Schon als kleines Kind wollte ich Tierärztin werden. Ich habe hart dafür gearbeitet und ich liebe meinen Beruf – und verfluche ihn gleichzeitig. Das Problem sind nicht die Tiere. Das Problem sind die Halterinnen und Halter mit ihren überzogenen Erwartungen und die Chefs, die uns eine ungesunde Einstellung zur Arbeit vorleben.
Ausserdem hat die Gesellschaft ein völlig falsches Bild von unserem Beruf: Wir streicheln nicht den ganzen Tag herzige Kätzchen. Der Job ist mental und körperlich anstrengend. Jeder Arbeitstag in der Praxis ist wie ein wilder Ritt voller Wendungen. Im Studium büffelt man jahrelang Theorie. Die Uni siebt gnadenlos aus: Es dreht sich alles nur um medizinisches Fachwissen und das Bestehen von Prüfungen.
Doch auf die Realität an der Front wird man im Studium nicht vorbereitet. Dabei wären Belastbarkeit, Flexibilität und der Umgang mit Menschen wichtig in diesem Beruf. Ja mit MENSCHEN. Oft ist nämlich die Begleitung der Tierhalterinnen und Tierhalter anspruchsvoller als die Behandlung der Tiere.
Die Erwartungen einiger Halter sind riesig. Gleichzeitig übernehmen manche aber null Verantwortung für ihr Tier. Sie warten zwei Wochen, während ihr Hund Durchfall hat, und rufen dann am Sonntagabend bei uns an – plötzlich ist es ganz dringend. Oder sie melden sich nachts um 2 Uhr, weil der Hund ein bisschen mehr speichelt als sonst.
Es ist wirklich unglaublich. Erstaunlich viele rufen nach dem Ausgang an. Warum?! Ich verstehe das nicht. Offenbar passt es nach dem Partymachen besonders gut. Oder man hat nur angetrunken den Mut, zum Hörer zu greifen. Ihr würdet nicht glauben, wie oft ich schon lallende Katzenbesitzer am Telefon beruhigen musste.
Oder man taucht einfach gar nicht zum vereinbarten Termin auf. Das kommt in unserer Praxis etwa fünf Mal pro Woche vor. Das ist respektlos und ein deutliches Zeichen fehlender Wertschätzung für unsere Arbeit. Beim Humanmediziner würde sich das niemand trauen.
Das ist mega anstrengend. Klar, gehört der Umgang mit den Besitzerinnen und Besitzern zum Beruf dazu. Aber muss es wirklich nachts sein? Eigentlich hätte ich um 18.30 Uhr Feierabend. Es kommen aber praktisch immer zwei bis drei Einsätze bis 23 Uhr dazu. Wenn ich endlich zu Hause bin und entspannen möchte, klingelt garantiert das Notfall-Telefon.
Ich hasse dieses Telefon. Der Klingelton triggert mich richtig. Vor und nach jedem Anruf fluche ich lautstark vor mich hin. Man flucht allgemein viel in diesem Beruf. Vor allem, weil die meisten «Notfälle» keine echten Notfälle sind. In Schnitt leiste ich etwa zwölf Nachteinsätze pro Monat – und stehe am nächsten Morgen wieder pünktlich in der Praxis. Die Piketteinsätze kommen zur normalen Arbeitszeit einfach obendrauf.
Dieser permanente Druck nagt an einem. Kein Wunder, dass viele den Job früh aufgeben. Sie wechseln in die Pharmabranche oder aufs Amt, weil es ihnen zu viel wird. Diese Aussteiger werden innerhalb der Branche als Versager angesehen, weil sie den Stress an der Front nicht ausgehalten haben. Dabei kann ich sie gut verstehen.
Unsere Chefs leben uns eine totale Aufopferung für den Beruf vor. Man ist stolz darauf, lange und hart zu arbeiten. Ich kenne zahlreiche Vorgesetzte, die kein Verständnis dafür haben, dass man neben der Arbeit auch ein Privatleben und Hobbys haben will. Die Chefs arbeiten sich kaputt, bis es nicht mehr geht – und insgeheim verlangen sie das auch von den jungen Kollegen. Das ist doch nicht gesund.
Kein Wunder ist die Suizidrate unter Tierärztinnen und Tierärzten viermal höher als in anderen Berufen. Jeder kennt jemanden, der sich das Leben genommen hat. Die hohe Belastung im Job ist sicher ein Grund dafür. Ich kenne auch einige tragische Fälle – ein Kollege war erst Mitte 30.
«Die Arbeit mit Tieren ist eine Leidenschaft», heisst es. Das stimmt. Aber müssen wir deswegen immer sofort verfügbar sein? 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr? Kosten darf es ja dann doch nichts. Wir diskutieren mit den Halterinnen und Haltern viel zu oft über die Rechnung. Dabei sind die Tarifansätze zu tief. Darum kann man nicht genügend Leute einstellen oder die Arbeitsbedingungen fairer gestalten. Es gibt vom Verband zwar Empfehlungen für Wochenend- und Nachtzuschläge, aber in der Praxis werden diese nur selten angewendet. Man arbeitet einfach – «all inclusive» quasi.
Der Einstiegslohn liegt nach fünfeinhalb Jahren Studium bei 5400 Franken. Es gibt keine festen Vorgaben – alles ist Verhandlungssache. Das ist Teil des Problems. Unter den Praxen herrscht ein starker Konkurrenzkampf.
Diesen Druck spüren die jungen Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger bei den Einstellungsgesprächen. Wir sind ausgeliefert. Es findet sich immer jemand, der die Arbeit günstiger macht. Eine Zusammenarbeit unter den Praxen – etwa bei der Aufteilung von Bereitschaftsdiensten – würde den Druck enorm mindern. Aber es schaut lieber jeder für sich.
