Es geschah am 10. Dezember 2003, vor zwanzig Jahren also. Das Parlament wählte CVP-Bundesrätin Ruth Metzler ab und hievte SVP-Doyen Christoph Blocher in die Regierung. Ausgerechnet der protestantische Pfarrerssohn Blocher hatte zuvor mit seiner SVP die katholischen Stammlande erobert und der CVP vor Augen geführt: Ihr historischer Auftrag, die Katholiken in den Bundesstaat einzugliedern, ist erfüllt.
«Das war für uns ein Schockmoment», sagt Mitte-Präsident Gerhard Pfister heute. Den 10. Dezember 2003 erlebte er als frisch gewählter Nationalrat mit. «Die Abwahl von Ruth Metzler löste einen heilsamen Prozess aus. Wir hatten in einer Vergangenheit gelebt, die es so nicht mehr gab.»
Als Parteipräsident änderte Pfister dies. Er fusionierte die CVP 2020 mit der BDP zur Mitte und befreite sie aus ihrem religiösen Korsett. Er spricht von «Aufbruchstimmung», die Umfragen deuten darauf hin, dass die Mitte eher geringe Fusionsverluste erleiden dürfte und sogar die FDP überholen könnte.
Diese Erfolgsgeschichte will Pfister über die Wahlen 2023 hinaus weiterschreiben. «Ich bin sehr motiviert, meine Arbeit fortzusetzen, und stelle mich als Präsident für die nächsten vier Jahre zur Verfügung», sagt er. Pfister will, darauf deutet einiges hin, schon vor den Wahlen einen Pflock einschlagen. Das Präsidentenamt der Mitte hat an Attraktivität gewonnen.
«Der Reformprozess ist auf gutem Wege. Er ist aber nach zweieinhalb Jahren noch nicht abgeschlossen», sagt Pfister. Er wolle die Mitte bis zu den Wahlen 2027 noch «klarer als führende Zentrums-Partei» positionieren und sie «sozialer, weiblicher und jünger» machen.
Doch was ist, sollte Viola Amherd auf Ende 2025 zurücktreten, wie viele spekulieren? Will Pfister dann Bundesrat werden? «Erstens bleibt Viola Amherd länger Bundesrätin, als gewisse Medien erwarten», kontert er. «Und zweitens beantworte ich diese Frage dann, wenn sie sich stellt.»
Und was tut die Mitte, sollte sie bei den Wahlen 2023 tatsächlich die FDP überholen? «Sollten wir am 22. Oktober um 0,1 Prozentpunkte vor der FDP liegen, werden wir keinen zweiten Bundesratssitz fordern», sagt Pfister. «Wir wären nicht glaubwürdig. Wir fordern seit 2019, dass die massgeblichen Kräfte ihrer Stärke nach im Bundesrat vertreten sind.» FDP-Präsident Thierry Burkart hingegen vertrete die Podestlogik: Die drei grössten Parteien sollten je zwei Sitze erhalten, die viertgrösste einen.
Vor drei Wochen hatte FDP-Präsident Burkart Pfister in der «Schweiz am Wochenende» kritisiert. Der Mitte-Präsident habe die Order herausgegeben, keine Listenverbindungen mit der FDP einzugehen, sagte er und bemängelte: «Pfister bekämpft in erster Linie die FDP.» Zudem koaliere die Mitte oft mit Links, um dem Zeitgeist zu entsprechen.
Pfister widerspricht. «Es gibt selbstverständlich keine Parteiordner, dass unsere Kantonalparteien keine Listenverbindungen mit der FDP eingehen dürfen», sagt er. Es sei aber Tatsache, dass die Mitte-Basis «keine Listenverbindungen mit der SVP» akzeptiere, weshalb die Partei auch keine Listenverbindungen mit FDP und SVP eingehen könne. Es sei nicht so, dass er die FDP bekämpfe. «Die Polparteien sind unsere politischen Gegner», betont Pfister. «FDP und GLP sind unsere politischen Konkurrentinnen.»
