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Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Schweizer Atommüll-Endlager

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Hier soll das Atommüll-Tiefenlager hinkommen: das Haberstal liegt im Ortsteil Windlach der Gemeinde Stadel im Zürcher Unterland.Bild: keystone

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Schweizer Atommüll-«Endlager» ☢️

10.09.2022, 16:1112.09.2022, 08:21
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Das geologische Tiefenlager für radioaktive Abfälle soll laut Nagra in der Region Nördlich Lägern (ZH/AG) entstehen. Diesem Standort wurde gegenüber der Region Jura Ost (Bözberg, AG) und Zürich Nordost (Weinland, ZH/TG) der Vorzug gegeben. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Weshalb braucht es ein Tiefenlager?

Das schweizerische Kernenergiegesetz (KEG) schreibt «die geologische Tiefenlagerung» vor. Zudem ist keine bessere Lösung verfügbar.

Es entsteht fortlaufend mehr Atommüll. Bei der Stromproduktion in Atomkraftwerken (AKW), aber auch in Medizin, Forschung und Industrie. An der Erdoberfläche sollten hochradioaktive Abfälle nicht gelagert werden, weil niemand weiss, wie sich Gesellschaft und Erdoberfläche in den kommenden Jahrtausenden verändern werden, vor allem, was Kriege oder die Klimaerwärmung betrifft. Als sicherste Lösung gilt das Einlagern in mehreren hundert Metern Tiefe. In der Schweiz eignen sich dabei vor allem die Gesteinsschichten aus dem sogenannten Opalinuston – ein grauschwarzer Schieferton.

Was genau soll im Boden gelagert werden?

Eingelagert werden sollen vor allem hochradioaktive Brennelemente aus AKW. Dazu kommen schwach- und mittelradioaktive Abfälle wie kontaminierte Schutzkleidung, Rohre und Isolationsmaterialien der AKW, sowie Abfälle aus Forschung, Medizin und Industrie. Der Bund rechnet damit, dass bis zum Jahr 2075 ein Abfall-Volumen von rund 90'000 Kubikmetern anfällt.

Wie gefährlich sind die Abfälle?

Von diesen Abfällen geht eine unmittelbare Gefahr für Mensch und Umwelt aus, und dies auch noch für Zehntausende von Jahren. Atomarer Abfall ist schon in kleinsten Mengen krebserregend und schädigt das Erbgut.

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Die Schweiz hat ein Entsorgungsproblem, das auch hunderte, ja tausende Generationen nach uns betreffen und gefährden wird. Es ist der hochgiftige, stark strahlende Atommüll...
quelle: shutterstock
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Wie lange soll dieses Tiefenlager in Betrieb sein?

Ein Tiefenlager muss die Abfälle für Zehntausende bis Hunderttausende von Jahren sicher einschliessen, bis sie zur Unschädlichkeit zerfallen sind. Plutonium-239 beispielsweise, das unter anderem für den Bau von Atomwaffen genutzt wird, braucht mehr als 24'000 Jahre, bis die Hälfte der radioaktiven Atomkerne zerfallen ist (Halbwertszeit).

Wo lagert der Schweizer Atommüll heute?

Der bisher angefallene Atommüll liegt derzeit noch in Hallen an der Erdoberfläche – bei den Atomkraftwerken selber und in zwei Zwischenlagern im Kanton Aargau.

Weshalb wartet die Schweiz nicht auf neue Technologien?

Mit sogenannter Transmutation, auch Kernumwandlung genannt, können sich langlebige Radionuklide in kurzlebige verwandeln lassen. Statt mehrere zehntausend Jahre würden einige Abfälle also «nur» noch mehrere hundert Jahre strahlen.

Gemäss dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) ist dies jedoch (noch) kein realistisches Szenario. Und selbst wenn Transmutation dereinst im grossen Stil betrieben würde: Es blieben immer noch langlebige Abfälle übrig, die in ein Tiefenlager gebracht werden müssten.

Die NZZ berichtete Anfang 2022, dass Wissenschaftler in Belgien den Beweis erbringen wollen, dass die Entschärfung von Atommüll auch im grossen Massstab funktioniert:

«Mittlerweile, glauben sie, ist dies nur eine Frage von wenigen Jahren. Noch in diesem Herbst soll mit dem Bau des sogenannten multifunktionalen hybriden Forschungsreaktors für Hightech-Anwendungen, kurz Myrrha, begonnen werden.»
quelle: nzz.ch

Was wissen wir über den Standort für das geplante Tiefenlager?

Die Region Nördlich Lägern liegt im Zürcher Unterland. Sie umfasst zwölf Gemeinden im Kanton Zürich und drei im Kanton Aargau, in der zusammen rund 52'000 Personen wohnen und die eine Fläche von gut 123 Quadratkilometer ausmacht. Zur Standortregion gehören zudem über 30 weitere Gemeinden, die von einem möglichen Tiefenlager betroffen sind – auch aus den Nachbarkantonen und Deutschland.

Warum soll sich das Gebiet für die Tiefenlagerung eignen?

Die wichtigsten natürlichen Barrieren bei einem geologischen Tiefenlager für radioaktive Abfälle sind stabile und dichte Gesteinsschichten, wie der Kanton Zürich auf seiner Internetseite schreibt. Sie sollen verhindern, dass Radioaktivität aus dem Tiefenlager austreten kann.

