Es ist das ururalte Jahr 1991 nach Christus und zwischen einem Franzosen und einer Französin passiert l'amour. Er ist 32, sie erst 15. Er ist ein angesagter Regisseur, sie seit Kindheit Schauspielerin, er verfolgt sie schon länger. Und jetzt will er sie. Sie ist sich nicht ganz sicher, doch nach ein paar Dates, an denen er sich benimmt, will sie ihn auch, die beiden heiraten ein Jahr später, in Frankreich darf man das damals noch. Er heisst Luc Besson. Sie nennt sich Maïwenn, ihr Vorname ist ein alter bretonischer Name, an ihrem Nachnamen Le Besco hängt sie nicht.
1993 werden die beiden Eltern einer Tochter. Im gleichen Jahr dreht Besson «Léon: Der Profi» mit der zwölfjährigen Natalie Portman, Maïwenn ist sich sicher, dass ihr Luc da seine Beziehung zu ihr thematisiert. Auch sie hat eine kleine Rolle. Ebenso 1996 in «The Fifth Element». Blöderweise verknallt sich ihr Luc dabei in seine 19-jährige Hauptdarstellerin Milla Jovovich. Er will sie sofort und ganz und so schnell wie möglich heiraten und Maïwenn muss weg. «Er sagte mir, dass er nicht mehr auf meinen Körper steht», gibt sie später bekannt, es war immer nur ihr Körper, sonst nichts. Und genau deshalb, sagt sie heute, habe sie sich mit Jeanne du Barry (1743 – 1793) identifiziert.
Die Du Barry also. Eine von 15 offiziellen Mätressen des französischen Königs Louis XV. Und von den Offiziellen die Letzte. Diejenige, die an seiner Seite war, als er 1774 im Alter von 64 Jahren an Pocken starb. Zugeführt wurde ihm die Tochter eines Mönchs und einer Näherin als 18-Jährige. Sie arbeitete da schon ein paar Jahre lang als Model, Verkäuferin und Kurtisane, als Edelprostituierte also. Zwei Dinge behindern Jeannes sofortigen Aufstieg zur Favoritin des Königs: Seine amtierende Favoritin, die Marquise de Pompadour, ist zwar krank, aber noch am Leben, und Jeanne selbst ist keine Adelige.
Doch 1764 stirbt die Pompadour endlich, Jeanne wird mit dem Bruder ihres Zuhälters verheiratet und trägt damit den Titel einer Komtesse. Mit 26 ist sie offiziell die erste Geliebte am Hof samt sehr viel Schmuck, Geld und eigenem Schloss. Der König hat grosse Freude an ihr, schliesslich ist sie eine Professionelle, die mehr von Liebesakrobatik versteht, als seine bisherigen, adeligen Fräulein, seine Bedienten sollen sich über ihn lustig gemacht und gesagt haben: «Haha, der war bloss noch nie in einem richtigen Bordell.»
Damit also identifizierte sich Maïwenn. Und weil sie am liebsten selbst Drehbuch schreibt, Regie führt und die Hauptrolle übernimmt (man nennt dies auch den Til-Schweiger-Komplex oder den Orson-Welles-Komplex), spielt sie mit ihren 47 Jahren jetzt eben auch die 18- und die 26-jährige Jeanne. Ohne Tricktechnik. Sie spielt einfach auf «jung», was in der ersten Hälfte des Films öfter irritierend peinlich wirkt. Aber sie wollte das eben so. Til und Orson würden sie dabei gewiss unterstützen. Es ist auch egal, dass die Du Barry blond war und Maïwenn dunkle Haare hat und immerzu auf Charlotte Gainsbourg macht.
Das grosse Rätsel war: Wer wird ihr König Louis? Maïwenn fragte zwei ungenannt bleibende Franzosen, die ihr angemessen schienen, doch beide lehnten ab. Dann machte sie eine Liste mit «Traummännern». Darauf standen zuoberst Gérard Depardieu und Johnny Depp. Man kann Maïwenn wirklich keine woke Empfindlichkeit vorwerfen, nicht den Hauch davon. Sie verteidigt auch den Regisseur Roman Polanski. Und verprügelt ihr unliebsame Journalisten eigenhändig. Depardieu lehnte ab.
