Schweiz
Genf

Geheimdienst überwachte die grösste Moschee der Schweiz in Genf

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Der NDB nahm eine Genfer Moschee ins Visier. (Symbolbild)Bild: www.imago-images.de

Geheimdienst überwachte die grösste Moschee der Schweiz – was dabei herauskam

Das Bundesverwaltungsgericht hat erstmals eine Beschwerde gegen eine Datenbeschaffung beurteilt. Im Fokus stand der Sicherheitschef eines berüchtigten Gotteshauses.
24.04.2025, 16:5924.04.2025, 20:29
Andreas Maurer / ch media
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Die Grosse Moschee von Genf gilt als Keimzelle des Terrorismus. Hier soll sich Daniel D. radikalisiert haben. Vor zehn Jahren schloss sich der damals 20-Jährige der Terrororganisation IS an. Er stieg rasch auf und galt zeitweise als gefährlichster Dschihadist aus der Schweiz. Er reiste zusammen mit einem Freund aus, der ebenfalls in der Moschee verkehrte. Dieser wurde im Konfliktgebiet getötet. Daniel D. sitzt heute unter prekären Bedingungen in einem Gefängnis in Syrien und wartet bisher vergeblich auf Unterstützung durch das Schweizer Aussendepartement.

Nach der Ausreise der beiden Terror-Unterstützer im Jahr 2015 beobachtete der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) die Schlüsselpersonen der Moschee. Mit einer Kapazität von 1500 Gläubigen ist es die grösste der Schweiz. Saudi-Arabien finanzierte den Bau.

Dschihadist Daniel D. bei einem Interview in einem syrischen Gefängnis.
Dschihadist Daniel D. bei einem Interview in einem syrischen Gefängnis.bild: SRF

Verdächtig erschien der Sicherheitschef der Moschee, der 2016 eingestellt wurde: ein Franzose mit einer Grenzgängerbewilligung. Das französische Innenministerium führte ihn auf einer Liste mit Personen, welche die Staatssicherheit gefährden würden. Dieser Mann kontrollierte, wer in der Moschee ein und aus ging. Dazu gehörte auch der Zutritt zum Untergeschoss, wo sich Fundamentalisten im kleinen Kreis trafen.

Doch die Schweizer Behörden waren machtlos. Da sie keinen Anhaltspunkt für eine Straftat fanden, konnte die Polizei nichts tun. Von der Moschee schien zwar eine Gefahr für die Sicherheit der Schweiz auszugehen, doch diese war zu vage, um Massnahmen zu rechtfertigen.

Genau für Fälle wie diesen nahm die Schweizer Stimmbevölkerung 2016 das neue Nachrichtendienstgesetz an. Der Abstimmungskampf verlief kontrovers. Die Gegner warnten vor einem Überwachungsstaat. 65 Prozent vertrauten dem NDB allerdings und stimmten dafür.

Der Fall in Genf zeigt nun erstmals im Detail auf, wie das neue Gesetz funktioniert, wie sich Betroffene wehren können und wie eine solche Geheimdienstoperation abläuft.

Der Präzedenzfall für das neue Nachrichtendienstgesetz

Am 1. September 2017 trat das neue Gesetz in Kraft. Vier Tage später beantragte der NDB eine rückwirkende Überwachung des Sicherheitschefs der Genfer Moschee. Es ging um fünf Telefonnummern, die er benutzt haben soll. Die Provider sollten mitteilen, mit wem er wann und wo kommunizierte. Die Kommunikation wurde aber nicht abgehört.

Eine Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichts hiess die Massnahme gut. Sie beurteilt die Fälle in einem abhörsicheren Raum, den sie aus Sicherheitsgründen sogar selber putzt. Ihre Entscheide sind geheim und werden deshalb nicht veröffentlicht. Sie hört die Überwachten nicht an, um die Operation nicht zu gefährden. Danach bewilligte auch der damalige Verteidigungsminister Guy Parmelin die Überwachung.

So kam der NDB zum gewünschten Datenhaufen. Doch die Ermittler fanden auch darin nicht die berühmte Nadel. Offenbar kommunizierte der Sicherheitschef in dieser Zeit nicht mit einschlägig bekannten Terror-Unterstützern. Die Überwachung ergab kein belastendes Material.

