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Die Energiewende kommt in der Schweiz nicht vom Fleck

Bundesraetin Simonetta Sommaruga steigt fuer einen Spitalbesuch aus einem Auto vor dem Inselspital, am Samstag, 24. Oktober 2020 in Bern. Der Berner Regierungsrat hatte am Freitag eine Reihe von Verbo ...
Die Schweiz braucht mehr Strom, nicht nur für Simonetta Sommarugas Tesla.Bild: keystone
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Die Schweiz hat die Energiewende «verlauert»

Der Aufbruch in die erneuerbare Stromzukunft kommt bald fünf Jahre nach Annahme der Energiestrategie 2050 nur schleppend voran. Darüber freuen kann sich nur die Atomlobby.
03.02.2022, 14:3903.02.2022, 15:21
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Im Mai 2017 sagte das Stimmvolk Ja zur Energiestrategie 2050, befeuert nicht zuletzt durch den Enthusiasmus der damaligen Bundesrätin Doris Leuthard. In den bald fünf Jahren, die seither vergangen sind, ist nicht nichts, aber viel zu wenig passiert. Der Ausbau der erneuerbaren Energien aus Sonne und Wind kommt nur im Schneckentempo voran.

«Wir sind nicht gerade die Geschwindigkeits-Champions», sagte Michael Wider, Präsident des Verbands der Elektrizitätsunternehmen (VSE), im Interview mit dem «Sonntagsblick». Im europäischen Vergleich gehört die Schweiz seit Jahren zu den Schlusslichtern. Nimmt man nur den Solarstrom, sieht es besser aus, aber andere Länder sind uns deutlich voraus.

Bundespraesidentin Doris Leuthard, Vorsteherin des Eidgenoessischen Departements fuer Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) spricht waehrend einer Medienkonferenz zur Abstimmung ueber das  ...
Doris Leuthard kommentierte am 21. Mai 2017 die Annahme der Energiestrategie 2050.Bild: KEYSTONE

Gleichzeitig ist der europäische Strommarkt in Bewegung geraten. Die lange rekordtiefen Strompreise sind zeitweise explodiert. Dafür gibt es mehrere Gründe, unter anderem die Angst vor einem Lieferstopp für russisches Gas wegen der Ukraine-Krise. Mehrere Energiekonzerne gerieten deswegen in die Klemme, darunter auch Alpiq in der Schweiz.

Eine Milliarde Bundeshilfe

Kurz vor Weihnachten richtete das Unternehmen mit Sitz in Lausanne einen Hilferuf an die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom). Man brauche dringend Geld. Laut den Tamedia-Zeitungen ging es um mehr als eine Milliarde Franken. Die Hintergründe sind kompliziert. Unter anderen ging es um die Absicherung langfristiger Lieferverträge.

Die Lage an den Märkten hat sich seither entspannt. Alpiq zog das Gesuch zurück und beschaffte sich zusätzliche Liquidität bei den Aktionären und Banken. In der Branche herrschte dennoch Ärger über das Vorpreschen. Man befürchtet laut «CH Media» einen «Regulierungstsunami», eine Einstufung der Stromkonzerne als «too big to fail».

Politik im Erregungsmodus

Die Politik befindet sich ebenfalls im Erregungsmodus. Die FDP fordert in einem neuen Positionspapier unter anderem eine Aufhebung des AKW-Bauverbots. Die SVP, auf der Suche nach zugkräftigen Themen, verlangt die Einsetzung eines «Strom-Generals». SP und Grüne wollen eine gemeinsame Volksinitiative für einen Öko-Staatsfonds lancieren.

Antje Kanngiesser, CEO Alpiq, spricht an der Medienkonferenz ueber das Semesterergebnis 2021 am Donnerstag, 26. August 2021, in Olten. (KEYSTONE/Michael Buholzer)
Alpiq-Chefin Antje Kanngiesser musste den Bund um Hilfe bitten.Bild: keystone

Für zusätzliche Aufregung sorgte letztes Jahr eine Studie des Departements UVEK, wonach der Schweiz ab 2025 temporäre Stromausfälle drohen, unter anderem wegen des fehlenden Stromabkommens mit der EU. Es war ein Worst-Case-Szenario, doch es steht ausser Frage, dass die Schweiz in Zukunft deutlich mehr Elektrizität benötigen wird.

Schnellere Bewilligung

Nun rächt es sich, dass die Energiewende «verlauert» wurde. Der Wechsel im UVEK von Leuthard zu Simonetta Sommaruga hat nicht zur Beschleunigung beigetragen. Immerhin geht jetzt etwas. Das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien befindet sich seit letztem Jahr in der parlamentarischen Beratung.

