Der Mann, von Beruf Gleisarbeiter bei den SBB, gönnte sich einen Zusatzverdienst. Anfang April 2020 etwa liess er sich, nicht zum ersten Mal, ein halbes Kilo Kokain aus dem Aargau ins frei stehende Einfamilienhaus ins Tösstal liefern. Preis: 23'500 Franken.
Der Stoff kam per Lieferdienst, ausgeführt vom Schwager des Schweiz-Bosses des kalabrischen Clans der Larosa. Der Bähnler war Stamm-Abnehmer von Kokain und Marihuana.
Jugendliches Spitzenpersonal des Larosa-Clans hatte sich etwa 2018 schwergewichtig in den Kantonen Zürich, St.Gallen, Solothurn, Luzern und Graubünden niedergelassen, um hier selbst Drogen zu vertreiben. Sie wagten sich aus der Deckung, was aussergewöhnlich ist. Aufenthaltsbewilligungen hatten sie dank Fake-Arbeitsverträgen, die auf Briefkastenfirmen oder eigene Restaurants lauteten oder von Schweizer Komplizen im Bau- und Immobiliensektor ausgestellt worden waren.
Die unter Mitarbeit des Fedpol aufgedeckten Aktivitäten liefern einen Einblick in das Vorgehen dieser Drogenmafia. Der Larosa-Clan importierte zentnerweise Stoff aus Südamerika. Das zeigte sich 2019, als 388 Kilo Kokain im Hafen von La Spezia konfisziert wurden. Zuvor hatten zwei in der Schweiz wohnhafte Mitglieder der Bande den Verlad der Ware in Brasilien selbst überwacht.
In die Schweiz brachte der Clan die Drogen unter anderem mit präparierten Autos. Bei einer solchen Fahrt wurde der Junior-Boss Pasquale Larosa mit 1,2 Kilo unter dem Armaturenbrett verhaftet.
Zusätzlich bezog der Clan Ware von anderen Banden. Das zeigte sich im September 2020, als der Grenzwache in Kriessern SG ein mit den Larosa arbeitender Sizilianer ins Netz ging. Er führte 11 Kilo Kokain im Mini Cooper mit Bündner Kontrollschild mit. Die Lieferung sollte in ein Kühllager der Bande in Malans GR gebracht werden.
Das Kokain hatte der Sizilianer im Lager einer Logistikfirma in der Nähe von Frankfurt abgeholt, die Kosovo-Albanern gehörte. Im September 2020 wurden in Frankfurt fast 400 Kilo Kokain aus Brasilien abgefangen, das ins Lager der Logistikfirma geliefert werden sollten.
Die Larosa hatten rund ein Dutzend Familienmitglieder in der Schweiz abgestellt für den Drogenhandel. «Subunternehmer» wie der SBB-Mitarbeiter übernahmen die Feinverteilung an die Endkunden. Ein solcher «Subunternehmer» war auch ein junger Solothurner Immobilienmakler, Flügelstürmer im örtlichen 4. Liga-Klub. Der Schwager des Clans-Bosses lieferte ihm mit seinem BMW X5 einmal persönlich 90 Gramm Koks nach Hause.
Auffällig ist ohnehin, dass manche Drogenhändler auf deutsche Nobelkarossen setzen. Wie jene Serben, die Anfang 2023 in Aarau verurteilt wurden. Sie lieferten die Ware vorzugsweise im Mercedes S 350 oder dem BMW X5 aus.
Schweizer Gerichte verwenden zur Strafbemessung oft ein Modell, das 2014 von den Strafrechtlern Luzius Eugster und Tom Frischknecht präsentiert worden war. Es unterscheidet fünf Stufen in der Drogenhierarchie:
Der Fall der Larosa ist ungewöhnlich, weil die Führungsleute nicht nur in den «unsichtbaren» höchsten Stufen aktiv waren, sondern auch in der dritten. Der Junior-Boss lieferte selbst einmal 100 Gramm Kokain an einen Zürcher Landsmann aus, der an einem Bahnhof eine Bar betrieb.
Das hatte Folgen: 2021 wurde die Bande verhaftet, später in Italien verurteilt. Der Junior-Boss erhielt zehn Jahre Gefängnis.
Vor Gericht landen sonst meist die Akteure der Stufen 4 und 5, manchmal der Stufe 3. Also jenes Personal, das für die regionale Verteilung der Ware und die Abgabe an Endkunden landauf, landab zuständig ist. Der SBB-Mitarbeiter und der Hobby-Fussballer dürften Stufe 4 zuzurechnen sein. Die drei unteren Stufen sind einem weit grösseren Entdeckungsrisiko ausgesetzt als die höchsten beiden.
Die Kokain-Mafia wird immer dreister. Der Stoff kommt auf jede mögliche und unmögliche Weise in die Schweiz. Per Kurier im Flugzeug, per Post, per Schiff im Rheinhafen, kiloweise in Autos, zentnerweise in Lastwagen oder mit der Bahn.
