Noch hält sich die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) offiziell bedeckt, doch am Montag wird sie nur noch bestätigen, was die Spatzen längst von den Dächern pfeifen: Das Atommüll-Tiefenlager soll im Grenzgebiet zwischen dem Zürcher Unterland und dem Aargau gebaut werden. Das ist der Standort Nördlich Lägern.
Der «Tages-Anzeiger» machte am Samstag publik, dass die Grundstücksbesitzer am Vormittag von der Nagra über das Tiefenlager in ihrer Region informiert worden seien.
Eine Sprecherin des Bundesamtes für Energie (BFE) hat gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA bestätigt, dass sich die Nagra für Nördlich Lägern als Standort für das Tiefenlager entschieden habe. Die Brennelement-Verpackungsanlage («heisse Zelle») werde beim Zentralen Zwischenlager in Würenlingen AG gebaut, sagte sie weiter.
Es geht um radioaktiven Sondermüll, der – in spezielle Container verpackt – zehntausende Jahre weiter strahlen wird und ein grosses Risiko für die Umwelt darstellt.
Der unabhängige Schweizer Tiefenlager-Experte und erfahrene Geologe Marcos Buser ordnet den Entscheid ein und erklärt, wie die Verantwortlichen das bei der Bevölkerung verlorene Vertrauen zurückgewinnen könnten.
Herr Buser, was halten Sie vom Standort-Entscheid der Nagra?
Marcos Buser: Es ist ein äusserst schwieriger Entscheid, der in einen widersprüchlich geführten Prozess eingebunden ist. Über Jahrzehnte fokussierte die Nagra auf den Standort Zürcher Weinland. Man erinnere sich insbesondere an den 2002 eingereichten Entsorgungsnachweis für hochaktive Abfälle der Nagra und ihren Antrag zuhanden des Bundes, das Weinland als Endlagerstandort vorzuziehen.
Nun soll also – für viele überraschend – der Atommüll im Zürcher Unterland begraben werden.
Dass ein Standort, der über Jahrzehnte als Reservestandort galt und der gegen den Willen der Nagra wieder in das Auswahlverfahren aufgenommen werden musste, nun plötzlich der allerbeste Standort sein soll, ist nicht nur merkwürdig, sondern vor allem besorgniserregend. Offenbar hat die Nagra über Jahrzehnte an der Sicherheit vorbeigeforscht und die Behörden hatten dabei über Jahrzehnte keine Einwände! Und wer sagt in diesem Fall, dass dies nicht so weitergehen wird? Dass wiederum Fehler begangen werden, die niemand merkt oder merken will? Dies ist der Grund, weshalb das Verfahren jetzt in unabhängiger Art und Weise untersucht werden müsste. Der Auswahlprozess ist kontaminiert. Es muss jetzt Klarheit geschaffen werden, ob nicht bewusst gemogelt wurde.
Wie beurteilen Sie die Vorgeschichte?
Dem heutigen Entscheid gingen unschöne Vorkommnisse voraus, die in einem fairen Verfahren nichts zu suchen haben. Die berühmte Aktennotiz der Nagra von 2011 mit der Bestätigung des Weinlands als Endlagerstandort; der Einengungsentscheid von 2015, bei dem wiederum das Weinland im Vordergrund stand; und das darauffolgende Hin und Her zwischen kantonalen Behörden, Bundesbehörden und Nagra, welche schliesslich mit der Wiederaufnahme des Standorts Nördlich Lägern in das Auswahlverfahren endete.
Nördlich Lägern ist die Region, in der seitens der Bevölkerung der Widerstand am geringsten war. Hat das den Entscheid beeinflusst?
Das mag intern diskutiert worden sein, aber wenn auch, es war sicher nicht ein wesentlicher Grund für die Auswahl. Es gibt gewichtigere Argumente, die von Nagra und Behörden für Nördlich Lägern vorgetragen werden.
Was erachten Sie als die grössten Risiken bei der Standortwahl?
Ein fehlerhaftes Konzept und darauf beruhend eine fehlerhafte Planung. Es gibt kaum mehr ein Zurück, wenn der Entscheid vom Bundesrat abgesegnet wird. Wir haben viele Beispiele im Bereich der nuklearen Entsorgung, bei der Fehler gemacht wurden. Sie führten eins ums andere Mal zur Aufgabe der Projekte. Eine Aufarbeitung der strategischen und inhaltlichen Fehler fand nie statt, zumindest nicht öffentlich. Dieses fehleranfällige System muss verändert werden. Die Verantwortungen müssen überprüft und anders geregelt werden.
Die restliche Schweiz ist froh, wenn der Atommüll nicht bei ihr im Garten begraben wird. Wie beurteilen Sie diese Haltung?
Es ist das altbekannte Phänomen des NIMBY – nicht in meinem eigenen Hintergarten («Not In My Backyard»). Natürlich ist das eine egoistische Haltung. Man muss aber gleichzeitig Verständnis für diese Haltung aufbringen: Es wurden derart viele Atommüll- und Deponieprojekte an die Wand gefahren, derart viele Versprechungen von Behörden und Planern nicht eingehalten, dass diese Skepsis berechtigt ist. Die Liste ist lang: Felsenau, Val Canaria, Ollon, Piz Pian Gran, Wellenberg etc. in der Schweiz und viele mehr im Ausland. Bei den Sondermülldeponien: Bonfol, Kölliken, Gamsenried, Feldreben usw. Da muss man sich nicht wundern, dass das Vertrauen verspielt wurde und die Leute misstrauisch sind. Darum muss man Kompetenz bei Planern und Überwachungsbehörden einfordern, und eine scharfe Kontrolle. In beiden Bereichen gibt es sehr viel Luft nach oben.
Was würden Sie der direkt betroffenen Bevölkerung raten?
Ich kann den betroffenen Menschen nur empfehlen, eine Überprüfung des Auswahl-Prozesses einzufordern, und zwar von einer Kommission von unabhängigen, kompetenten und als integer bekannten Personen, die nicht von einem direkt involvierten Handlungsträger beauftragt würden. Eine Art Bergier-Kommission, wie für die Aufarbeitung der nachrichtenlosen Vermögen, vom Bundesrat bestellt. Nicht von den Ämtern selber, die in diese Prozesse eingebunden sind. Diese Kommission sollte den gesamten Standortauswahl-Prozess beleuchten und die Schwachstellen und Fehler im Prozess analysieren. Eine Art der nachgelagerten Fehlerkultur.
Der angekündigte watson-Beitrag mit den wichtigsten Fragen rund um das geplante Tiefenlager, zu Sicherheitsaspekten und der Eignung des geologischen Untergrundes, folgt zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der Nagra-Entscheid offiziell ist.
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Doch wohin mit dem strahlenden Abfall? Dafür haben sie keine Lösung parat.
Jedenfalls mag niemand dieses Zeug auch nur in seiner Nähe haben. Zudem ist es eine Last für viele Generationen und bislang hat man kein dauerhaft sicheres Endlager gefunden.
Sieht man sich die Lagerstätte "Asse" in Deutschland an, dann versteht man das Problem. Hier wurden Fässer nicht gestapelt, sondern einfach abgekippt und mit anderem Abfall der Chemie vermischt 💣☢️