Nun hat Sommaruga eine weitere Änderung des Energiegesetzes in die Vernehmlassung geschickt. Sie packt zwei Themenbereiche an, bei denen besonders viel Handlungsbedarf besteht. Zum einen geht es um die Planungs- und Bewilligungsverfahren für Wind- und Wasserkraftanlagen. Sie dauern heute viel zu lange, manchmal bis zu 20 Jahre.

«Viermal vor Bundesgericht»

«Die Gegner können viermal vor Bundesgericht gehen», sagte Sommaruga am Donnerstag vor den Medien. Manche Projekte werden deswegen aufgegeben, und Schweizer Stromkonzerne investieren lieber im Ausland, etwa in Windparks in Nordeuropa. Nun soll der gesamte Prozess gestrafft und in einem einzigen Verfahren zusammengefasst werden.

Pierre Berger, JUVENT employee in charge of security and maintenance stand on a wind turbine of 150m overall height at the JUVENT power plant on the Mont-Soleil in Saint-Imier, Switzerland on Wednesda ...
Windanlagen wie auf dem Mont Soleil sind in der Schweiz immer noch selten.Bild: KEYSTONE

Vorwärts gehen soll es endlich auch beim Solarstrom, doch in diesem Punkt überzeugen die Vorschläge nicht. Sie sind immer noch zu zaghaft. Es ist positiv, dass für Solaranlagen an Fassaden keine Baubewilligung mehr eingeholt werden muss. Aber das dürfte genauso wenig einen Investitionsschub auslösen wie der geplante Steuerabzug.

Es fehlt an Anreizen

Es fehlt an Anreizen, um eine solche Anlage zu bauen. Was zur absurden Situation führt, dass man in der Schweiz Dächer findet, die nur teilweise mit Solarzellen bedeckt sind. Es lohnt sich nicht, mehr zu produzieren, als für den Eigenbedarf benötigt wird. Abhilfe schaffen könnten Vorschläge aus der Branche, etwa ein minimaler Rückliefertarif.

Wegkommen sollte man auch von der Fixierung auf Dächer und Fassaden, obwohl allein dort das Potenzial enorm ist. Freiflächenanlagen in der Natur sind bei uns kaum realisierbar. Aber es gibt viele grosse Parkplätze, die man mit Solarpanels «überdachen» könnte. Auch mehr Solarkraftwerke auf Stauseen wie dem Lac des Toules (VS) sollten geprüft werden.

Wolkige AKW-Ideen

Die Solarenergie werde von Bundesrat und Parlament «systematisch unterschätzt», kritisierte die Umweltorganisation Greenpeace am Donnerstag. Freuen darüber kann sich nur die Atomlobby, die nicht nur wegen des FDP-Papiers Aufwind verspürt. Wer jedoch glaubt, in der Schweiz werde in absehbarer Zeit ein Kernkraftwerk gebaut, lebt in einer Traumwelt.

Kein Stromkonzern will in die heutigen Reaktortypen investieren. Ohne staatliche Subventionen geht es nirgends. Und selbst wenn, würde es mindestens 20 Jahre dauern, bis ein neues AKW in Betrieb geht. Das ist eine optimistische Schätzung. Neue Kraftwerke, die kleiner und sicherer sein sollen, sind bislang nicht mehr als ein Versprechen.

Mit wolkigen AKW-Ideen kommt die Schweiz nirgendwo hin. Um aus dem Laueri-Modus herauszufinden, braucht es in erster Linie einen Schub bei den Erneuerbaren, das sehen selbst die Freisinnigen ein. Was der Bund bislang vorgelegt hat, genügt dafür nicht.

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quelle: axpo
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Video: srf
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142 Kommentare
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bokl
03.02.2022 14:48registriert Februar 2014
Einmal mehr wird mit dem Konzept Steuerabzug operiert, welches Einkommensstarke überproportional bevorteilt. Warum nicht einfach fixe Zuschüsse an die Installationskosten?
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SBRUN
03.02.2022 15:46registriert September 2019
Zuerst muss den Leuten erklärt werden, das Solarenergie vom Dach sehr wohl Sinn macht, auch wenn diese im Winter nicht so viel bringt. Der grosse Gewinn resultiert März bis Oktober, da werden die Stauseen für den Winter geschont. Das Zusammenspiel Solar-Wind-Wasser-Rest muss den Bürgern verständlich mit Zahlen erklärt werden. Eine eigene PV auf dem Dach spart auch nicht primär Geld, sie ist im Sinne der Umwelt sinnvoll. Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass mit unserer PV Anlage mit Speicher in etwa übers Jahr gesehen 70% Eigennutzung realistisch ist.
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MixMasterMike
03.02.2022 15:01registriert Mai 2015
Solange sämtliche Bestrebungen, neue Kraftwerke - egal mit welcher Technologie - zu bauen von den Umweltverbänden torpediert werden, wird das verlauern weitergehen.
Rücksicht auf die Umwelt ist richtig und wichtig - bitte aber Augenmass nicht verlieren.
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