«Kernkraftwerk Kaiseraugst. Nichtrealisierung»: Diesen Titel trägt die Motion, die 1988 das Projekt Kaiseraugst – welches wohl schon lange zuvor dem Tod geweiht war – beerdigte. Darin steht, dass «die Durchführung aus politischen, staatsbürgerlichen und gesellschaftlichen Gründen praktisch unmöglich geworden» sei.
Die Motion wurde von allen Räten angenommen und das Projekt Kaiseraugst wurde nicht realisiert – obwohl das Stimmvolk 1984 entschieden hatte, dass die Schweiz nicht aus der Kernenergie aussteigen sollte.
Ein SVP-Nationalrat war federführend bei der Kaiseraugst-Verhinderung und prägte die nationale Debatte: Christoph Blocher.
Blocher und 13 weitere Nationalratsmitglieder unterzeichneten die Motion. Nicht, weil sie die Kernenergie a priori ablehnten, sondern weil das Volk diese nicht goutierte.
Die Ablehnung der Bevölkerung manifestierte sich in dutzenden Protesten gegen das geplante AKW im aargauischen Kaiseraugst. Diese Proteste dauerten lange an: Bereits 1975 wurde das Baugelände des AKW Kaiseraugst monatelang besetzt, 1988 hatte sich die Lage noch immer nicht beruhigt.
Letztlich hatte der Abbruch des Projektes Kaiseraugst auch ökonomische Aspekte. So heisst es in der Motion ebenfalls, dass die Fortführung des Projektes aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht mehr vertretbar sei – und das, nachdem bereits 1,3 Milliarden Schweizer Franken investiert worden waren.
Die Motion von Blocher und Konsorten bedeutete jedoch keine Abkehr von der Kernenergie. Es ist darin vermerkt, dass «die Massnahmen für eine zukunftssichernde Energiepolitik, in der die Kernenergie als Option offen bleibt, mit Nachdruck» weiterzuführen seien.
Die Aargauer Mitte-Nationalrätin Marianne Binder-Keller erinnert sich gut an die 80er-Jahre. Ihr Vater, Anton Keller, war CVP-Nationalrat, ihr Schwiegervater Ständerat. Sie sagt gegenüber watson: «Ich bekam die Parlamentsdebatte gut mit. Sowohl mein Vater wie mein Schwiegervater setzen sich gegen den überraschenden Übungsabbruch ein. Die Debatte war intensiv und emotional.»
Abseits der Perspektive als Tochter eines Parlamentsmitglieds nahm Binder-Keller die Proteste auch als 30-jährige Bürgerin war. Sie erzählt: «Das war wirklich eine ereignisreiche Zeit, mit diesen Demos über Jahre hinweg. Aber auch Drohungen wurden ausgesprochen – und zwar nicht wenige. Unter dem Auto meines Schwiegervaters explodierte sogar ein Sprengsatz.»
Ein Blick in die Tagesschau vom 2. November 1981 zeigt: Die 70er- und 80er-Jahre waren tatsächlich turbulent. Bis zu 20'000 Demonstranten versammelten sich jeweils in Kaiseraugst. Für sie war klar: Würde hier ein AKW gebaut, würde der Volkswillen umgangen werden.
Eine Demonstrantin verkündete damals: «Es geht darum, zu zeigen, ob die Atomlobby oder das Volk das letzte Wort hat. Aber es geht heute um viel mehr – heute und in der nächsten Zeit und in den nächsten Jahren. Es geht darum, herauszufinden, was siegt. Die Zerstörung und der Tod, oder das Leben und das Erhalten des Lebens.»
In der Motion von 1988 wird mehrfach auf die zukünftige Energiestrategie der Schweiz eingegangen. Die Zukunft von 1988 ist heute. Aber wie die «zukunftssichernde Energiepolitik» aussieht, welche man seit bald 40 Jahren anpeilen möchte, ist bis dato unklar. Und das trotz der Verabschiedung der Energiestrategie 2050, dem darin festgehaltenen Verbot, neue AKW zu bauen, der Ablehnung des CO₂-Gesetzes und der Annahme des Klimaschutzgesetzes.