Als Frau ist es besonders hart: Bei Besuchen auf dem Bauernhof muss man sich speziell behaupten. Viele Bauern nehmen uns Frauen nicht so ernst wie unsere männlichen Kollegen. Oft werde ich mit den Worten «Warum kommt nicht der Chef?» begrüsst. Wir leben im 21. Jahrhundert! Sie trauen uns Frauen offenbar wenig zu, obwohl wir ein hartes Studium absolviert haben.
Während der Behandlung stehen sie daneben und kommentieren alles. Ich höre die Kuh dann extra ein wenig länger ab als nötig – das verschafft mir kurz eine Pause. Oder ich schicke den Bauern einfach pro forma los, um einen Eimer Wasser oder sonst etwas zu holen.
Ohne die Herrchen und Frauchen wäre unser Job deutlich einfacher. Während Corona habe ich gemerkt, dass ich viel effizienter und ruhiger arbeiten kann, wenn der Tierhalter nicht im Raum ist. In dieser Zeit war unsere Praxis wie ein Drive-in für Kleintiere. Die Halter gaben ihren Hund oder die Katze am Fenster ab, wir machten unsere Arbeit und gaben die Tiere anschliessend wieder zurück. Das war deutlich angenehmer, weil man viel weniger abgelenkt ist.
Ich kann ja verstehen, dass man bei seinem Liebling bleiben möchte, wenn es ihm schlecht geht. Aber bitte hört auf, während der Behandlung ständig auf uns einzureden. Wir müssen uns konzentrieren, sonst können fatale Fehler passieren.
Körperlich sind unsere Einsätze ebenfalls anspruchsvoll. Ich bin oft draussen unterwegs, gefühlt ständig nass und friere häufig. Man erlebt einiges und darf dabei nicht zimperlich sein. Mein schlimmstes Erlebnis: Eine Eselstute hatte ein seit zwei Wochen totes Fohlen in sich, das wir entfernen mussten. Der Verwesungsgeruch war bestialisch. Ich habe den Gestank zwei Tage lang nicht von mir wegbekommen. Irgendwann habe ich den Gestank selbst nicht mehr wahrgenommen – mein Freund allerdings schon.
Zum Glück gibt es auch schöne Momente, die vieles wieder wettmachen. Es ist wundervoll zu sehen, wie ein Tier nach der Behandlung wieder gesund wird, alles sauber verheilt und es sich vollständig erholt. Oft sind dafür nur kleine Eingriffe nötig. Bei Kleintieren entfernen wir zum Beispiel häufig Fremdkörper.
Einmal habe ich ein lebendiges Insekt aus dem Ohr eines Hundes entfernt. Das ist wie ein Orgasmus! Ich weiss es klingt komisch – aber ein sauber gereinigter Gehörgang ist für mich ein extrem befriedigender Anblick. Darum ist die Fremdkörperzange mein absolutes Lieblingswerkzeug.
Auch Geburten sind ein Highlight, besonders bei Kühen. Wenn ich bei einer Schwergeburt die Mutterkuh und das Kalb retten kann und die Freude der Bauern sehe, macht mich das glücklich. Solche Erlebnisse entlocken sogar dem grimmigsten Bauern ein Lächeln. Manchmal werde ich für die Geburt eines Kalbes mit dem Helikopter auf eine Alp geflogen – das sind Momente, die mich wochenlang glücklich machen.
Der Beruf als Tierarzt ist nah am Leben – und am Tod. Das Einschläfern gehört unweigerlich dazu. Anfangs fiel mir das schwer – doch heute weiss ich, dass ich damit das Beste für das Tier tue. Natürlich mache ich es nicht gerne. Aber ein würdevoller Tod ist auch ein Geschenk.
Manche Besitzer verstehen das nicht. Eine Katzenhalterin wollte zum Beispiel partout nicht einsehen, dass ihre Katze eingeschläfert werden musste – obwohl das Tier stark litt und keine Aussicht auf Heilung mehr hatte. Aus meiner Sicht ist das falsch verstandene Tierliebe. Es gibt einfach Fälle, wo es eindeutig das Richtige ist, das arme Tier zu erlösen.
Das ist wahrscheinlich die grösste Herausforderung als Tierarzt und Tierärztin. Das Spannungsfeld zwischen überzogenen Erwartungen der Tierhalter und dem tatsächlichen Wohl der Tiere. Wir müssen als Tierärzte im Sinne des Tieres handeln – auch wenn das bedeutet, schwierige Entscheidungen zu treffen oder unbequeme Wahrheiten auszusprechen.
Natürlich erleben wir auch kuriose Geschichten in unserem Alltag. Einmal hatte ein Hund einen Dildo verschluckt. Hunde sind dumm und fressen einfach alles – vor allem Labradore. Schnuller, Socken, Tampons – wir haben schon alles Mögliche operativ entfernt. Zumindest hat man in den Feierabendrunden immer die spannendsten Geschichten zu erzählen.
Vor allem in jungen Jahren wenn man noch naiv ist, geht es besonders unter die Haut. Es sollte im Studium und Lehre unter anserem das Fach soziale Kompetenzen unterrichtet werden.
Durch das Lesen der obigen Zeilen erfuhr ich nun, dass der Alltag sogar noch viel härter ist mit dem nicht sonderlich gut gelösten Pikettdienst, den anscheinend doch nicht so hoch angesetzten Abrechnungskosten und der Respektlosigkeit mancher Tierhalter.
Die Tatsache, regelmässig mit Tierleid konfrontiert zu sein, ohne gross was ausrichten zu können, fand ich schon schlimm genug.
Meine Wertschätzung habt ihr.