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Warum Funktionskleidung das Allerletzte ist

alter Mann auf einem Berg
Nachdenklicher Symbol-Hermann in ganz normaler Kleidung auf einem Hügel, den er gerade bestiegen hat.Bild: Shutterstock
Kommentar

Mach es wie Hermann und sag nein zu Funktionskleidung

Die Geschichte von Hermann ist frei erfunden. Aber lasst euch davon nicht täuschen, in der Fiktion liegt sowieso die meiste Wahrheit. In diesem Fall, dass Funktionskleidung das Letzte ist.
17.06.2023, 17:2518.06.2023, 13:13
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Wenn Hermann sich freut, bekommen seine Wangen so einen abendrötlichen Farbton. Als wäre eine winzige Sonne direkt hinter Hermanns Gesicht untergegangen und würfe nun ihr letztes Licht auf seine zerfurchte, fleckige Haut, die selbst schon ein bisschen nach Alpenlandschaft aussieht.

Es scheint, er ist in all den Jahren dem ähnlich geworden, was er liebt. Etwa so, wie die Herrchen ihren Hunden gleichen, hat Hermann sich in eine Art Bergmassiv mit allerlei Schründen verwandelt. Zumindest im Gesicht. Seine Beine hingegen sind klappriger denn je, die einst üppig daran wuchernden Haare vermochten jene Tatsache bis zu einem gewissen Grad zu verschleiern, aber jetzt, diese nackten, leicht glänzenden Strichlein in der Landschaft ...

Nun gut.

Kraft steckt darin immer noch genug. Genug, um damit diverse Berge zu besteigen. Dort, auf den hohen Gipfeln, ist Hermann glücklich. Vielleicht, weil er dann dem Himmel ein bisschen näher ist, wo er seine tote Frau glaubt. Denn das mit dem Wandern hat exakt dann angefangen, als Berti ging. Und es wurde schnell sehr energisch. Manchmal sah er fast aus wie ein von religiösem Eifer ergriffener Pilger, wie er da die steinigen Bergweglein hinaufstapfte in der flammenden Hoffnung, ihm möge in der heiligen Stätte die Jungfrau Maria erscheinen. Oder eben die nicht mehr so jungfräuliche Berti.

Aber das war alles vor The Hills Kings. Seit sich Hermann der Wandertruppe angeschlossen hat, ist er nicht mehr der alte. Viel lockerer ist er geworden, besonders, was seinen Gehstil angeht.

Der einstige Antrieb aber ist geblieben, die Sehnsucht nach Berti haben The Hills Kings nicht ganz aus ihm herausgekriegt, nicht einmal Renate mit ihrer Zahnlücke, die Hermann so gerne mag, diese von funkelndem Neuschnee umsäumte Gletscherspalte, an die er dann immer denken muss, wenn sie ihn anlächelt.

Geblieben ist bedauerlicherweise auch Hermanns Outfit, das mit jeder Wanderung noch ein wenig funktionslastiger wurde und uns alle an seine alte Besteigungs-Besessenheit erinnert.

Heute geht's auf den Säntis!

Mit dem Schwebebähnli von der Schwägalp aus. Und auf dem Gipfel wird ein Panaché getrunken. Wenn René mitzieht, vielleicht auch zwei.

Die Saentis-Schwebebahn, aufgenommen am Sonntag, 31. Juli 2022, auf der Schwaegalp. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Bild: KEYSTONE

Hermann steht auf dem Perron und zupft seine raffinierte Trekkinghose Modell Forest Night Sky mit abnehmbarem Hosenbein (Zip-Off!) zurecht. Darunter, gut verborgen, trägt er seine stramm sitzende Natural-Benefit-Performance-Unterhose, die dank des Einsatzes nahtlos integrierter Belüftungszonen für ein angenehmes Körperklima sorgt. Ein Spürli zu warm scheint es ihm trotz alledem zu sein, und er öffnet den in einer Zipgarage auf seinen Einsatz wartenden neonfarbenen Kontrastreissverschluss seiner wasserabweisenden Revolution-Race-Softshell-Hybrid-Windjacke.

Der Zug fährt ein, Hermanns alte Augen suchen die Köpfe seiner Freunde, versuchen die für ihn allzu hastig vorbeiziehenden Waggonnummern zu entziffern, lauern aufgeregt auf den «Reserviert für The Hills Kings»-Zettel.

