Über Geld spricht man nicht. Nirgendwo ist dieses Credo stärker ausgeprägt als in der Schweiz. Auch die meisten politschen Akteure schwiegen bisher lieber, wenn es um ihre Finanzen ging. Als eines von wenigen demokratischen Ländern weltweit kennt die Schweiz bislang auf nationaler Ebene keinerlei Transparenzvorschriften für die Politikfinanzierung. Dabei handelt es sich um ein grosses Geschäft. Eine Studie schätzte die Wahlkampfausgaben für die eidgenössischen Wahlen 2019 auf insgesamt rund 75 Millionen Franken.
In dieser Dunkelkammer gediehen erstaunliche Praktiken. So bat die stellvertretende SVP-Generalsekretärin im Wahlkampf 2007 den persönlichen Anwalt und Präsidenten der Familien-Holding des damaligen Justizministers Christoph Blocher um die Auszahlung von einer Million Franken – in bar. «Wie vereinbart wäre es gut, wenn Sie je nachdem, an welchem Tag die Übergabe stattfinden kann, 2 x 500'000 Franken bar übergeben und den Rest auf unser Konto überweisen könnten», schrieb die SVP-Frau 34 Tage vor den Wahlen in einem Brief an Blochers Anwalt. Bekannt wurde die Episode erst viereinhalb Jahre später, als der «NZZ am Sonntag» interne Wahlunterlagen der SVP zugespielt wurden. Blocher schwieg, und auch die Partei gab keinen Kommentar ab.
Das wird sich jetzt ändern müssen. Am Sonntag tritt eine neue Verordnung über die Transparenz in der Politikfinanzierung in Kraft. Das Datum ist kein Zufall: Mit einer Vorlaufzeit von einem Jahr zwingt sie die Parteien, Transparenz über die Finanzierung ihrer Kampagne für die eidgenössischen Wahlen vom 22. Oktober 2023 zu schaffen. Die neuen Regeln sind eine Folge des indirekten Gegenvorschlags, welcher das Parlament im Juni 2021 als Antwort auf die inzwischen zurückgezogene Transparenz-Initiative der SP verabschiedet hat.
Wer mehr als 50'000 Franken für eine Kampagne im Hinblick auf Wahlen oder Abstimmungen ausgibt, muss zukünftig seine Einnahmen aus den letzten 12 Monaten offenlegen. Die Parteien und mehrere grosse Verbände dürften diese Summe problemlos überschreiten. Sie alle müssen zusätzlich die Identität der Urheber von Spenden ab einer Höhe von 15'000 Franken veröffentlichen. Die in der Bundesversammlung vertretenen Parteien müssen zudem ab dem Rechnungsjahr 2023 ihre Gesamteinnahmen, die Namen ihrer Grossspender sowie die Mandatsabgaben von Parlamentariern, Richterinnen oder Exekutivmitgliedern offenlegen. Für die Prüfung dieser Angaben zuständig ist die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) als Aufsichtsbehörde. Erste Daten zum Wahlkampf 2023 könnte sie gemäss Verordnung frühestens 45 Tage vor den Wahlen, am 8. September 2023, veröffentlichen.
In den Parteizentralen wird die neue Regelung mehrheitlich positiv aufgenommen. Für sie ändere sich kaum etwas, teilen SP und Grüne mit, die bereits Grossspenden ab Beiträgen von 15'000 bzw. 10'000 Franken namentlich offenlegen. GLP, Mitte und FDP sind überzeugt, die neuen Aufgaben mit bestehenden Ressourcen gut bewältigen zu können. SVP-Wahlkampfleiter und Nationalrat Marcel Dettling (SZ) spricht zwar von «massiv mehr Bürokratie und entsprechen auch Ressourcen». Doch auch bei der SVP, die im Parlament gegen die neuen Bestimmungen war, zeigt man sich vorbereitet. Die Fraktion und die Kantonalparteien seien schon mehrfach informiert worden. In den Kantonalparteien werde dem Thema in den Schulungen von Kandidaten «hohe Priorität» eingeräumt.
Doch noch bleiben Unklarheiten. Dem Vernehmen nach haben die Generalsekretariate der Parteien in einem gemeinsamen Brief an die EFK Antworten auf die noch offenen Anwendungsfragen verlangt. Die EFK schreibt auf Anfrage, man sei seit dem Frühjahr im Gespräch mit den von den neuen Regeln betroffenen «Stakeholdern». Dabei gehe es um «technische Präzisierungen im Zusammenhang mit der Umsetzung». Mitte November soll ein ausführliches FAQ erscheinen.
Wie viel Licht werden diese neuen Regeln wirklich in die Dunkelkammer Politikfinanzierung bringen? Für Martin Hilti, Geschäftsführer von Transparency International Schweiz, schliessen sie eine seit Jahren bestehende Lücke. Geld beeinflusse die Politik. Könne die Wählerschaft die Finanzströme nachvollziehen, könne sie besser informierte demokratische Entscheidungen treffen. Ihr Vertrauen in die Politik und deren Exponenten werde gestärkt. Ausserdem trügen die Regeln dazu bei, Unregelmässigkeiten aufzudecken und präventiv zu verhindern.
Doch es handle sich um eine «bescheidene, moderate Lösung». Die Schwelle von 15’000 Franken für die Offenlegungspflicht sei sehr hoch angesetzt, die vorgesehene Aufsicht moderat ausgestaltet. Und Umgehungen der Vorschriften seien relativ einfach möglich. Hilti sieht verschiedene mögliche Schlupflöcher:
Eigentlich gehe aus der Gesetzgebung klar hervor, dass solche Methoden nicht zulässig seien. Doch es fehlten ausreichend Garantien, diese Umgehungen zu verhindern. In der Praxis dürfte das laut Hilti schwierig sein – «gerade wenn die kriminelle Energie gross sein sollte». Wichtig gewesen wäre eine klare gesetzliche Regelung zu den Abklärungspflichten der politischen Akteure bezüglich des tatsächlichen Urhebers einer Spende. Doch fehle leider eine solche explizite Bestimmung. «Es wird ganz entscheidend sein, welche Praxis die EFK als Aufsichtsbehörde etablieren wird», sagt Hilti.
Bei der EFK nimmt man die neue Aufgabe ernst. Als beim ersten Verordnungsentwurf des Bundesrats die Möglichkeit von unangemeldeten Stichprobenkontrollen fehlte, protestierte die Behörde scharf - und setzte sich durch. Auf Anfrage schreibt die EFK, man erstelle für den neuen Aufgabenbereich eine Risikoanalyse. Denkbare Umgehungsmöglichkeiten fliessen darin ebenso ein wie Meldungen zuhanden der eigenen Whistleblowing-Plattform. Für das neue Betätigungsfeldes hat die EFK drei neue Vollzeitstellen erhalten. Die materielle Stichprobenkontrolle führen ihre Revisoren durch, insgesamt 205 Arbeitstage fallen gemäss Schätzung dafür an. Die Behörde erinnert die politischen Akteure ausserdem daran: «Im Verdachtsfall muss die EFK eine Anzeige an die Strafverfolgungsbehörden machen.»
Wer Politikfinanzierung weiterhin in der Dunkelkammer zu betreiben versucht, der könnte sich zukünftig plötzlich im grellen Licht eines Strafverfahrens wiederfinden.
Wer braucht schon Transparenz in einer Demokratie…