Die Wahl war eine Formalität: Die Zürcher Nationalrätin Mattea Meyer und ihr Aargauer Kollege Cédric Wermuth wurden am Samstag wie erwartet zum neuen Führungsduo der SP Schweiz gewählt. Für Gegenkandidat Martin Schwab, einen Nobody aus dem Berner Seeland, waren seine 23 Stimmen angesichts der illustren Konkurrenz fast ein Grosserfolg.
Die beiden «Thirtysomething» Meyer und Wermuth lösen Christian Levrat ab, der die SP während zwölf Jahren geführt hatte. Der Freiburger Ständerat war ein versierter Strippenzieher im Parlament. Bei den Wahlen 2019 allerdings erreichte die SP mit 16,8 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit Einführung der Proporzwahl 100 Jahre zuvor.
Kommt mit der neuen Parteispitze die Wende? Ein wenig erinnerte der virtuelle Parteitag 2020 an 1997. Auch damals trat ein Präsident ab, der die Partei hierarchisch, um nicht zu sagen autoritär geführt hatte: der Walliser Peter Bodenmann. Die Parteibasis verschmähte seinen Wunschnachfolger Andrea Hämmerle und wählte die für linke Werte einstehende Zürcherin Ursula Koch.
Es kam bekanntlich nicht gut: Nach drei turbulenten, von internen Machtkämpfen geprägten Jahren trat Koch Knall auf Fall zurück. Seither meidet sie die Öffentlichkeit konsequent. Eine ähnliche Entwicklung ist dieses Mal sehr unwahrscheinlich, denn programmatisch hat die SP schon vor der Wahl von Mattea Meyer und Cédric Wermuth auf einen klaren Linkskurs gesetzt.
Dafür steht auch das neue Vizepräsidium, in dem die Juso durch eine Statutenänderung einen ständigen Sitz erhalten haben. Sozialliberale Exponenten wie Daniel Jositsch werden als «Stimmenfänger» geduldet, und weil sie den Sozialdemokraten eine starke Vertretung im Ständerat ermöglichen. Auf die inhaltliche Linie aber haben sie null Einfluss.
Wohin aber soll die Reise mit dem neuen Co-Präsidium gehen? Einen Anhaltspunkt gibt das Buch «Die Service-Public-Revolution», das Cédric Wermuth mit Co-Autor Beat Ringger verfasst hat. Ein zentraler Punkt ist eine Care-Gesellschaft, «die sich nach den Bedürfnissen der Menschen ausrichtet und nicht am privaten Profit», so Wermuth im watson-Interview.
Service Public statt Shareholder Value: Auf diesen etwas simplen Nenner könnte man die nicht wirklich neue Doktrin bringen. Reicht das, um die Wählerschaft zu überzeugen? Bei den Wahlen im Aargau konnte die SP am Sonntag ihren Sitz in der Regierung verteidigen. Im Kantonsparlament aber war sie mit minus 4 Sitzen die grosse Verliererin.
Man kann diese Schlappe in Cédric Wermuths Heimatkanton nicht dem am Vortag neu gewählten Präsidium anhängen. Die Gewinne von Grünen (+4) und Grünliberalen (+6) zeigen vielmehr, dass die Klimathematik mit Corona keineswegs an Dringlichkeit eingebüsst hat. Denn die Pandemie wird irgendwann überwunden sein, die Klimakrise aber bleibt.
Die SP will sich als «Partei der Klimagerechtigkeit» positionieren und Ökologie mit Sozialem verbinden. Man kann tatsächlich nicht behaupten, dass sie in der Klimafrage untätig ist. Sie ist im Gegenteil sehr engagiert, etwa mit dem im Sommer 2019 vorgestellten «Marshallplan». Fraktionschef Roger Nordmann ist ein eifriger Verfechter der solaren Energiewende.
Die Profiteure aber sind die Grünen, und das liegt nicht an den bösen Medien, sondern an einem bekannten Reflex: Im Zweifelsfall wählt man das Original. Das mussten schon CVP und FDP erfahren. Wenn sie sich für eine harte Asylpolitik stark machten, halfen sie nur der SVP. Beim Klima haben die Grünen wegen ihrer ökologischen DNA einen Vorteil.
Längerfristig könnten die Grünen «im linken Lager die SP vielleicht mal überholen», mutmasst CH Media. Auch auf der anderen Seite des Spektrums lauert Gefahr. Damit ist nicht die SVP gemeint, die genug eigene Probleme hat, sondern die Grünliberalen. Sie könnten von einem verschärften Linkskurs der Sozialdemokraten profitieren.
Derzeit gibt es dafür kaum Anhaltspunkte. Von den SP-Verlusten profitieren die Grünen, ihre ideologischen «Zwillinge». Aber längerfristig lauert die Gefahr in der Mitte, etwa in der Europafrage. Wie distanziert das Verhältnis der SP zur Europäischen Union geworden ist, zeigt die Würdigung für ihren am Sonntag verstorbenen Alt-Bundesrat René Felber.
Der Neuenburger war ein überzeugter Befürworter des EU-Beitritts. Im SP-Nachruf merkt man nichts davon. Das Engagement des früheren Aussenministers in der Europapolitik wird einzig mit einem gewundenen Satz erwähnt: «1992 scheiterte seine schwierige Aufgabe, die Schweiz in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu führen.»
Die Grünliberalen dagegen haben sich als proeuropäische Partei positioniert. Die GLP hat ohnehin einen Lauf, nicht nur bei Wahlen. Am letzten Abstimmungssonntag stand sie als einzige Partei bei allen nationalen Vorlagen auf der Siegerseite. Gleichzeitig hat sie sich nach links bewegt, wofür auch die Ja-Parole zur Konzernverantwortungsinitiative steht.
Der doppelte Grün-Trend könnte der SP zu schaffen machen. Daneben müssen Meyer und Wermuth zeigen, wie sie ihre linken Überzeugungen mit der Bereitschaft zum Kompromiss vereinbaren können – jener Disziplin, die Levrat so gut beherrscht. Denn die Schweiz ist tendenziell progressiver geworden, sie bleibt aber mehrheitlich bürgerlich.
Gratuliere, so gewinnt man neue Wähler. 🤦♂️
Aber auch für die GLP wird es programmstisch nicht leicht. Sie haben einen grossen Zustrom von links wie rechts und können sich Hoffnungen machen auf einen Sitz der FDP. Doch es gilt eine Balance zu finden und keine "Seite" zu vergraulen.