SBB Zug am Bahnhof Effretikon
Bild: Shutterstock

Da! Wagen 17! René winkt und Rolf ruft aus dem geöffneten Fenster: «Hermann, do sind mir!» Und Hermann gibt Gas. Von Sektor B nach Sektor D – dieser Hornochse von Lokführer ist viel zu weit vorgefahren! – ist doch noch ein ziemliches Stück Weg. Und Hermann mag es nicht, im Zug durch die Abteile zu gehen. Da kannst du sicher sein, dass er genau dann losfährt, wenn du elegant an der lesenden Schönheit vorbeiziehen willst, stattdessen aber unschön in die unzüchtigen Seiten ihres Liebesromans hineinstolperst.

Also rennt Hermann auf dem Bahnsteig zum 17. Wagen. Vorbei an den immer kleiner werdenden Menschentrauben an den Türen, vorbei auch am Kondukteur, der beim Anblick dieses hochaktiven Rentners in seinen Approachschuhen Wildfire 2 aus recyceltem Polyamid und Kevlar-Kordelschnürung den unwiderstehlichen Drang verspürt, sofort in seine Signalpfeife zu blasen.

Doch Hermann sieht ihn nicht, Hermann scheint sowieso plötzlich ganz erhaben und fernab von jeglichem schweizerischen Pünktlichkeitsstress übers Perron zu schweben vor lauter Zeroweight, exzellentem Fersenhalt (3F System) und üppig dämpfender Zwischensohle.

Endlich hat er die richtige Tür erreicht. Vor seiner Nase schliesst sie sich, er drückt ein paar Mal zu oft auf den Halteknopf, während drinnen René seinerseits in ebensolch verzweifelter Manier selbiges verrichtet. «Da, sie öffnet sich nochmals, puh, Gott sei Dank!», denkt Hermann erleichtert und René klatscht vor lauter Begeisterung in die Hände und hört dabei das Knacksen nicht, das Hermanns rechter Fuss beim Besteigen des Trittbretts von sich gibt. Das gleich danach folgende «Ahhhhhhh!» hört er allerdings. Und er sieht auch, wie nun der ganze Hermann rückwärts aus dem Zug hinausstürzt.

Die Tür schliesst sich abermals, das grüne Halteknopflichtlein geht aus, der Kondukteur pfeift und im nächsten Moment rollt der Zug an. Da zieht sie vorbei, seine heilige Dreifaltigkeit des Glücks, seine Säntis-Wanderung, sein Panaché und Renates Gletscherspalten-Zahnlücke.

Bild: Shutterstock

Und da auf dem Perron bleibt er liegen, der angeknackste Hermann, und hält seinen Fuss fest und seine Tränen zurück, die ihm die Scham und die Wut in die Augen getrieben haben.

Er schaut sich um. Zum Glück hält sich kein Mensch mehr auf dem Bahnsteig auf und vor den anderen stehen Züge, sodass ihn niemand sehen kann in seinem erbärmlichen Zustand.

Er zieht seinen Approach-Schuh aus, wirft ihn aufs Gleis. «Soll der Zug ihn doch approachen, bis er ganz zerfleddert ist!», denkt sich Hermann und schickt ihm gleich noch beide Mittelfinger hinterher. «Fick dich und deinen Fersenhalt.»

Dann humpelt er auf seinen fünffach faltbaren Black-Diamond-Trekkingstöcken nach Hause.

Und wenn man ihm jetzt hinterhersieht, dann hängt da irgendwo zwischen Hermanns Kopf und seiner Bänderzerrung ein grünliches Bündel. Und dieses Grün ist so ausnehmend hässlich, dass es in der Natur gar nicht vorkommt.

Man sollte dieser garstigen Couleur den Namen «Grün» im Grunde gleich ganz verbieten. Dieses eklige, mit einem schwer verdaulichen Braunton verwässerte, an etwas Unreifes und Ungeniessbares Gemahnende scheint ausserhalb von Hermanns gepolstertem Kontaktrücken überhaupt nicht zu existieren, in keiner Farbpalette dieser Erde, nein, auch Pantone, der Marktführer in Sachen Farbkommunikation, führt sie nicht, wie auch, niemand will dieses Gift mit ca. 1/3 beigemischter Kotze an seiner Wand haben.

Sie scheint also eigens für diesen Wanderrucksack erfunden worden zu sein.

Danke, Deuter.

