Hoch oben über dem Zürichsee hat sich Dunja Gussewa* in einem unscheinbaren Bürogebäude eingerichtet. An den Briefkästen am Hauseingang deutet nichts auf ihre Firma hin. Aber in einem oberen Stockwerk hängt neben einer Tür ein Schild, auf dem die Nanotech Swiss AG* vermerkt ist.
Die Tür nebenan ist nur angelehnt. Ich klopfe und betrete einen grossen Raum mit einer Küche und einer Sitzgelegenheit. Daneben befinden sich ein Konferenzraum und weitere Bürotüren. Ich klopfe erneut.
Zwei freundliche Damen, beide Vertreterinnen unterschiedlicher Firmen, geben Auskunft, wissen aber nichts von Dunja Gussewa oder Nanotech Swiss. Sie verweisen auf die Hausverwaltung, die im selben Gebäude einquartiert ist.
Dort heisst es, dass die Gesellschaft tatsächlich eingemietet sei, nur sei Frau Gussewa gerade abwesend. Ob sie mich zurückrufen dürfe?
Warum sind die Nanotech Swiss und ihre russischstämmige Verwaltungsrätin interessant? Weil sich die Firma laut Unternehmenszweck für Technologiebereiche interessiert, die sowohl zivil als auch militärisch von grossem Nutzen sind: Die Gesellschaft bezweckt unter anderem die «Entwicklung und Finanzierung» passiver optischer Netze. Mit diesen werden grosse Datenmengen durch Glasfaserkabel gejagt. Die Technologie kann auch für die sichere Kommunikation zwischen Truppeneinheiten oder die Übertragung von Steuer- und Videosignalen von Kampfdrohnen verwendet werden. Bei sogenannten Glasfaserdrohnen haben die Russen im Ukraine-Krieg die Nase vorn.
Weiter bezweckt Nanotech Swiss die Entwicklung und Finanzierung von Projekten in der Dünnschicht-Technologie. Auch hier gibt es unzählige zivile und militärische Anwendungen: So benötigen Optiken von Satelliten, Drohnen oder Zielsystemen mit Dünnschichten vergütete Linsen.
Die Firma interessiert sich also für Hightech-Bereiche, die für Russland kriegswichtig sind. Natürlich ist denkbar, dass es sich um eine harmlose Briefkastenfirma handelt, die entweder gar nichts tut oder sich ausschliesslich um zivile Anwendungen kümmert.
In jedem Fall hat die 49-jährige Gussewa von Hightech keine Ahnung, und das ist doch ungewöhnlich: In der Klatschspalte einer Zürcher Zeitung wurde sie einst als Modedesignerin vorgestellt. Daneben arbeitete sie bei verschiedenen Zürcher Banken als Ansprechpartnerin für wohlhabende russische Kunden. Später gründete sie ihr eigenes Beratungsunternehmen für Investitionen und Immobilien, beide an derselben Adresse registriert wie die Nanotech Swiss.
Dass eine Mode- und Finanzfachfrau ohne jeden Bezug zu Technik eine solche Firma führt, lässt jedenfalls aufhorchen.
Aufhorchen lässt auch der Zeitpunkt sowie die Art und Weise, wie die Firma gegründet wurde: Kurz nach Moskaus Überfall auf die Ukraine verhängte die Schweiz Wirtschaftssanktionen gegen die Russische Föderation. Das streute Sand ins Getriebe all jener, die sich zuvor mit der Platzierung russischer Vermögen in der Schweiz eine goldene Nase verdient hatten.
Doch das Embargo war und ist löchrig wie ein Emmentaler. So wurde der Verkauf von Schweizer Aktien an russische Staatsbürger verboten, sofern die Wertpapiere nach dem 12. April 2022 emittiert wurden. Das Gros der schweizerischen Aktien wird aber schon sehr viel länger gehandelt.
Auch dürfen Schweizer Banken keine Einlagen von russischen Staatsbürgern entgegennehmen, die einen Wert von 100’000 Franken übersteigen. Was für ein Glück für Gussewa, dass für die Gründung der Nanotech Swiss AG nur genau 100’000 Franken nötig waren. Der Betrag wurde keine vier Monate nach der russischen Invasion bei einer Bank in Lugano eingezahlt, in bar. Es dauerte dann noch mehr als ein Jahr, bis die Gesellschaft ins Handelsregister eingetragen wurde – mit Gussewa als einziger Verwaltungsrätin.
