Finanzieren hiesige Hausbesitzer den russischen Krieg mit? «Über 5 Milliarden Euro hat Europa an Russland bezahlt für Gas seit Kriegsbeginn», schrieb FDP-Ständerat Ruedi Noser am Dienstag auf Twitter. Das sei «pervers»: «Damit finanziert Europa den Krieg der Russen. Das muss gestoppt werden.»
Daran geändert hat sich in den letzten Tagen wenig, im Gegenteil: Laut Zahlen des belgischen Thinktanks Bruegel importierte Europa alleine am Donnerstag russisches Gas im Wert von umgerechnet 660 Millionen Franken – auch wenn dies nicht mit dem Geldfluss nach Russland gleichzusetzen ist. Viele Hausbesitzer in der Schweiz denken nun darüber nach, ihre Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern.
Anbieter von alternativen Heizmethoden registrieren eine steigende Nachfrage. «Wir stellen eine solchen Trend fest», sagt Stefan Aeschi vom Hauseigentümerverband (HEV). Für verlässliche Zahlen sei es aber noch zu früh.
Bei der zur Stadt Zürich gehörenden Firma Energie 360°, die Energieverbünde und Anschlüsse ans Fernwärmenetz realisiert, heisst es, man habe seit Ausbruch des Kriegs eine leichte Zunahme der Anfragen festgestellt. Fragen zu Alternativen zu russischem Gas hat auch Energie Wasser Luzern (EWL) erhalten.
Bei den St. Galler Stadtwerken heisst es, die Kundinnen und Kunden seien «verunsichert». Weil der Heizungsersatz aber abhängig von Alter und Zustand der bestehenden Heizung sei, könne kurzfristig keine erhöhte Nachfrage festgestellt werden.
Der Heizungsanbieter Viessmann, der etwa Wärmepumpen verkauft, geht davon aus, dass die Nachfrage nun zusätzlich steigen wird. «Die aktuelle Situation kann dazu beitragen, dass noch mehr Hausbesitzer zu einer Wärmepumpen-Heizung wechseln», sagt Sprecherin Marianne Zaugg.
Ähnlich tönt es beim Heizsystem-Anbieter Hoval. Sprecher Mark Appel sagt zwar, in der Kürze der Zeit liessen sich Absatzänderungen bei Investitionsgütern wie Heiz- und Klimatechnik noch nicht sehen. «Hier sind die Vorlaufzeiten wesentlich länger.» Aber: Die aktuellen Ereignisse würden den Wunsch nach Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen «sicherlich verstärken».
Unter den Alternativen am beliebtesten sind laut HEV-Sprecher Aeschi Wärmepumpen. Diese hätten kaum Abhängigkeiten zu lokalen Gegebenheiten und wiesen im Vergleich zu Holzheizungen, die eher in ländlichen Gegenden vertreten seien, einen geringeren Platzbedarf aus.
Günstig ist der Wechsel auf eine Wärmepumpe nicht. Er kostet laut Aeschi 30'000 bis 65'000 Franken, je nachdem, ob Verteilsysteme wie eine Bodenheizung schon vorhanden sind und ob eine reine Luft-/Wasserwärmepumpe oder eine Erdsonde verbaut werden soll. Erstere sind vergleichsweise günstig, während Sonden teurer, aber im Betrieb sehr effizient sind.
Der Austausch einer bestehenden Heizung geht nicht von heute auf morgen. Wärmepumpen unterliegen laut Aeschi je nach Wohnort einem Bewilligungs- oder einem Meldeverfahren. Die Durchlaufzeiten seien sehr unterschiedlich. Im Idealfall seien drei Monate eine realistische Zeitspanne.
In vielen urbanen Gebieten gibt es eine Alternative: Der Anschluss an ein Fernwärmenetz. Meist fällt eine einmalige Anschlusspauschale in der Höhe von einigen Tausend Franken an, wobei viele Gemeinden und Kantone Förderprogramme aufgelegt haben. Über die ganze Lebensdauer hinweg sind Fernwärmeheizungen preislich mittlerweile konkurrenzfähig zu Gas und Öl, auch weil Kosten für Kaminfeger, Tankrevisionen oder Ersatzinvestitionen entfallen.
Fernwärmenetze werden vielerorts ausgebaut. Die Stimmbevölkerung der Stadt Zürich stimmte kürzlich einem weiteren Kredit in der Höhe von 330 Millionen Franken zu. Die Industriellen Werke Basel (IWB), die das grösste Fernwärmenetz des Landes betreiben, wollen es in den nächsten Jahren «massiv ausbauen», wie Sprecher Reto Müller sagt.