Im Zürcher Unterland liege mit dem Opalinuston ein Gestein für das Tiefenlager vor, das praktisch wasserundurchlässig ist und sich selbst abdichtet, wenn es mit Wasser in Kontakt kommt. Geologinnen hätten zudem die Langzeitstabilität der Gesteinsschicht als günstig beurteilt, heisst es weiter. Gemäss Erkenntnissen der Nagra aus den Tiefbohrungen sei der Opalinuston sehr dicht.

Wo soll die Oberflächenanlage gebaut werden?

Die Nagra hat bisher zwei Standorte für die Oberflächenanlage vorgestellt: zwischen Weiach ZH und Zweidlen-Station (Glattfelden) sowie im Haberstal in der Gemeinde Stadel. Der Zürcher Regierungsrat sowie die Regionalkonferenz Nördlich Lägern, die aus 130 Personen aus den Gemeinden, Planungsverbänden und Interessengruppen der betroffenen Regionen besteht, haben sich für den Standort Haberstal ausgesprochen.

So könnte die Oberflächenanlage für das Atommüll-Tiefenlager gemäss Visualisierung der Nagra aussehen.
So könnte die Oberflächenanlage für das Atommüll-Tiefenlager gemäss Visualisierung der Nagra aussehen.Bild: Nagra

Für die Oberflächenanlage ist eine Fläche von bis zu acht Hektaren nötig. Das entspricht rund elf Fussballfeldern. Die gesamte Infrastruktur an der Erdoberfläche benötigt eine Fläche von bis zu 20 Hektaren.

Was sagen unabhängige Nagra-Kritiker?

watson hat mit dem Geologen und Tiefenlager-Experten Marcos Buser gesprochen, er ist der bekannteste Nagra-Kritiker und begleitet die Standortsuche seit vielen Jahren.

Was machen andere Länder mit ihrem Atommüll?

In Europa werden derzeit rund 60'000 Tonnen hochradioaktiver Abfall aus Atomkraftwerken gelagert, in der Regel – wie in der Schweiz – in überirdischen Anlagen.

Bis heute ist weltweit kein einziges Endlager für stark strahlende Abfälle in Betrieb. Am weitesten ist Finnland: Auf der Insel Olkiluoto wird in bis zu 500 Metern Tiefe an einem Endlager gebaut. 2024 oder 2025 soll die Einlagerung beginnen. Schweden und Frankreich haben definitive Standorte bestimmt.

Muss der Schweizer Atommüll in der Schweiz begraben werden?

Im Strahlenschutzgesetz steht:

«Die in der Schweiz anfallenden radioaktiven Abfälle müssen grundsätzlich im Inland entsorgt werden. Für die Ausfuhr von radioaktiven Abfällen zur Entsorgung kann ausnahmsweise eine Bewilligung erteilt werden [sofern gewisse Bedingungen erfüllt sind].»

Im Gesetz steht auch, dass die Einfuhr von radioaktiven Abfällen aus dem Ausland «ausnahmsweise» und unter gewissen Bedingungen bewilligt werden kann.

Quellen

  • Nachrichtenagentur Keystone-SDA
  • Nagra
  • Ensi (Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat)
  • Bundesamt für Energie
  • nzz.ch: Die Ewigkeit bekommt ein Ablaufdatum (Artikel vom Februar 2022)

(dsc)

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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goschi
10.09.2022 18:04registriert Januar 2014
nachdem alle zuerst Virologie-Expert:innen waren, danach Militärstrateg:innen und mittlerweile Wirtschaftsexpert:innen für inflation, sind ab Montag 8mio Nuklearexpert:innen und Geolog:innen in der Schweiz unterwegs.

Wichtig ist natürlich zu betonen, dass Fachleute, die sich jahrzehntelang damit beschäftigt haben keinerlei Ahnung haben können, vielleicht noch mit dem Verweis auf die Aussage des NAGRA-Chefs in den 80ern "Brennstäbe unterm Bett".
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Nutshell
10.09.2022 18:35registriert September 2018
Sehr spannend finde ich auch die Atomsemiotik: Sie geht der Frage nach, wie die Nachwelt vor Atommüll gewarnt werden kann, so dass dieser z.B. nicht versehentlich wieder ausgebuddelt wird. Es werden Zeichen gesucht, die auch in 100'000 Jahren noch als Warnung verstanden werden, wenn die Schriften, das Weltverständnis usw. vermutlich ganz anders aussehen werden. Auch muss die Warnung wirklich als solche anerkannt werden und klar sein, dass hier nicht mittels Pseudowarnungen etwas besonders Interessantes versteckt werden sollte.
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Macca_the_Alpacca
10.09.2022 19:37registriert Oktober 2021
Die ältesten Bauwerke der Menschheit sind so 5000 bis 10'000 Jahre alt. Bis auch nur eine Halbwertszeit von Plutonium durch ist, dauert 24'000 Jahre. Demnach sind nach 48'000 Jahren 1/4 nach 72'000 1/8 und nach 96'000 Jahren noch 1/16 des Materials übrig. Von 10 Tonnen Ausgangsmaterial noch 625 kg, natürlich verteilt in diesen 10 Tonnen. Kein Bauwerk hat bisher mehr als 10'000 Jahre gehalten und die Menschen und Völker die das gebaut haben sind längst vergessen. Wie soll das also funktionieren?
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