Das zeigte sich im Mai 2022, als 500 Kilo Kokain irrtümlich bei Nestlé in Romont FR angeliefert wurden. Der Stoff war in Kiloportionen in Kaffeesäcken versteckt. Er war laut Kantonspolizei Fribourg im Schiffscontainer von Santos (Brasilien) nach Antwerpen (Belgien) verschifft worden. Von dort ging die Reise per Bahn in die Schweiz. Albanische Kriminelle wollten die Ware im Logistikzentrum von Swissterminal in Frenkendorf bei Basel heimlich aus dem Container holen, was aber misslang. Die Ladung war da schon auf dem Weg nach Romont.
Ermittlungen in der Schweiz zeigten, dass die Bande die Kaffee-Masche schon mehrmals für Grosslieferungen aus Südamerika benutzt hatten. Dazu reisten jeweils Albaner aus Norditalien an, um die Ware in Frenkendorf herauszufischen. Dokumentiert ist laut «Corriere della Sera» ein Fall vom September 2021. Unbekannte brachen einen Container bei Swissterminal auf, der 25 Tonnen Kaffee enthielt. Am nächsten Tag wurde eine Kokainspur entdeckt, die auf eine benachbarte Wiese geführt habe. 40 Kilo Kokain hätten die Gangster im Container zurückgelassen. Zwei Albaner wurden gestützt auf Schweizer Rechtshilfegesuche in Italien verhaftet. Ihnen soll in der Schweiz der Prozess gemacht werden.
2018 kam eine Studie zum Schluss, in der Schweiz würden pro Jahr 5000 Kilo Kokain konsumiert. Das ist wohl zu tief gegriffen, jedenfalls hat sich die Situation seither extrem verschärft. Noch nie kam so viel und so reines Kokain ins Land. Immer grössere Mengen werden in Form von Crack geraucht, das noch viel schneller süchtig macht und Wahnvorstellungen auslösen kann. In Genf, wo Crack besonders verbreitet ist, hat sich der Konsum seit 2018 etwa verzehnfacht, wie Zahlen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zeigen. Erst im Juni 2014 warnte das BAG: Der Stoff verbreite sich nicht nur in grossen Städten, sondern auch in kleineren wie Luzern, Chur, Brugg oder Solothurn.
Spätestens seit der Pandemie müssen Drogen nicht mehr mühsam auf der Gasse beschafft werden. Sie werden nach Hause geliefert. Sie können über Kanäle wie dem Messenger-Dienst Telegram bestellt werden. Geliefert wird per Post oder Kurierdienst, bezahlt wird mit Bitcoins.
Gerade findet sich auf Telegram eine detaillierte Drogen-Preisliste in Schweizer Franken: Kokain, Heroin, Marihuana, Haschisch, LSD, Speed, vieles mehr. Drei Kilo kolumbianisches Kokain sind angeblich für 33'000 Franken zu haben. Eine «Werbeaktion», die Lager würden geleert - per Mitte August wird eine Gross-Lieferung noch reineren peruanischen Kokains erwartet.
Anfang 2023 erhielt in Zürich ein Jung-Unternehmer, der angeblich aus Geldnot als Kurier für einen solchen Online-Dienst aktiv war, eine Strafe auf Bewährung. Der Mann sei ein «kleines Rädchen auf einer tiefen Hierarchiestufe», so die Richter laut Agentur SDA. Seine Auftraggeber hatte der Kurier nie zu Gesicht bekommen, den neutral verpackten Stoff holte er in Dropboxen ab. So bleiben die (Schweizer) Hinterleute meist unentdeckt.
Dieses Milliarden-Business der Mafia würde allerdings nicht laufen, wenn da nicht die vielen Tausenden von einheimischen Süchtigen und Genusssüchtigen wären, die immer gieriger auf den Stoff sind.
Aber die Behörden machen Fortschritte. Die Berner Kantonspolizei hob letztes Jahr zwei Drogenplattformen im Darknet aus. Drei Betreiber, Schweizer im Alter von 26 bis 31 Jahren sowie mehrere Kuriere wurden in diversen Kantonen verhaftet; es geht um Umsätze in Millionenhöhe. Zudem sei ein Lieferant der Betreiber identifiziert. Die Verfahren laufen noch. (aargauerzeitung.ch)
An Stufe 1 der Hierarchie kommt man kaum ran und selbst wenn, bildet sich lediglich ein kurzfristiges Machtvakuum. Leidtragender der Drogenpolitik ist immer Stufe 5, der Endkonsument.
Wie kann man so ignorant sein und diesen sinnlosen Krieg, der uns Milliarden kostet und keine Ergebnisse erzielt, noch immer führen wollen? Nieder mit der Drogenpolitik!
- Warum setzt man noch immer auf Repression, obwohl seit Jahrzehnten klar ist, dass der "war on drugs" auf allen (!) Ebenen (ausser die Chefetage der organisierten Kriminalität) mehr Verlierer produziert?!
Es gibt keine (bessere) Alternative zur Legalisierung von Rauschmittel.
- Warum konsumiert man zum Partymachen Kokain und/oder Alkohol?
Die einfache(re) Verfügbarkeit: OK
Aber sonst... ich versteh's wirklich nicht. Gibt zig Substanzen, welche weniger schädlich sind, günstiger und viel mehr Spass machen und Lust/Liebe (ver)bereiten anstatt Grössenwahn und Ego-Trip...