Marco Benz informiert ruhig und sachlich. Auch bei kritischen Fragen. Und kritische Fragen haben die Zuhörerinnen und Zuhörer. «Was passiert denn bei Grundrechtsverletzungen?», wollen sie vom Schweizer Verwaltungsrat in der EU-Grenzschutzagentur Frontex wissen.
Benz hält zurzeit diverse Inputreferate im Zusammenhang mit der Abstimmung vom 15. Mai über den Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex. So auch vor der Podiumsdiskussion, welche Europäische Bewegung Schweiz (früher Nebs) und die paneuropäische Partei Volt im Raiffeisen Forum in Bern organisieren.
Nüchtern hält Benz fest, im Grundsatz sei das Recht des Einsatzstaates massgebend. Allerdings könne auch der Entsendestaat Massnahmen ergreifen. Benz veranschaulicht das an einem Beispiel aus dem eigenen Land: Eine Person aus der Schweiz, die für Frontex tätig war, verhielt sich nicht korrekt. Deshalb habe die Schweiz als Entsendestaat disziplinarische Massnahmen ergriffen, sagt Benz.
Menschenrechtsverletzungen und Pushbacks – illegales Zurückdrängen von Migraten an der EU-Aussengrenze – sind der heikle Punkt bei der Abstimmung. Die EU-Antibetrugsbehörde Olaf hat dazu einen 200-seitigen Untersuchungsbericht abgeliefert, der laut «Spiegel» drei Frontex-Führungskräfte beschuldigt, gegen EU-Gesetze verstossen zu haben. Der Bericht ist geheim (siehe Box).
Die Schweiz stellt zwei Frontex-Verwaltungsräte: Marco Benz, stellvertretender Direktor des Bundesamts für Zoll- und Grenzsicherheit (BAZG), und Medea Meier, Chefin Sektion Schengen, Frontex und Internationale Sicherheitszusammenarbeit des BAZG.
Da stellt sich die Frage: Wie gehen sie um mit ihrer Verantwortung in Sachen Grundrechten? Tut die Schweiz genug, um Verletzungen zu verhindern? «Die Schweizer Vertretung im Verwaltungsrat von Frontex geht allfälligen Pushback-Vorwürfen gründlich, zeitnah und transparent nach», sagt ein Sprecher des BAZG. Er betont, die Schweiz engagiere sich auf verschiedensten Ebenen.
Das zeigt Benz an der Veranstaltung auf. Die Schweiz habe sich stark eingesetzt beim Grundrechtsschutz, sagt er. So arbeiteten zwei Personen in einer Arbeitsgruppe des Frontex-Verwaltungsrats mit, welche die Vorwürfe zu Pushbacks aufarbeitete: Verwaltungsrätin Medea Meier und Fabian Hunold, Chef Justiz und Inneres des Aussendepartements (EDA). «Diese Arbeit mündete in diversen Empfehlungen», sagt Benz. So werde etwa sichergestellt, dass ernsthafte Vorfälle auch Konsequenzen hätten.
Der «Spiegel» beurteilte die Untersuchungen der internen Arbeitsgruppe kritisch. Sie habe keine Beweise für Pushbacks finden können. Das Magazin bemängelte, die Sitzungsprotokolle der Gruppe liessen erahnen, dass sie «nicht an einer kritischen Aufarbeitung interessiert» gewesen sei.
Ist diese Einschätzung korrekt? Das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit sagt, es könne keine Auskunft geben dazu - «aufgrund des laufenden Verfahrens».
Die Schweiz stellt Frontex seit 2021 aber auch eigenes Grundrechts-Know-how zur Verfügung. Zwei Expertinnen sind im Einsatz in der Warschauer Frontex-Zentrale. «Das ist unser Beitrag an den Aufbau der Agentur, vor allem im Grundrechtsschutz», sagt Benz. Es ist das EDA, das die beiden Expertinnen zur Verfügung gestellt hat. Zudem habe die Schweiz an der Ausgestaltung einer Verordnung zu den Grundrechten mitarbeiten können, betont Benz.
Die Schweiz macht auch strenge Vorgaben, was die eigenen Frontex-Mitarbeiter betrifft. Wer für Frontex arbeiten will, muss ein Assessment durchlaufen und geht Verhaltens-Spielregeln ein. «Wir legen Wert darauf, geeignete Leute zu haben», sagt Benz.
