Das watson-Büro befindet sich ja nur einen Steinwurf vom Prime-Tower entfernt. Deshalb sieht man hier im Quartier immer mal wieder den einen oder anderen adretten Herrn. Und kürzlich stand ein besonders interessantes Exemplar vor mir an der Ampel: mit tipptoppen Lederoxfords, Massanzug und einem dazu passenden Schal.
Obwohl: Letzterem sagt er vermutlich Shawl. Ja, dieser Herr, ich schätze ihn auf Mitte 30, gehört zur Kategorie der Shawlsager. Mit Sicherheit hat er auch eine einstudierte Weindegustations-Routine drauf. Mit kleinen Schlürfgeräuschen: flürschlüschlüsch, sügggsüggsüggg, njättnjättnjätt.
Anyway. Die Stilsicherheit des jungen Mannes war beeindruckend.
Doch dann das. Über den Ohren. Eine rote, fast vegetationslose Scholle – wie ein kalifornischer Hügel nach einem Waldbrand. Vereinzeltes Gehölz erinnert daran, dass hier einmal ein gepflegter Forst stand. Grotesk krümmt sich das zurückgebliebene Krüppelholz in alle Windrichtungen, zusammengeschweisst von einem klebrigen Etwas.
Es ist ein typischer Fall von zu viel Gel auf zu wenig Haar. Das biegt kein Shawl mehr gerade, das Gesamtbild ist ruiniert. Und das eigentliche Problem ist nicht einmal der «Look». Die Probleme liegen tiefer.
Was sagt verklebtes spärliches Haar über den Träger? Erstens: Dass der Besitzer mit dem Ist-Zustand unzufrieden ist. Wäre er zufrieden, würde er es belassen, wie es ist. Das Gel aber kommuniziert unmissverständlich: Ich hätte gerne eine steile Frise.
Das ist okay. Komplett okay. Haarige Sehnsüchte sind urmännlich. Und schliesslich leben wir in einer Zeit, in der es für jeden, jede und jedes möglich sein sollte, seine Bedürfnisse offen zu kommunizieren, ohne dafür verurteilt zu werden. Das Problem ist also nicht die Zurschaustellung einer Sehnsucht. Das Problem ist der inkompetente Umgang damit.
Gel in dünnem Haar verbessert die Situation nicht – im Gegenteil. Es bündelt die sowieso schon nicht sehr zahlreichen Haare und lässt diese noch schütterer erscheinen. Dazu verleiht es ihnen und der darunter liegenden Kopfhaut einen Glanz. Dieser zieht die Blicke magisch an. Statt das Problem souverän unter den Teppich zu kehren, wird es ins Rampenlicht gezerrt – ein klassischer Fall von Verschlimmbessern.
Doch was sind die Alternativen? Die beste und vor allem günstigste Variante ist, die Blösse auf dem Schädel schnellstmöglich zu akzeptieren. Wahre Grösse zeigt sich bekanntlich in Niederlagen. Ja, du hättest gerne eine schwungvolle Tolle, aber es geht nun mal nicht. Also sei kein Baby, das Leben geht auch ohne Teddy weiter. Bruce Willis und Jason Statham haben auch ohne Haupthaar den Männlichkeitsjackpot geknackt. Und du schaffst das auch.
Die viel schlechtere, aber immerhin zweitbeste Variante ist, die Niederlage nicht einzugestehen, aber wirklich grosses Geschütz aufzufahren, sprich, Wayne Rooneys Doktor zu besuchen. Dieser implantiert dir dann für ein Heidengeld operativ Haare in den Schädel. Rooney besitzt heute zwar nicht die Wolle eines schottischen Hochlandrinds, aber er hat so etwas wie eine Frisur. Das muss reichen.
Wichtiger als die eigentliche Haarpracht ist, dass Rooney, dem Gespött zum Trotz, Entschlossenheit demonstrierte. Entschlossenheit ist sexy. Gel hingegen ist Wischiwaschi – eine pure Scheinlösung, die sich sehr schnell als sehr unbrauchbar outet.
Übrigens: Es gibt ein weibliches Pendant zu «Gel in spärlichem Haar». Es ist der Versuch, dünne Lippen hinter möglichst knalligem Lippenstift zu verbergen. Dazu aber ein andermal. Zurück an die Ampel und zu Shawl-Man. Er hat sich weder für die beste noch die zweitbeste Lösung entschieden, sondern für die schlechteste. Und das wiederum sagt uns viel über seine Problemlösungskompetenzen. Kann man einem solchen Menschen sein Vermögen anvertrauen? Einen Gerichtsfall? Die Immobilien? Die Garderobe sagt schüchtern ja. Das Gel brüllt ohrenbetäubend nein. Sind es nicht genau solche Typen, die versuchen, eine Pfanne mit brennendem Öl mit Wasser zu löschen?
Hätte er doch einfach nur mit einem properen Ultrakurzhaarschnitt an der Ampel gewartet. Dann hätte ich mir diese Überlegungen hier sparen können. Und dann hätte ich ihm vielleicht auch das Flürschlüschsügggsügg bei der Weindegustation abgenommen.
Ich gehöre mit Anfang 30 auch zu den schwach beforsteten. Glücklicherweise gehöre ich zu denen, die damit überhaupt kein Problem haben. Seit eineinhalb Jahren trage ich nun die Statham Tolle. Dafür möchte ich kurz eine Lanze brechen. 1. spart man eine Menge Geld, statt jeden Monat 30-60 für den Coiffeur einmalig 40 für ein Gerät. 2. ist da noch der Komfort, nicht nur, dass das Haare trocknen und kämmen entfällt, auch lässt sich für den nötigen Sonnenschutz der Kopfhaut leich nicht fettende Sonnencreme auftragen. Also nur zu, traut euch.