Danke für die dreihunderttausend Reissverschlüsse, die siebenhundertzweiundzwanzig Fächer und die fünfundneunzig Millionen Böndel dran. Für den Glauben einer ganzen Generation an die trügerische Formel «viele Funktionen und viele Fächer = sehr gut». Für die Kompressionsriemen und die Gummizughalterung auf der Front zum Befestigen verschiedener Werkzeuge, die Hermann und all die anderen Träger deiner Rucksäcke weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart oder der Zukunft jemals dabeihaben werden, weil sie keine Extremsportler, keine Alpinisten und keine Survival-Camper sind und stattdessen bloss ihre Minipics da reinwursteln, die dann von der Sonne angewärmt ganz runzlig und ranzig werden.

Das merkt auch Hermann gerade, als er seine herausnimmt und lustlos hineinbeisst.

Wie viel kann ein Mensch ertragen?

old man
bild: unsplash

Hermann nicht so viel. Er zieht sich aus, selbst die so stramm sitzende Natural-Benefit-Performance-Unterhose, von der er sich nicht nur die optimale Belüftung, sondern obendrein auch noch eine zumindest teilweise Rückkehr zum einstigen Knackpo – hatte nicht Renate schon mehrmals verstohlen draufgeschielt, seit er sie trug? – versprach, reisst er sich vom Leibe.

Nackt und vor Zorn bebend geht er hinaus in den Garten, mit seiner ganzen Funktionskleidung unter dem Arm. So einen Marsch hat Hermann in seinem Leben noch nicht hingelegt. Eine eiserne Entschlossenheit scheint seinen ganzen Körper zu stählen, die dünnen Beine und auch die Füsse, sodass er für einen kurzen Moment sogar das Humpeln vergisst.

Dieser alte Mann triumphiert gerade über seinen Schmerz. Doch als er diesem Wunder gewahr wird, erschrickt er so sehr, dass ihm gleich die Performance-Unterhose zu Boden fällt. Wer nun aber glaubt, Hermann hätte sie noch einmal verschont, dem muss ich leider sagen, dass auch sie seinen Groll nicht überlebte. Hermann hat inzwischen nämlich das Ausmass des Selbstbetrugs in seiner Gänze durchschaut, hat sich eingestanden, dass er statt eines Knackpos nur einen Knackfuss vorzuweisen hat.

Lügen-Unterhose!

Und da steht er nun mitsamt seinen ausgeleierten Bändern und wirft die Lügen-Unterhose dorthin, wo sie hingehört. Auf den Schandhaufen der leeren Versprechungen und noch leereren Multifunktionsfächer. Dann kippt er Benzin auf diesen Berg der falschen Hoffnung und zündet ihn an.

Feuer
Bild: Shutterstock

Die züngelnden Flammen bringen den abendrötlichen Farbton in sein Gesicht zurück, während die ganze Montur zu einem einzigen, fadenziehenden Polyamidklümpli zusammenschmilzt.

Hermann lacht und schaut dem Rauch zu, wie er in den Himmel steigt. Und ihm ist, als hätte er auf einmal die Form eines erhobenen Daumens angenommen, verschwommen zwar, aber dennoch klar erkenntlich, zumindest für Hermann.

Berti.

Sie würdigt seinen furiosen Akt.

Was neben Funktionskleidung auch nicht geht ...

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149 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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James McNew
17.06.2023 19:42registriert Februar 2014
Ganz ehrlich, so gerne ich den Text mag: Eine leichte, aber doch robuste Hose, die schnell trocknet, ein T-Shirt, dass nicht nass am Körper klebt, kaum schwitzt man ein bisschen, eine leichte Jacke, oder ein Pulli, der trotzdem warm gibt und eine Jacke, die Regen und Wind wirklich abhält, ein clever konzipierter Rucksack und ein Schuh, auf den ich mich verlassen kann: Alles verhasste Funktionskleidung. Klar würde ich die 6-Stunden (manchmal auch nur 3h)-Wanderung locker ohne überleben. Aber ich mach mir doch nicht extra das Leben schwer, nur um „Nicht-Funktions-Cool“ zu sein…
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G. Samsa
17.06.2023 19:02registriert März 2017
Das Erkennungsmerkmal von Herr und Frau Schweizer im Ausland:
- On-Schuhe
- Jack Wolfskin-Jacke
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Fred_64
17.06.2023 20:09registriert Dezember 2021
Der Text hier ist etwa gleich wie verschwitzte Baumwollwäsche, es dauert viel zu lang bis es fertig, sprich trocken ist.
Da schwör ich auf meine Funktionswäsche, sitzt gut, ist schnell trocken und auch schnell gewaschen.
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