische Spötter Fry mit der Religion persönlich überhaupt nicht genau, auch wenn er anerkennt, dass sie der Kitt der jüdischen Geschichte ist. Auch Dunham hat das «moderne jüdische Pathos, gepaart mit Humor», das Autorinnen wie Lily Brett auszeichnet (von der die Romanvorlage zu «Treasure» stammt) mehr fasziniert als die Glaubensinhalte. «Der Teil von mir, der vielleicht noch am ehesten etwas Religiöses beinhaltet, legt den Fokus auf Gemeinschaft und Familie, auf die Mischpoke. Das heisst auch, dass man andere Menschen so behandelt, als würden sie zum erweiterten Familienkreis zählen».
Dunham wäre jedoch nicht Dunham, gäbe sie den Ritualen nicht einen kleinen Twist mit, eine unerwartete Note: «Mein Mann hat seinen Lebtag noch keinen Fuss in eine Synagoge gesetzt und bis zu unserer Hochzeit kein Wort Hebräisch gesprochen. Dann haben wir eine klassisch jüdische Hochzeit unter der Chuppa gefeiert. Und dazu hatten wir einen radikal-queeren Rabbi bestellt», lacht sie. Das befreiende Lachen und die Tragik, sie liegen nahe beinander, im Film, wie in den Familienbiografien seiner Darsteller.
«Treasure» war neben «Schindler's List» einer der wenigen Filme, die in Auschwitz gedreht werden durften. Der Film erzählt auch etwas über den Holocaust-Tourismus, den Dunham selbst beim Dreh erlebte: «In Auschwitz bemühten wir uns, leise zu sein, während neben uns die Busse mit lärmenden Teenagern hielten. Einerseits willst du ihnen zurufen: Leute, hört auf, Bilder vor der Gedenkstätte zu schiessen. Aber zugleich ist es immens wichtig, dass sie überhaupt hingehen, selbst wenn sie die Tragweite in diesem Moment nicht verstehen. Irgendwann werden sie verstehen.»