Blieb noch Depp. Maïwenns Anfrage erreichte ihn zwei Monate vor seinem Prozess gegen Ex-Frau Amber Heard. Und siehe da, der arbeitslose Depp hatte nichts gegen einen Job als König. Seine Vorteile lagen auf der Hand: Aus seiner Ehe mit Vanessa Paradis war ihm Französisch nicht fremd, und für einen dekadenten, alternden König musste er weder abnehmen, noch sein vom Alkoholkonsum aufgeschwemmtes Gesicht wieder in Form bringen. Alles passte ausgesprochen ideal, Depp befand sich quasi in seiner schönsten Dépardieu-Phase.
Der Dreh begann nach dem grossen Prozess. Nachdem Millionen von Depp-Fans Amber Heard durchs Netz und den Dreck gejagt hatten. Maïwenn hielt sich damit nicht auf, schliesslich werde jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf gejagt, sagt sie, und MeToo findet sie eher lästig. Der Dreh wurde trotzdem zum Alptraum. Sie und Depp lieferten sich laut dem Drehteam einen Zweikampf in spätpubertärem Diventum. Mal erschien er nicht zum Dreh, am nächsten Tag aus Rache sie nicht. Superstimmung. Besonders, wenn man wie in Versailles nur an den besucherfreien Montagen drehen kann.
Es war ein wahrhaft höfisches Getue zwischen den beiden, und heute sagt sie im «Spiegel»: «Wie soll man mit einem Menschen zusammenarbeiten, der sich für den kreativen Prozess nicht interessiert? Mit einem Schauspieler, der das Ergebnis der Arbeit ignoriert? Werde ich je wieder etwas mit ihm drehen? Die Antwort heisst: Nein. Es ist schwer, mit ihm zu kommunizieren. Wir haben aufgehört, miteinander zu sprechen.» Depp macht dennoch keinen schlechten Job, er spielt den Louis sehr zurückgenommen, aber immer mit dezenten, kleinen Anleihen an seine verrückten früheren Rollen, ein bisschen Jack Sparrow hier, ein bisschen Mad Hatter da.
Die letzte Favoritin von Louis XV. wurde vom sterbenden König vorübergehend ins Kloster verbannt, es war sein Versuch, sein ausgesprochen sündiges Leben zu sühnen. Jeanne du Barry verlor ihren Kopf am 8. Dezember 1793 im Alter von 50 Jahren unter der Guillotine auf der Place de la République, mitten in Paris. Verraten hatte sie ihr ehemaliger Page Zamor.
Sie hatte den dunkelhäutigen Jungen einst als Geschenk erhalten und zum modischen Accessoire gemacht, Knaben wie er lösten am Hof bald exotische Äffchen ab, die Damen fanden, dass ihre weisse Haut in der Umarmung eines afrikanischen oder indischen Kindes noch besser zur Geltung käme. Als Erwachsener lief Zamor zu den Revolutionären über. Jeanne Du Barry versuchte, dem Schafott durch Bestechung zu entgehen, sie bot den Henkern ihren Schmuck an, vergeblich.
«Jeanne Du Barry» ist trotz der persönlichen Exzentrik von Maïwenn und Depp und trotz der Top-Kostüm- und Perücken-Kunst ein braver, konventioneller Film geworden, vorhersehbar und klischiert und vor allem anderen Spiegelkabinett der Maïwenn, deren Kostüme natürlich von Chanel kommen. Dass ihre Du Barry eine auffällige Obsession für den blutjungen Dauphin hat, erklärt sich schnell – er wird von Maïwenns Sohn aus zweiter Ehe gespielt. Auch das gehört zum Til-Schweiger-Komplex.
«Jeanne Du Barry» läuft jetzt im Kino und vermutlich in einem Jahr auf Netflix.