Christian Dussey, Direktor NDB, spricht an einer Medienkonferenz, am Mittwoch, 26. Februar 2025, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Der Sicherheitschef des NDB, Christian Dussey.Bild: keystone

Dennoch hatte der Sicherheitschef gar keine Freude daran. Der NDB teilte ihm die Überwachung im Nachhinein in einem knappen Schreiben mit und gewährte ihm so die Möglichkeit, sich zu beschweren. Das tat er. Es ist die erste Beschwerde gegen eine Datenbeschaffung des NDB, die ein Gericht beurteilt. Es handelt sich dabei erneut um das Bundesverwaltungsgericht, aber um eine andere Abteilung.

Im Gegensatz zum ersten Entscheid muss das Gericht das Urteil gegen die Beschwerde publizieren. Dieses liegt jetzt vor. Der Prozess dauerte jahrelang, weil der NDB dem Sicherheitschef anfangs zu wenig Dokumente vorlegte und nachliefern musste. Die heiklen Unterlagen schickte der NDB dem Gericht in zwei Versionen: eine ungeschwärzte für das Gericht und eine geschwärzte für den Überwachten. So schützt der NDB seine Quellen.

Der Sicherheitschef arbeitete sogar für den NDB

Das Gericht hiess dieses Vorgehen und auch die Überwachung gut. Der NDB habe belegen können, dass ein Verdacht für eine Gefährdung vorlag. Die gewählte Überwachung hält das Gericht für verhältnismässig. Im Urteil schreibt es: «Der Umstand, dass diese Massnahmen letztlich die Widerlegung der Bedrohung ermöglichen, reicht nicht aus, um sie zunächst als ungerechtfertigt anzusehen.»

Aus der Beschwerde des Sicherheitschefs geht hervor, dass dieser zeitweise sogar für den NDB arbeitete. Er habe die Agenten über «Personen albanischer Herkunft informiert, die sich vor und nach den Gebetszeiten in der Moschee versammeln wollten». Auch zur örtlichen Polizeistation habe er «gute Kontakte» gepflegt. Heute ist der Mann nicht mehr für die Moschee tätig.

Doch was bringt das langwierige Rechtsverfahren über solche Massnahmen überhaupt? Salome Zimmermann war die erste Geheimdienstrichterin der Schweiz. Sie hatte einst auch die Genfer Überwachung gutgeheissen. In einem Interview mit dieser Zeitung sagte sie: «Für den Nachrichtendienst ist es sehr aufwendig, alle Massnahmen für das Gericht schriftlich zu dokumentieren. Allein die Tatsache, dass es diesen Prozess gibt, trägt zur Qualitätssicherung bei.» (aargauerzeitung.ch)

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95 Kommentare
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Felix Tschapajew
24.04.2025 17:12registriert November 2020
Also vor allem ein Satz fällt mir hier auf:

"Aus der Beschwerde des Sicherheitschefs geht hervor, dass dieser zeitweise sogar für den NDB arbeitete."

Der NDB beschäftigt einen von Frankreich als gefährder beobachteten Fundi um an Infos über andere Fundis zu kommen.
Dann beobachtet besagtes NDB den eigenen Spitzel, findet aber genau nichts.

Das illustriert für mich die Inkompetenz des NDB wegen der ich damals beim Nachrichtendienstgesetz nein gestimmt habe: Wir gaben einer Institution, damals vor alle das Recht mehr Heu auf den Haufen zu werfen um auch ja die Nadel finden zu können...
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Flexon
24.04.2025 18:04registriert Februar 2014
Mir wäre lieber, man würde die Russen in Genf und Bern mit gleicher Akribie überprüfen. Inklusive juristischem Schweizer Anhang.
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bitzliz'alt
24.04.2025 17:42registriert Dezember 2020
Als stolzer Besitzer einer "Fiche" kann ich bestätigen, dass es "den geheimen Diensten" der Schweiz an 2 Dingen fehlt: 1) Talent und 2) Geld.
Dies hat sich nach meiner Meinung in den letzten 60 Jahren nicht geändert. Was hinter den Kulissen aber gut genutzt wird, ist ein "Basar", also Handel & Austausch von Infos "aller Art". Eher zufällig kann ich die Schweiz einer sehr engen Zusammenarbeit mit Frankreich verdächtigen ... (Details auf Anfrage...)
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