Spätestens seit den letzten Filmfestspielen in Venedig wissen wir: Grosser Wirbel um einen solchen Event kann nicht schaden. Damals war es praktisch der gesamte Cast rund um Harry Styles und Olivia Wilde des Films «Don't Worry Darling», der mit Beziehungsproblemen und internen Streitereien für Furore – aber eben auch Werbung für den Film – sorgte.
In diesem Jahr fällt diese Rolle nicht nur, aber auch Johnny Depp zu. Das französische Historiendrama «Jeanne Du Barry», Depps erster Film nach seinem famosen Gerichtsprozess gegen Amber Heard, war der Eröffnungsfilm in Cannes. Mit dieser Entscheidung haben sich die Organisatoren bereits ein kleines Skandälchen aufgehalst. Wir erklären, warum.
Der Schauspieler legte am Filmfestival in Cannes seinen ersten grossen Auftritt zurück im Glamour-Zirkus der Filmbranche hin. Seit dem Monster-Verleumdungsprozess gegen seine Ex-Frau Amber Heard hatte der Schauspieler die Öffentlichkeit zwar nicht gescheut – er trat zum Beispiel am Montreux Jazz Festival auf –, aber mit «Jeanne Du Barry» kehrt Depp zurück in die ihm bekannten Gefilde.
Sein Auftritt wurde darum auch mit viel Spannung erwartet. Und er schien – zumindest seine hartgesottenen Fans – nicht zu enttäuschen. Im Smoking, mit gewohnt vielen Ringen und einer Sicherheitsnadel im Ohrläppchen schien er sich auf dem Roten Teppich gut zu unterhalten, umarmte Bekannte und gab den Fans artig Autogramme. Auf Twitter trenden derzeit die Hashtags #JohnnyDeppRises und #JohnnyDeppCannes2023, ausserdem macht ein Video die Runde, in der Johnny Depp – oder vielmehr der Film, oder beide – nach der Filmvorstellung mit einer sieben-minütigen (!) Standing Ovation bedacht wurde. Eine Geste, die den Schauspieler offenbar so rührte, dass manch einer ein paar Tränen gesehen haben will.
Johnny Depp is teary-eyed as "Jeanne du Barry" receives a seven-minute standing ovation following its premiere at #Cannes2023. https://t.co/vCSwNkhYVL pic.twitter.com/NAigHMBwny
— Variety (@Variety) May 16, 2023
Das Kostümspektakel «Jeanne Du Barry» ist also Depps erster Film seit dem Gerichtsprozess in Virginia. Für einmal spielt er dabei nur eine Nebenrolle und überlässt die Hauptrolle der französischen Regisseurin und Schauspielerin Maïwenn. Depps darstellerische Leistung als französischer König Louis XV., dem zweitletzten Monarchen Frankreichs, kommt bei den Kritikern einigermassen gut weg, besonders sein «hervorragendes Französisch» wird gelobt. Kritisiert wird allerdings eher seine Besetzung; zu dominant und «ablenkend» sei Johnny Depps Personalie – und dann erst noch für lediglich eine Nebenrolle.
Die Besetzung von Johnny Depp in «Jeanne Du Barry» ist allerdings nicht erst seit der Premiere ein Thema. Maïwenn, die bei dem Film sowohl Regie führte als auch die Hauptrolle spielte, hatte Depp wenige Tage nach dessen Gerichtsprozess dazu angefragt. Die Kritik dabei: Sie habe nicht einmal das Urteil abgewartet.
Wieso tat die Französin das?
Maïwenn Le Besco – besser bekannt unter nur ihrem Vornamen – ist selbst auch kein unbeschriebenes Blatt. Die 47-Jährige aus einer französisch-algerischen Familie ist in Frankreich als Drehbuchautorin, Schauspielerin und Regisseurin weit bekannt. In der Filmszene sorgte sie jüngst für mehrere Kontroversen, weil sie sich sowohl auf die Seite des Regisseurs Roman Polanski als auch des Schauspielers Gérard Dépardieu – dem sie die Rolle des Louis XV. zuerst angeboten hatte, der das Angebot aber ablehnte – schlug. Beide Männer sahen sich in der Vergangenheit mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert.