Die Mitarbeitenden sind dazu verpflichtet, Verletzungen von Grundrechten zu melden. Und zwar nicht nur der Agentur Frontex, sondern auch der Schweiz. «Diese Auflage haben wir bei den Mitarbeitenden gemacht», sagt Benz.
Sechs Vollzeitstellen hat die Schweiz zurzeit bei Frontex. 2022 werden 54 Mitarbeiter diese sechs 100-Prozent-Jobs erfüllen. Sie stammen aus einem Pool von 86 Mitarbeitenden des BAZG, die für Frontex-Einsätze vorbereitet sind. 2021 leisteten sie 2366 Einsatztage in Griechenland, Italien, Bulgarien und in der Slowakei.
Nicht im Einsatz sind sie bei der Küstenwache und der Luftüberwachung. «Diese Erfahrung haben wir nicht», sagt Benz. Dafür prüfen sie Dokumente auf ihre Echtheit, befragen Migranten an der Grenze, machen Risikobeurteilungen, sind Hundeführer, finden als Spezialisten gestohlene Fahrzeuge und unterstützen in der Logistik.
Die Schweiz ist auch in diversen Arbeitsgruppen und vorbereitenden Gremien für die Verwaltungsratssitzungen vertreten. «Wir können dort mitgestalten», sagt Benz. «Unser Know-how ist gefragt.»
Gefragt war es zum Beispiel bei der Wahl des neuen Frontex-Grundrechtbeauftragten Jonas Grimheden. Die Schweiz war im Komitee, das seine Wahl vorbereitete. «Ich kenne ihn», sagte Benz. «Er nimmt sein Mandat ernst und ich halte ihn für unabhängig. Das ist wichtig.»
Schon in der zweiten Hälfte 2022 soll der Frontex-Grundrechtbeauftragte 40 Grundrechtsbeobachter zur Seite haben. Denkbar ist, dass sogar weitere dazukommen. «Der Grundrechtschutz ist ein wichtiger Bestandteil der Weiterentwicklung von Frontex», sagt Benz. «Frontex nimmt den Schutz der Grundrechte sehr ernst.»
Ein Beispiel dafür ist für ihn das unabhängige Konsultationsforum, das Frontex in Sachen Grundrechten berät. Es besteht aus europäischen Institutionen und zivilen Organisationen. Es habe bei Frontex Zugang zu allen Grundrechts-Informationen, die es benötige, sagt Benz. Das Forum erstatte auch dem Verwaltungsrat Bericht.
Und wie berichten die beiden Frontex-Verwaltungsräte in der Schweiz Bericht über ihre Tätigkeit? «Die Information erfolgt bedarfsgerecht und innerhalb der verwaltungsinternen Prozesse», sagt der Sprecher des BAZG. Das Parlament werde im Rahmen des jährlichen Berichts zuhanden der Geschäftsprüfungskommission über den Stand der Umsetzung von Schengen/Dublin informiert. Und mit dem Bericht des Bundesrates über die Aktivitäten der Migrationsaussenpolitik.
An der Podiumsdiskussion am Raiffeisenforum in Bern folgt zum Schluss noch eine kritische Nachfrage. Was tut der nationale Grenzschutz bei einer Grundrechtsverletzung?
Hier spiele der Grundrechtsbeauftragte eine wichtige Rolle, sagt Benz. Das könne so weit gehen wie im Fall Ungarn. Frontex gab Anfang 2021 bekannt, dass es die operativen Aktivitäten in Ungarn aussetzt. Das hatte mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu tun. Er warf Budapest vor, den Migrantinnen und Migranten den Zugang zum Verfahren für die Gewährung von internationalem Schutz zu verwehren.
Dann verlässt Marco Benz das Raiffeisen Forum. Mit einer Stofftasche und Berner Mandeln als Geschenk der Organisatoren in den Händen. So still, wie er gekommen ist. (bzbasel.ch)
Vielleicht sollte man die Idee den Asylantrag an einem Ort zu bearbeitet bei dem nach Ablehnung eines Antrages die Unmöglichkeit der Rückschaffung nicht ins Gewicht fällt doch wieder aufgreifen.