Wer steckt hinter der ganzen Aktion? Recherchen belegen schwarz auf weiss, dass es sich beim Gründer der Nanotech Swiss in Wahrheit um den russischen Staatsbürger und Unternehmer Andrei G.* handelt. Laut seinem 2016 in St. Petersburg ausgestellten Reisepass ist er 1971 geboren.
G. zeichnete die Aktien der Firma, folglich dürften die 100’000 in Lugano einbezahlten Franken ihm gehört haben. Obwohl so verschleiert wird, dass ein russischer Staatsbürger die Aktien übernahm, verstösst das nicht gegen die schweizerischen Russland-Sanktionen, wie das zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) auf Anfrage mitteilt.
Nur wenige Minuten nach meinem Besuch bei Nanotech Swiss meldet sich Verwaltungsrätin Gussewa per Telefon. Ich frage sie, wer Andrei G. ist. Sie antwortet: «Ich kenne niemanden, der so heisst.» Auf den Vorhalt, dass es Dokumente gibt, welche die Rolle von G. bei «ihrer» Firma, der Nanotech Swiss, belegen, erwidert sie, die Firma sei gar nicht aktiv, sie könne sie genauso gut wieder aus dem Handelsregister löschen.
Doch warum soll man ihr glauben, wenn sie schon bei der ersten Frage gelogen hat? Und tatsächlich: Auch Monate nach diesem Telefongespräch ist die Nanotech Swiss immer noch ungelöscht. Mitte Juni wurde allerdings der Unternehmenszweck angepasst: Neu bezweckt die Gesellschaft Entwicklung und Finanzierung von Projekten, Unternehmen und Start-ups, Erbringen von Dienstleistungen, Beratung und Schulung in den Bereichen IT, künstlicher Intelligenz, Unternehmensführung und Marketing.
Nächste Frage: «Herr G. ist auch beim russischen Unternehmen Strategic Nanotechnology – kurz: Stratnanotech (SNT) – tätig, das im weissrussischen Minsk eine Fabrik für Dünnschicht-Maschinen betreibt. Wussten Sie das?» Gussewa spielt die Ahnungslose und lässt sich den Namen der russischen Firma wiederholen, als ob sie ihn noch nie gehört hätte. Interessanterweise verschwindet kurz nach dem Telefonat das einzige Bild auf der SNT-Website, das G. klar und deutlich zeigte – inmitten der Angestellten des Betriebs. Laut Informationen aus Russland hielt seine Tochter zumindest bis im letzten Jahr 20 Prozent der SNT-Aktien.
Stratnanotech produziert Maschinen für das Auftragen von hauchdünnen Schichten – unter anderem auf Optiken. Verkauft werden die Apparate laut Firmen-Website auch an Staatsunternehmen und russische Forschungseinrichtungen. In einer Dünnschichtmaschine verwendet SNT auch Messgeräte der Firma Inficon aus Bad Ragaz. Diese Firma liess einen gemailten Fragenkatalog unbeantwortet. Ausserdem hat SNT nach eigenen Angaben Vakuumschmelzöfen für Metalllegierungen auf den Markt gebracht, die in der Flugzeugproduktion Verwendung finden.
Dazu muss man wissen: Die russische Flugzeugindustrie wird inzwischen von der United Aircraft Corporation (UAC) dominiert. Darin sind auch bekannte Hersteller von Kampfflugzeugen wie Suchoi, Tupolew oder Mikojan aufgegangen. UAC produziert auch Verkehrsflugzeuge. Ob die Vakuumöfen von Stratnanotech für zivile oder militärische Zwecke eingesetzt werden, ist nicht bekannt.
Unternehmer G. ist nicht nur in der Dünnschicht-Technologie tätig, sondern auch in der russischen Telekommunikationsbranche. Daher kommt wohl das Interesse an den passiven optischen Netzen, mit denen sich seine Schweizer Briefkastenfirma beschäftigt. Laut der Datenbank World-Check hat G. dem russischen Staat und staatlichen Unternehmen Güter und Dienstleistungen in Millionenhöhe verkauft.