Was die Listenverbindungen betrifft, kontert Pfister mit einem Seitenhieb. Er habe Burkart einen Deal vorgeschlagen: «Ich wollte eine Listenverbindung im Jura, weil uns das geholfen hätte, dort unseren Sitz zu sichern. Im Gegenzug bot ich der FDP eine Listenverbindung im Thurgau an, was der FDP hilft.» Es sei aber nur die Listenverbindung im Thurgau zustande gekommen. Der Mitte drohe damit ein Sitzverlust im Jura.
Pfister betont auch, die FDP stimme im Parlament inhaltlich häufiger mit der Mitte als mit der SVP. «Wirtschaftspolitisch haben wir viele Gemeinsamkeiten», sagt er. «Sozialpolitisch hingegen haben wir oft unterschiedliche Auffassungen.» Das müsse so sein. «Die Mitte ist die bürgerliche Partei mit sozialer Verantwortung.»
Konfrontiert mit diesen Aussagen geht FDP-Präsident Thierry Burkart erneut massiv in die Offensive. «Gerhard Pfister hat die Mitte nach links gerückt», sagt er wieder. Das zeige sich in der Sozial-, Gesellschafts- und Gesundheitspolitik, etwa beim rückwirkenden und ausserordentlichen AHV-Teuerungsausgleich und bei der Ausweitung der Krankenkassenprämienverbilligung.
«Diese Kurskorrektur kommt aber nicht bei allen in seiner Partei gut an», betont Burkart. «Die eigenen Mitte-Ständeräte korrigieren immer mal wieder die Abmachungen Pfisters mit Links-Grün im Nationalrat.» So habe die Mitte den Nichteintretensantrag gegen die Ausweitung der Krankenkassenprämienverbilligung gleich selbst gestellt. Burkarts Folgerung: «Im Ständerat arbeitet die FDP gut mit der ehemaligen CVP zusammen.»
Er würde sich «eine bessere Zusammenarbeit mit der Mitte auf Parteiebene» wünschen, hält Burkart fest. «Allerdings ist das nicht im Interesse des Mitte-Parteipräsidenten.» Das sehe man bei den Listenverbindungen. Da habe Pfister «klare Anweisungen gegeben», nicht mit der FDP zusammenzugehen. «Er hat auch persönlich interveniert, wie zum Beispiel in Luzern, im Thurgau oder im Jura. Glücklicherweise folgen die Kantone nicht immer ihrem Präsidenten und gehen Listenverbindungen mit der FDP ein wie etwa im Thurgau, in Graubünden und in Luzern.» Die FDP hätte sich in verschiedenen Kantonen eine Listenverbindung mit der Mitte gewünscht, sagt Burkart.
Der Grund für Pfisters Vorgehen sei ihm klar, sagt Burkart. Das Wahlsystem zwinge die Parteien praktisch dazu, Listenverbindungen einzugehen. Da die Mitte auf breiter Ebene mit der GLP koaliere, bleibe der FDP nur noch die SVP als mögliche Allianzpartnerin.
«Die Mitte kann sich dann als die ‹vernünftige Kraft der Mitte› positionieren», sagt Burkart. Und sie könne die FDP als Partei darstellen, welche die SVP unterstützt. «Pfisters Spiel ist aufgrund der linken Polemik und dank Mithilfe der Medien bislang aufgegangen.» Klar sei aber für ihn eines: «Das Vorgehen führt zu gespaltenen Bürgerlichen. Mit der Folge, dass Links-Grün inklusive GLP ein weiteres Mal als Siegerin aus den Wahlen hervorgeht.»
Damit ist ein Zoff entstanden zwischen Gerhard Pfister und Thierry Burkart, der wohl schon bald in die nächste Runde geht. (aargauerzeitung.ch)
Wir werden es sehen.