Seit diesem Frühling sitzt Peter Bruce (Name geändert) in einem Schweizer Gefängnis in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Er soll für einen ausländischen Staat – wahrscheinlich China – spioniert haben. Gemeinsam mit dem deutschen «Spiegel»-Magazin und dem Onlineportal «NK News» erzählen die Tamedia-Zeitungen nun anhand von Geheimdienstkreisen sowie von Gerichtsentscheiden den speziellen Fall des Kanadiers.
Demnach lebte Bruce gemeinsam mit seiner Familie in Genf. Früher war er für die UNO tätig, zuletzt arbeitete er als selbstständiger Umweltberater. Von einem hochrangigen Schweizer Diplomaten, der ihn gut kennt, wird der Mann als «sehr netter Mensch» und «intellektuell anregend» beschrieben. Nicht zuletzt, da er oft in Fernost unterwegs war, galt der 60-Jährige in Diplomatenkreisen als bestens informierter «Nordkorea-Experte».
Doch diese Bezeichnung kommt angesichts der Geschichte, die sich durch die Recherchen abzeichnete, etwas euphemistisch daher. Ins Visier der Schweizer Spionageabwehr geriet der mutmassliche Spion durch eine Agentin des militärischen Nachrichtendienstes Chinas. Sie war in Genf als Diplomatin akkreditiert, wurde aufgrund eines Verdachts der Schweizer Behörden aber überwacht.
2021 traf sich ebendiese «Diplomatin» mehrmals mit Bruce. Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) beobachtete dabei, wie sich die beiden bei mehreren Treffen in Genfer Restaurants «konspirativ» verhielten. Sie sollen miteinander getuschelt und darauf geachtet haben, dass sie das Restaurant jeweils nicht gemeinsam verlassen. Zudem beobachtete der NDB einmal eine Szene, bei der Bruce von der Agentin einen Briefumschlag erhielt und er diesen sofort in seiner Jackentasche verschwinden liess. Aus Gesprächsfetzen soll ersichtlich geworden sein, dass sich die Gesprächsthemen unter anderem um nordkoreanische Diplomaten drehten, die in der Schweiz stationiert waren.
Gemäss den Recherchen soll das kein Zufall sein, denn «Nordkorea ist Bruces Spezialgebiet», wie die Tamedia-Zeitungen schreiben. Demnach habe er freundschaftliche Kontakte zu Diplomaten aus Nordkorea unterhalten, sie auch zu sich nach Hause eingeladen und mit ihnen Cognac getrunken haben. Sogar mit dem ehemaligen Botschafter Nordkoreas in der Schweiz soll Bruce bekannt gewesen sein. Das Land hat er auch selbst mindestens einmal besucht.
Noch im selben Jahr, 2021, hat die Agentin Chinas die Schweiz verlassen – unbehelligt. Bruce hingegen, der die mutmasslichen Nebeneinkünfte aus seinem mutmasslichen Spionage-Job offenbar gut gebrauchen konnte – der 60-Jährige soll sich über die hohen Lebenshaltungskosten in Genf beschwert haben – blieb im Visier der Schweizer Behörden.
Sie führten ihn am 14. März dieses Jahres zu einer ersten Befragung ab. Danach kam der Kanadier in Untersuchungshaft, wo er bis heute sitzt.
Dem vorausgegangen war die Eröffnung eines Strafverfahrens durch die Bundesanwaltschaft, die zuvor vom NDB benachrichtigt worden war. Im Zuge dessen wurde Bruce von der Polizei überwacht; ab Herbst 2023 konnte man so seine Kommunikation mitverfolgen. Was genau dabei herauskam, ist unklar. Allerdings stehen gemäss Gerichtsunterlagen gleich drei Spionage-Strafnormen im Raum: politischer, wirtschaftlicher und militärischer Nachrichtendienst für einen fremden Staat oder eine ausländische Organisation.
China gilt gemäss NDB als zweitgrösste Spionage-Bedrohung für die Schweiz – hinter Russland.
Trotzdem: Dass ein ausländischer Staatsangehöriger in der Schweiz wegen Verdachts auf Spionage inhaftiert wird, ist extrem selten. Laut «Tagesanzeiger» liegt der letzte bekannte grössere Fall ganze 26 Jahre zurück. Damals handelte es sich um einen Mossad-Agenten in Bern, der bei einer Aktion gegen die libanesische Hisbollah überwacht, erwischt und später verurteilt wurde.
Von Bruce selber, seiner Anwältin sowie seiner Familie gibt es praktisch keine Informationen, gemäss den Medienberichten will die Familie nicht mit Journalisten sprechen. Sie soll aber von Bruces Unschuld überzeugt sein. Sollte der Kanadier angeklagt und schliesslich verurteilt werden, drohen ihm maximal drei Jahre Gefängnis. Es gilt die Unschuldsvermutung. (lak)