Dunja Gussewa wurde 1976 in Moskau geboren, besitzt heute aber die Schweizer Staatsbürgerschaft. Laut ihrem Linkedin-Profil hat sie in Russland ein Wirtschaftsstudium absolviert. Bevor sie in die Schweiz kam, besass sie eine kleine Eigentumswohnung in der Moskauer General-Tjulenew-Strasse. In derselben Strasse, keine 400 Meter in Luftlinie entfernt, befand sich eine Aussenstelle des russischen Auslandsgeheimdiensts SWR.
Das kann natürlich ein weiterer Zufall sein. Für eine Agentin wirkt Gussewa tatsächlich etwas unbedarft. So stellt sie sich in den sozialen Medien auf Hunderten von Fotos zur Schau – in fast allen möglichen Posen. Allerdings hatte auch die bekannte russische Spionin Maria Butina, die 2019 in den USA verurteilt und später nach Russland abgeschoben wurde, unzählige Bilder von sich in den sozialen Medien verbreitet.
Gussewa scheint gut vernetzt zu sein unter den Russischstämmigen in der Schweiz, die sich manchmal in einem einschlägig bekannten Zürcher Hotel treffen. Die Unternehmerin liebt es, sich mit Models oder Prominenten wie dem Fürst von und zu Liechtenstein in Szene zu setzen; sie posierte aber auch schon mit einer in Zürich lebenden russischstämmigen Journalistin, die für eine berüchtigte Propagandaschleuder des Kremls arbeitete.
Auf einem der Fotos, das Gussewa auf Instagram veröffentlichte, ist sie mit ihrem Ehemann Bogdan Gussew* zu sehen – Champagnergläser in der Hand, der Luganersee im Hintergrund. In der Bildbeschreibung nennt Gussewa ihn «James Bond» und «Agent 007».
Bogdan Gussew wurde ebenfalls in Moskau geboren und ist heute russisch-schweizerischer Doppelbürger. Er arbeitet seit langem als Informatik-Fachmann, laut seinem Linkedin-Profil auch fast drei Jahre beim staatlichen Schweizer Rüstungskonzern Ruag.
Heute ist Bogdan Gussew bei einem grossen Schweizer Telekomkonzern tätig, und zwar im Bereich Cybersicherheit. In Anbetracht der Kontakte seiner Ehefrau nach Russland wäre es angebracht, den russisch-schweizerischen Doppelbürger einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Ist das passiert?
Auf Anfrage schreibt der Telekom-Anbieter etwas kryptisch: Das Unternehmen führe Sicherheitsprüfungen bei den Mitarbeitenden und beauftragten Dritten auf Basis von regulatorischen Vorgaben und vertraglichen Vereinbarungen durch. Die Anforderungen würden sich generell nach dem Schutzbedarf der Daten und gegebenenfalls weitergehenden Kundenanforderungen richten. Auf die Frage, ob der Konzern russische Staatsbürger gesondert unter die Lupe nimmt, gab die Pressestelle keine Antwort.
Vielleicht handelt es sich beim Ehepaar Gussew um rechtschaffene, hart arbeitende Bürger. Ende 2023 kauften sich die beiden ein frei stehendes Einfamilienhaus im Wert von mehreren Millionen Franken, Grundstücksfläche mehr als 550 Quadratmeter.
Unverständlich bleibt: Warum interessiert es die Behörden nicht, ob da alles mit rechten Dingen zugeht? Das Gleiche gilt für die betroffenen Banken, die Ruag oder den erwähnten Telekom-Anbieter. Oder reichen die einschlägigen Gesetze nicht aus? Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) warnt jedenfalls explizit davor, dass die russischen Geheimdienste in der Schweiz Tarnfirmen eingerichtet hätten.
Kurz vor Publikation dieses Artikels trat Dunja Gussewa aus dem Verwaltungsrat der Briefkastenfirma zurück. Ersetzt wurde sie durch eine deutsche Staatsangehörige, die eine Beratungsfirma betreibt. Diese Gesellschaft war früher in den gleichen Büroräumlichkeiten domiziliert wie die Nanotech Swiss – hoch oben über dem Zürichsee.
* Namen geändert