Eine Partei hat bezüglich der Kernkraft eine klare Vision – die SVP. Seit Jahren fordert sie, dass man das «Technologieverbot» endlich aufhebe, damit man neue AKW bauen könne und die Forschung über die AKW der 4. Generation intensiveren könne. Im Zuge dieser Forderung haben Bürgerliche die «Blackout stoppen»-Initiative lanciert – würde diese angenommen, wäre der Bau neuer AKW gegebenenfalls wieder möglich.
Den Bau neuer AKW fordert in den Reihen der SVP die Tochter des Mannes, der anno 1988 das AKW in Kaiseraugst verhinderte, besonders laut: SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher.
Am Sonntag wies sie in der SRF-Elefantenrunde immer wieder darauf hin, dass man nun endlich wieder «technologieoffener» werden solle. Martullo-Blocher sagte, dass die Schweiz sonst bald ein «gigantisches Problem» habe und man den inländischen Atomstrom als reale Alternative zum bis anhin importierten Strom sehen soll.
Während Binder-Keller bei der Verhinderung des AKW in Kaiseraugst nur indirekt betroffen war, nimmt sie heute selbst an den hitzigen Diskussionen unter der Bundeshauskuppel teil. Sie und ihre Partei, Die Mitte, setzen die Akzente in der Debatte über die Energieversorgung in der Schweiz gänzlich anders als die SVP.
Sie sagt: «Während den Diskussionen in den 80er-Jahren monierten Blocher und der Zürcher Freisinn das sachliche Argument der Machbarkeit – zur Überraschung des Aargaus. Wenn man dieses Argument heute in den Mittelpunkt der Debatte stellen würde, dann wäre die Diskussion vielleicht einmal eine etwas rationalere.»
Binder-Keller ist der Meinung, dass damals Fehlentscheide getroffen worden seien: «Salopp gesagt: Hätten damals bürgerliche Kräfte wegen der Proteste und der möglichen Unmachbarkeit Kaiseraugst nicht versenkt, hätten wir das Werk heute. Schliesslich darf ein AKW in der Schweiz so lange laufen, wie es sicher ist.»
Nun habe man Kaiseraugst aber nicht gebaut und man müsse sich intensiv mit der Schweizer Energiestrategie auseinandersetzen und zukunftsfähige Lösungen finden, so Binder-Keller. Sie hält fest: «Ich habe wenig Berührungsängste mit der Kernkraft. Schliesslich ist die Frage der Hinterlassenschaft nicht nur eine Frage der Kernenergie, wie uns die Debatte um den Klimawandel vor Augen führt. CO₂ belastet die Welt ebenso.»
Sie sagt: «Wir haben momentan keinen anderen Volksauftrag als die Umsetzung der Energiestrategie 2050. Ob uns Parlamentarierinnen und Parlamentariern das passt oder nicht. Einfach gegen die Energiestrategie zu wettern und nach Kernkraft zu rufen, ist widersprüchlich. Letztlich entscheidet das Volk. Dann hätte man halt damals Kaiseraugst nicht versenken sollen.»
Die Positionen in der Diskussion über die Kernenergie sind verhärtet – inwiefern eine «rationalere» Diskussion im Parlament möglich wird, wie sich Binder-Keller diese wünscht, wird die Zukunft zeigen.
Ob in der Schweiz jemals wieder ein neues AKW gebaut wird oder nicht, dürfte das Schweizer Volk entscheiden. Sei es an der Urne oder durch erneute Proteste.
Ein AKW zu bauen würde bedeuten, Milliarden durch den Staat zu subventionieren. Und auch dann dauert es Jahrzehnte.
Wieso nicht die gleichen Milliarden in Solar, Wind und Wasser stecken? Deren Bau geht schneller und es profitieren Schweizer KMU von den Subventionen (im Gegensatz zu AKW-Subventionen, die mehrheitlich ins Ausland fliessen würden weil dort die Reaktor-Spezialisten sitzen.)
Das ist eine Scheindebatte für die SVP Klientel, um als grösste Partei alleine in der Opposition zu sein.
PR - wie die Alk Debatte bei der Migros letztes Jahr.