Entscheidet ein Kanton, einer Ausländerin die Aufenthaltsbewilligung zu erteilen, muss das nicht heissen, dass sie tatsächlich bleiben darf. Der Bund, namentlich das Staatssekretariat für Migration (SEM), hat in solchen Fragen nämlich ein Vetorecht. So sieht es das Gesetz vor.
Diese Kompetenz zur Einmischung ist rechtlich allerdings problematisch. Die heutige Regelung sei «teilweise verfassungswidrig», hält das oberste Gericht in einem am Freitag veröffentlichten Urteil fest.
Auslöser war ein Entscheid des Zürcher Migrationsamts. Es verweigerte einem straffällig gewordenen Iraker 2018 die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Der Mann legte Beschwerde beim Zürcher Verwaltungsgericht ein – mit Erfolg: Die Richter wiesen die Migrationsbehörde an, die Aufenthaltsbewilligung zu verlängern.
Dann aber griff der Bund ein. Das SEM weigerte sich, grünes Licht für die Bewilligungsverlängerung zu geben und wies den Mann aus der Schweiz weg. Ein Beschluss, der vom Bundesverwaltungsgericht gestützt wurde – und nun zur finalen Beurteilung ans Bundesgericht kam, der letzten Instanz.
Knackpunkt ist aus Sicht der obersten Richterinnen und Richter, dass das SEM sich in dem Fall über den Entscheid eines Gerichts hinweggesetzt hat. Damit verstosse die Behörde gegen das Prinzip der Gewaltenteilung und verletze das Gebot der richterlichen Unabhängigkeit.
Das heisst allerdings nicht, dass dem SEM komplett die Hände gebunden wären. Wie das Bundesgericht ausführt, hat das SEM das Recht, den Entscheid eines kantonalen Gerichts über die Erteilung einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung vor Bundesgericht anzufechten.
Dass die heutige Regelung teilweise verfassungswidrig ist, bedeutet zudem nicht, dass das SEM seine Praxis nun umgehend ändern muss. Das Bundesgericht fordert den Gesetzgeber aber auf, «die festgestellte verfassungsrechtliche Problematik zu entschärfen». Das heisst: Das Gesetz sollte angepasst werden. Ob und wie Bundesrat und Parlament auf diese Aufforderung reagieren, wird sich zeigen.
Für den straffällig gewordenen Iraker ändert sich derweil nichts. Er muss die Schweiz verlassen, das hat auch das höchste Gericht bestätigt. (aargauerzeitung.ch)