Im Fachjargon nennt man sie Gabione. Vom Italienischen «gabbione», was grosser Käfig heisst. Das klingt hübsch, nicht wahr? So melodisch, als hätte man in so einem Gabione die Zeit seines Lebens.
Ich sag euch was: Das hat man nicht. Weder darin noch davor oder dahinter.
Dieses zauberhafte italienische Lehnwort verschleiert nämlich eine grausame Wahrheit, die dir die deutsche Sprache mit ihrer rabiaten Ehrlichkeit ganz direkt und mit einer schonungslosen Exaktheit in die Visage zu drücken traut:
Das ist keine Gabione.
Das ist ein Drahtschotterkasten.
Ein DRAHT-SCHOTTER-KASTEN.
Nimm das.
Das ist reinste sprachliche Präzision. Geradezu militärisch. Im Stechschritt aneinandergereihte Wörter. Da gibt es keine Zwischenräume. Keinen Spielraum für Interpretationen. Der Drahtschotterkasten bildet genau das ab, was er nun mal ist.
Im militärischen Bereich auch als Schanzkorb bezeichnet. Nur verschanzen sich heute keine Soldaten mehr dahinter, sondern ganz normale Bürger. Sie zäunen ihre winzigen Gärtchen damit ein.
Und sie sind überall. Ganz besonders im Aargau. Sie lauern in ruhigen Quartierstrassen und beschaulichen Sackgässlein und scheinen zu sagen:
«Würde, was ist das?
Ich schütze mich vor dem Terroristen nebenan. Dazu steh ich.
Und ich will nicht, dass du in meinen Garten gaffen kannst. In mein graziöses Schottergärtchen, das ich neu angelegt habe. Mit verschieden farbigem Kies, das sich verspielt um die Skulpturen schlängelt, die ich darin gar meisterlich in Szene gesetzt habe.
Darunter, mein ganzer Stolz, ein zarter Quellbach aus Carrara-Marmor-gesäumter, schwarzblauer Glasschlacke, der aus einer unverhofft umgestürzten Amphore herausfliesst, um dann, elegant mäandrierend, am anderen Ende meines Garten Edens wieder in eben einem solchen zum Schlafen sich sanft hingebetteten Tontopf zu verschwinden.
In der Ecke, gleich neben meinem Fluss des Lebens, ragt einsam eine knöcherne Libanon-Zeder aus dem Schotter. Fast gespenstisch hängen ihre kraftlosen Arme über meiner liebevoll hergerichteten Steinwüste. Ein wahrer Exot mit bizarr aufregender Wuchsform! ‹Wie schön er sich abhebt von den ganzen einheimischen Gewächsen!,› entführe es da dem Betrachter, vermöchte er doch bloss hineinzusehen in mein kleines Paradies.»
Vielleicht ist das ja der einzige Vorteil dieser trostlosen Schuttkörbe. Sie ersparen uns die sich dahinter auftuenden biologischen Totenreiche.
Ansonsten sind sie einfach nur zum Heulen. Das vermag auch eine zwischen ihren aneinandergereihten Elementen hingepflanzte Thuja nicht zu ändern. Die sind nämlich für die Natur etwa gleich sinnvoll wie Hosen für Milben.
Ja, auch klitzekleine, massgeschneiderte Hosen für Milben.
Adieu, Hecken aus richtigen Pflanzen, aus Stauden, Sträuchern und Bäumen. Ich weine um euch. Ich weine um die verloren gegangene Schönheit, die schon viel zu oft Opfer jener steinernen Schandwälle geworden ist.
Ich weine um das nachbarschaftliche Vertrauen, das durch löchrige Grenzbüsche besiegelt worden war, ich weine um die kleinen Schwätzchen mit den Spaziergängern auf der Strasse, die der Mut zur Lücke einmal ermöglicht hatte, um die leicht verstohlenen Blicke durchs Geäst in einen blühenden Garten.
Ich weine um all die toten und nie geboren werdenden Insekten. Um all die vergeblich nach süssem Blütennektar suchenden Bienen. Ich weine um das Grün, das nicht wachsen darf und um die Freiheit all jener Steine, die zur totalen Abschottung eines Gartenbesitzers in diesen furchtbaren Drahtgefängnissen zusammengepfercht worden sind.
Kauft euch doch einfach einen Bunker.