Ausserdem «verschwesterte» sich Maïwenn mit Catherine Deneuve, die sich öffentlich gegen die MeToo-Bewegung gestellt hat, weil diese eine «Kampagne der Denunziation und öffentlicher Anschuldigungen» ausgelöst haben soll. Deneuve forderte in einem Text ausserdem die «Freiheit, jemandem lästig zu werden, die für die sexuelle Freiheit unerlässlich ist.»
Etwas ironisch ist dabei, dass Maïwenn vor Kurzem selbst handgreiflich geworden ist. Wie sie es nur einige Tage vor dem Filmfestival in einem Fernsehinterview selbst bestätigte, hat die Regisseurin in einem Restaurant einen Journalisten angegriffen und angespuckt. Maïwenn, die allein an einem Nachbartisch sass, soll den Mann an den Haaren gepackt, ihm ins Gesicht gespuckt und danach das Restaurant verlassen haben, schreibt der französische Journalist in einer Beschwerde.
Der Hintergrund dieser Attacke: Das von dem Journalisten gegründete Online-Newsmagazin hat einen Bericht über Vergewaltigungs- und sexuelle Übergriffsvorwürfe gegen Luc Besson veröffentlicht. Besson führte 1994 Regie im Film «Léon der Profi», mit den Hauptdarstellern Jean Reno und der zwölfjährigen Natalie Portman. Als sie selbst zwölf Jahre alt war, lernte Maïwenn Besson an einem Filmset kennen. Mit 15 begann sie eine Liebesbeziehung mit dem 17 Jahre älteren Regisseur, als sie 16 war, heirateten die beiden und wurden kurze Zeit später Eltern einer Tochter. Die Ehe endete fünf Jahre später, als Besson seine Frau für das 20-jährige Model Milla Jovovich verliess.
Dass ein Film wie «Jeanne Du Barry» das Festival in Cannes eröffnen darf, wurde im Vorfeld stark kritisiert – wenn auch kaum aufgrund seines Inhalts. Das Kostümspektakel erzählt die Geschichte einer jungen französischen Frau aus der Unterschicht, welcher der soziale Aufstieg über die Edelprostitution gelingt. So hoch hinauf, dass sie zur Lieblingsmätresse des Königs (Louis XV.) wird, dem zweitletzten Monarchen Frankreichs und Vorgänger von Louis XVI.
Nein, die Kontroverse um «Jeanne Du Barry» entfacht sich nicht am Film, der im Allgemeinen gemischte Kritiken erhielt, sondern an dessen Besetzung. Kurz vor dem Start des Filmfestivals veröffentlichte die französische Zeitung «Libération» nämlich einen von mehr als 100 Schauspielerinnen und Schauspielern unterzeichneten offenen Brief. Darin wird dem Festival und der gesamten Filmindustrie vorgeworfen, Personen, die «der Körperverletzung und des Missbrauchs beschuldigt werden», nicht ordnungsgemäss von der Veranstaltung auszuschliessen. Depp wurde dabei nicht namentlich erwähnt.
Der Regisseur Thierry Frémaux, künstlerischer Leiter des Festivals, reagierte gelassen auf die Kritik: Er wisse nicht, wie es um das Image von Johnny Depp in den USA, wo die meiste Kritik an der Entscheidung des Festivals herkam, bestellt sei, sagte er auf einer Pressekonferenz. Er schere sich lediglich um Johnny Depp als Schauspieler: «Hätte man Johnny Depp verboten, in einem Film mitzuspielen, oder wäre der Film verboten worden, würden wir hier nicht darüber sprechen.»
Das Filmfestival in Cannes wird derweil zum ersten Mal von einer Frau geleitet. Die Deutsche Iris Knobloch ist die erste Nicht-Französin in dieser Funktion. Unter ihrer Leitung sollen die Filmfestspiele diverser werden, so wurden erstmals so viele Regisseurinnen wie noch nie ins Rennen um die Goldene Palme geschickt. Knobloch selbst sagte dazu: «Eine Frau an der Spitze zu sein, hat symbolische Kraft. Und ich denke, es ist ein Sieg für die Frauen.»
«Jeanne Du Barry» wird im Übrigen wohl nicht der letzte Film sein, der am Filmfestival in Cannes für Gesprächsstoff sorgt. Neben Martin Scorseses neuem Epos «Killers of the Flower Moon» mit Leonardo DiCaprio und Robert De Niro wird in diesem Jahr auch der fünfte «Indiana Jones» («Indiana Jones und das Rad des Schicksals») mit dem 80-jährigen Harrison Ford als Archäologen vorgestellt.
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