Im Mai 2017 sagte das Stimmvolk Ja zur Energiestrategie 2050, befeuert nicht zuletzt durch den Enthusiasmus der damaligen Bundesrätin Doris Leuthard. In den bald fünf Jahren, die seither vergangen sind, ist nicht nichts, aber viel zu wenig passiert. Der Ausbau der erneuerbaren Energien aus Sonne und Wind kommt nur im Schneckentempo voran.
«Wir sind nicht gerade die Geschwindigkeits-Champions», sagte Michael Wider, Präsident des Verbands der Elektrizitätsunternehmen (VSE), im Interview mit dem «Sonntagsblick». Im europäischen Vergleich gehört die Schweiz seit Jahren zu den Schlusslichtern. Nimmt man nur den Solarstrom, sieht es besser aus, aber andere Länder sind uns deutlich voraus.
Gleichzeitig ist der europäische Strommarkt in Bewegung geraten. Die lange rekordtiefen Strompreise sind zeitweise explodiert. Dafür gibt es mehrere Gründe, unter anderem die Angst vor einem Lieferstopp für russisches Gas wegen der Ukraine-Krise. Mehrere Energiekonzerne gerieten deswegen in die Klemme, darunter auch Alpiq in der Schweiz.
Kurz vor Weihnachten richtete das Unternehmen mit Sitz in Lausanne einen Hilferuf an die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom). Man brauche dringend Geld. Laut den Tamedia-Zeitungen ging es um mehr als eine Milliarde Franken. Die Hintergründe sind kompliziert. Unter anderen ging es um die Absicherung langfristiger Lieferverträge.
Die Lage an den Märkten hat sich seither entspannt. Alpiq zog das Gesuch zurück und beschaffte sich zusätzliche Liquidität bei den Aktionären und Banken. In der Branche herrschte dennoch Ärger über das Vorpreschen. Man befürchtet laut «CH Media» einen «Regulierungstsunami», eine Einstufung der Stromkonzerne als «too big to fail».
Die Politik befindet sich ebenfalls im Erregungsmodus. Die FDP fordert in einem neuen Positionspapier unter anderem eine Aufhebung des AKW-Bauverbots. Die SVP, auf der Suche nach zugkräftigen Themen, verlangt die Einsetzung eines «Strom-Generals». SP und Grüne wollen eine gemeinsame Volksinitiative für einen Öko-Staatsfonds lancieren.
Für zusätzliche Aufregung sorgte letztes Jahr eine Studie des Departements UVEK, wonach der Schweiz ab 2025 temporäre Stromausfälle drohen, unter anderem wegen des fehlenden Stromabkommens mit der EU. Es war ein Worst-Case-Szenario, doch es steht ausser Frage, dass die Schweiz in Zukunft deutlich mehr Elektrizität benötigen wird.
Nun rächt es sich, dass die Energiewende «verlauert» wurde. Der Wechsel im UVEK von Leuthard zu Simonetta Sommaruga hat nicht zur Beschleunigung beigetragen. Immerhin geht jetzt etwas. Das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien befindet sich seit letztem Jahr in der parlamentarischen Beratung.
Nun hat Sommaruga eine weitere Änderung des Energiegesetzes in die Vernehmlassung geschickt. Sie packt zwei Themenbereiche an, bei denen besonders viel Handlungsbedarf besteht. Zum einen geht es um die Planungs- und Bewilligungsverfahren für Wind- und Wasserkraftanlagen. Sie dauern heute viel zu lange, manchmal bis zu 20 Jahre.
«Die Gegner können viermal vor Bundesgericht gehen», sagte Sommaruga am Donnerstag vor den Medien. Manche Projekte werden deswegen aufgegeben, und Schweizer Stromkonzerne investieren lieber im Ausland, etwa in Windparks in Nordeuropa. Nun soll der gesamte Prozess gestrafft und in einem einzigen Verfahren zusammengefasst werden.
Vorwärts gehen soll es endlich auch beim Solarstrom, doch in diesem Punkt überzeugen die Vorschläge nicht. Sie sind immer noch zu zaghaft. Es ist positiv, dass für Solaranlagen an Fassaden keine Baubewilligung mehr eingeholt werden muss. Aber das dürfte genauso wenig einen Investitionsschub auslösen wie der geplante Steuerabzug.
Es fehlt an Anreizen, um eine solche Anlage zu bauen. Was zur absurden Situation führt, dass man in der Schweiz Dächer findet, die nur teilweise mit Solarzellen bedeckt sind. Es lohnt sich nicht, mehr zu produzieren, als für den Eigenbedarf benötigt wird. Abhilfe schaffen könnten Vorschläge aus der Branche, etwa ein minimaler Rückliefertarif.
Wegkommen sollte man auch von der Fixierung auf Dächer und Fassaden, obwohl allein dort das Potenzial enorm ist. Freiflächenanlagen in der Natur sind bei uns kaum realisierbar. Aber es gibt viele grosse Parkplätze, die man mit Solarpanels «überdachen» könnte. Auch mehr Solarkraftwerke auf Stauseen wie dem Lac des Toules (VS) sollten geprüft werden.
Die Solarenergie werde von Bundesrat und Parlament «systematisch unterschätzt», kritisierte die Umweltorganisation Greenpeace am Donnerstag. Freuen darüber kann sich nur die Atomlobby, die nicht nur wegen des FDP-Papiers Aufwind verspürt. Wer jedoch glaubt, in der Schweiz werde in absehbarer Zeit ein Kernkraftwerk gebaut, lebt in einer Traumwelt.
Kein Stromkonzern will in die heutigen Reaktortypen investieren. Ohne staatliche Subventionen geht es nirgends. Und selbst wenn, würde es mindestens 20 Jahre dauern, bis ein neues AKW in Betrieb geht. Das ist eine optimistische Schätzung. Neue Kraftwerke, die kleiner und sicherer sein sollen, sind bislang nicht mehr als ein Versprechen.
Mit wolkigen AKW-Ideen kommt die Schweiz nirgendwo hin. Um aus dem Laueri-Modus herauszufinden, braucht es in erster Linie einen Schub bei den Erneuerbaren, das sehen selbst die Freisinnigen ein. Was der Bund bislang vorgelegt hat, genügt dafür nicht.
Rücksicht auf die Umwelt ist richtig und wichtig - bitte aber Augenmass nicht verlieren.