Der Wolf, der Wilderer. Während der naturbegeisterte Städter ihn zur Öko-Ikone stilisiert, träumt der Jäger von einem ausgestopften Exemplar in der Stube. So weit das Klischee. Sicher ist aber: Kaum ein Tier ist in der Schweiz so umstritten wie der Wolf, im Parlament jagt seit Jahren ein Geschäft das nächste.
Das zeigt ein Blick in die Curia-Vista-Datenbank: «Wolf. Fertig lustig!», «Soll der Wolf wieder ausgerottet werden?», «Den Wolf richtig schützen.», «Den Wolf als jagdbare Tierart einstufen.», «Hat es für den Wolf im Schweizer Mittelland Platz?». Die jüngste Petition stammt vom Verein Wildtierschutz Schweiz, eingereicht am 11. Januar 2017: Mit «Schluss mit der Ausrottungspolitik gegen den Wolf.»
Ralph Manz arbeitet bei der Fachstelle KORA für Raubtierökologie und Wildtiermanagement. Er beobachtet die Tiere, sammelt Daten und tauscht sich mit den Kantonen aus. Im Schnitt fallen dem Wolf jährlich 200 bis 250 Nutztiere zum Opfer. Vergangenes Jahr verzeichnete KORA 389 Übergriffe. Allein 80 davon (77 Schafe, 2 Ziegen und 1 Rind) hatte der Urner Wolf zu verantworten. Seine Wilderei bedeutete seinen Tod: Er hatte die notwendige Schadensschwelle gemäss Jagdgesetzgebung und Wolfs-Konzept erreicht. Am 14. Juli verfügte die Sicherheitsdirektion den Abschuss, am 28. Juli erlegten Jäger das Tier.
Absolut gesehen sind 389 eine hohe Zahl. Relativ zeigt sich aber ein anderes Bild: Wie der Bundesrat im August 2016 mitteilte, sterben weit mehr Tiere durch Absturz, Krankheit oder Blitzschlag: Pro Jahr seien es während der Sömmerung 4000 bis 6000 Schafe. Sie erfrieren, verhungern, stürzen ab oder erkranken. Trotzdem fordern die kantonalen Bauernverbände vehementer die Regulierung der Wolfspopulation als den Ausbau des Herdenschutzes.
Der Verlust eines Herdentieres wiegt schwer, sowohl emotional als auch finanziell. «Die Angriffe geschehen punktuell», sagt Felix Hahn von der landwirtschaftlichen Beratungsstelle Agridea. «Hat ein Bauer mal einen Wolf in der Herde, kann er ein Dutzend Schafe verlieren.» Herdenschutz auf der anderen Seite bedeute ein grosser Aufwand. Genau dieser ist das Geschäft von Agridea: Die Organisation berät Bauern unter anderem darin, wie sie ihre Tiere vor Raubtieren sichern können. Wo nicht mit elektrischen Zäunen gearbeitet werden kann, werden Herdenschutzhunde empfohlen. Für beides gibt es Beiträge vom Bund.
Wie der Wolf kann auch der Herdenschutz auf eine erst junge Geschichte in der Schweiz zurückblicken. Der Schweizer Tierschutz (STS) hat das Problem alleingelassener Tiere bereits vor längerer Zeit erkannt und in einer Petition gefordert, die rund 340'000 Schafe besser zu schützen und die Tiere während des Alpauf- und -abzugs stichprobenweise auf ihre Gesundheit zu kontrollieren.
Der Bund lehnte eine Überwachung der Bauern ab, passte aber die Subventionen an: Für Wolfsrisse in ungeschützten Herden fielen die Entschädigungen weg. Stärker unterstützt und entschädigt wurden Bauern, die ihre Herde schützen.
Doch das Parlament liess sich mit dem stärkeren Herdenschutz nicht besänftigen. Zwar wurde die Motion Imoberdorf, den Wolf als jagdbare Tierart einzustufen, abgelehnt, doch für eine Lockerung des Wolfsschutzes hat sich das Parlament im Rahmen mehrerer Vorstösse bereits ausgesprochen, die Jagdgesetzrevision ist auf Kurs.
Mit der Teilrevision würde der Entscheid, ob geschützte Tiere erlegt werden dürfen, bei den Kantonen liegen. Ein konkreter Schaden müsste nicht mehr nachgewiesen werden – ein Umstand, den Umweltverbände stark kritisieren, der der SVP und dem Bauernverband aber noch zu wenig weit geht. «Die Politik wird massgeblich mitbestimmen, ob sich der Wolf weiter ausbreitet, oder nicht», resümiert Manz von KORA.