Energie Wasser Bern (EWB) will laut Sprecher Werner Buchholz bis 2035 eine Verdoppelung der heutigen Kapazitäten erreichen. In Luzern heisst es, das Fernwärmenetz werde langfristig und über mehrere Jahre geplant, man gewinne stetig Kundschaft dazu.
Der Anschluss an ein Fernwärmenetz hat aber einen Haken: Das russische Gas werden Hausbesitzer damit nicht so schnell los. Denn insbesondere in kalten Wintern reicht die Abwärme häufig nicht aus. Die Werke müssen das mit Gas ausgleichen.
In Bern wird die Fernwärme etwa zu 88 Prozent aus der Abwärme der Kehrichtverwertung und des Holzheizkraftwerks gewonnen. An sehr kalten Wintertagen wird laut Sprecher Werner Buchholz zusätzlich ein Spitzenlastkessel eingesetzt, der mit Gas befeuert wird.
Auch Zürich, St. Gallen und Basel setzen auf ein solches System, wobei der Gas-Anteil an der Fernwärmeproduktion in Basel sogar 27 Prozent beträgt. In Luzern ist er mit 3.4 Prozent im Jahr 2020 vergleichsweise klein, wie Sprecherin Esther Schmid sagt. Seien die Temperaturen im Winter relativ warm wie jetzt, werde kein Gas benötigt.
Die Werke können russisches Gas zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschliessen. Das gilt auch für Besitzerinnen und Besitzer einer Gasheizung. Ein anerkanntes Herkunftsnachweissystem gibt es für Gas nicht. Die Werke kaufen das Gas selbst oder über Verbünde mit Grosshandelsverträgen auf Märkten in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Italien ein.
Diese definieren in der Regel keine Herkunft – und so kommt das Gas nicht nur aus Norwegen oder Algerien, sondern eben auch aus Russland, und zwar nicht zu knapp. Im Jahr 2020 lag der Anteil des russischen Gas an den Lieferungen in die EU und damit in die Schweiz bei 47 Prozent. Es sei unmöglich, sich kurzfristig von russischem Gas zu entkoppeln, schreibt etwa die Stadt Zürich.
Diese Abhängigkeit dürfte sich aber verringern. Einerseits hat der Bundesrat am Freitag bekannt gegeben, Vorsorgemassnahmen im Gasbereich zu beschliessen. Er habe Voraussetzungen geschaffen, damit die Branche rasch zusätzliche Speicherkapazitäten im Ausland sowie Gas, LNG und LNG-Terminalkapazitäten gemeinsam beschaffen könne.
Hinzu kommt: Über 60 Prozent der letztes Jahr verkauften Wärmeerzeuger waren bereits Wärmepumpen, wie Marianne Zaugg von Viessmann sagt. Der Trend zu erneuerbaren Lösungen nahm schon lange vor Kriegsausbruch Fahrt auf.
«Über die letzten fünf bis zehn Jahre sehen wir ein rasantes Wachstum beim Absatz von Wärmepumpen», sagt Mark Appel von Hoval. Die Technologie habe sich weiterentwickelt, das Umweltbewusstsein sei gestiegen und die Regularien verschärft worden. Moderne Pumpen emittierten auch kaum Schall, während ihre Geräusche früher regelmässig für Ärger mit der Nachbarschaft sorgten.
Der Trend weg von Öl- und Gasheizungen sei unabhängig vom Krieg, sagt auch Stefan Aeschi vom HEV. «Die Energie- und Klimapolitik von Bund und Kantonen und das zunehmende Umdenken hin zu einem schonenden Umgang mit Natur und Umwelt sind die Trendsetter.» (saw/aargauerzeitung.ch)
Kleinere Siedlungen sollten sich zusammen zu tun! Z.B. eine grosse Wärmepumpe statt viele einzelne Wärmepumpen und diese mit gut gelegenen PV-Dächern koppeln. Die Struktur könnte wie bei Strassenkoorporationen funktionieren, welche sich in CH tausendfach bewähren.
Jeder für sich klappt das nicht mehr zeitnah genug! Die Ressourchen werden für Einzelanlagen nicht ausreichen! Nun braucht es schnelle (auch private) Energie-Verbunde und verzögerungsfreie Planung!