Die Stimmung unter den deutschen Autobauern ist richtig mies. Was man im Nachbarland schon länger spürt, ist auch statistisch gut belegt: Im Juni sind die Geschäftserwartungen bei VW & Co. fast auf den Stand von 2008 gefallen. Das war das Jahr, in dem keiner richtig wusste, ob und wie es mit der Weltwirtschaft weitergehen würde. Im Juni war der Absturz im Stimmungsindex des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo besonders spektakulär – so steil wie im März 2021, als der Krieg in der Ukraine gerade losgebrochen war.
Ein spezieller Anlass dafür ist nicht offensichtlich. «Ich merke immer mehr, dass man nach China schauen muss, um solche Stimmungsausschläge verstehen zu können», sagt Oliver Falck, Leiter des Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien beim Ifo-Institut. «In der deutschen Automobilindustrie herrscht eine sehr hohe Unsicherheit darüber, in welchem Ausmass die eigenen Marken in der Lage sein werden, Marktanteile im chinesischen Markt für Elektrofahrzeuge zu erobern.»
Eben hat VW im norddeutschen Emden die Produktion von E-Autos gedrosselt. Die Nachfrage liege 30 Prozent unter Plan. VW will den Ausstoss von E-Fahrzeugen von 7 Prozent im laufenden auf 50 Prozent im Jahr 2030 steigern. Aber in China, dem grössten und wachstumsstärksten Markt mussten sich die Wolfsburger unlängst vom chinesischen Konkurrenten BYD als Marktführer den Rang ablaufen lassen.
Man könne nicht behaupten, dass die deutschen Autobauer den technologischen Wandel zur E-Mobilität verschlafen hätten, sagt Falck. «Aber was kann man machen, wenn die deutschen Autokäufer – im Gegensatz zu den chinesischen – partout nicht von ihren Verbrennern lassen wollen.»
Das zögerliche Kaufverhalten in Deutschland hat auch Züge eines Teufelskreises: Der Occasionshandel für E-Fahrzeuge steckt noch im embryonalen Stadium. Warum sollte ein Konsument ein teures E-Mobil kaufen, wenn er keinen Anhaltspunkt dafür hat, zu welchem Preis er dieses in ein paar Jahren wieder losschlagen könnte? So entschliessen sich viele zu warten, um sich am Ende doch noch einmal für den Verbrenner zu entscheiden. «Das Konsumentenverhalten hat die deutsche Industrie eindeutig gebremst», sagt Falck.
Die depressive Stimmung in den einst ultraselbstbewussten deutschen Automobilhochburgen Wolfsburg, Stuttgart und München lässt auch die Schweizer Zulieferer nicht unberührt. «Je nach Anwendungen sehen wir die Verunsicherung in den volatilen Kundenabfragen», sagt Karin Labhart von Feintool. Das Unternehmen in Lyss im Berner Seeland stellt unter anderem Komponenten für die Antriebsstränge traditioneller Autos her. Aber selbstredend steckt auch Feintool schon mitten im Technologiewandel.
Von schlechter Stimmung will Karin Labhart nicht reden: «In Europa, wo die Transformation rasch und konsequent vorangeht, gewinnen wir interessante neue Projekte im Bereich E-Mobilität und wir sind einer der grössten Lieferanten für Hauptantriebe von E-Autos und E-Nutzfahrzeugen.»
Inwieweit sich das von der Feintool-Sprecherin gezeichnete optimistische Bild mit jenem des restlichen Schweizer Automobilsektors deckt, weiss derzeit niemand so genau. «Die Geschäftslage der Schweizer Automobilzulieferer hat sich im ersten Quartal verbessert, aber wir erwarten im zweiten Halbjahr einen Abschwung - übrigens in der ganzen Industrie», sagt Michael Koller, Ressortleiter des Bereichs Automotive beim Industrieverband Swissmem.
Bekannt ist indessen die Relevanz dieses Zweiges für die Exportleistung der Industrie und damit für den Wohlstand des Landes. 574 Firmen mit 34'000 Beschäftigten, die in der Schweiz Bestandteile für ausländische Automobilhersteller produzieren und damit jährliche Einnahmen von 12 Milliarden Franken erzielen, hatte das Swiss Center of Automotive Research der Universität Zürich vor gut vier Jahren in einer gross angelegten Branchenstudie gezählt. «Ich rechne nicht damit, dass sich an diesen Zahlen viel geändert hat», sagt die Institutsleiterin Anja Schulze.
In diesen Tagen wurden die Fragebögen für die nächste grosse Branchenstudie versandt. «Ich gehe davon aus, dass wir viele wertvolle Informationen über die fundamentalen Weichenstellungen in der Industrie erhalten werden, sagt die Inhaberin des Lehrstuhles für Mobilität und Digitales Innovationsmanagement.
E-Mobilität ist selbstverständlich ein Kernthema in der Firmenbefragung: Lassen sich die Produkte, die man bislang für die auf den Verbrennungsmotor ausgerichtete Industrie hergestellt hat, auf Fahrzeuge mit Elektroantrieben adaptieren? Sind das Geld, das Know-how und das Personal für die nötigen Anpassungen vorhanden? Anja Schulze will den Antworten nicht vorgreifen. Der Blick ins Nachbarland lässt indessen dramatische Ergebnisse erwarten. Unter der scheinbar glatten Oberfläche bewegt sich viel in der Branche.
«Die Automobilindustrie ist extrem kompetitiv. Sie fordert von ihren Zulieferern das Äusserste ab in puncto Innovationskraft, Dynamik und Prozessorientierung», sagt Swissmem-Experte Koller. «Viele Schweizer Zulieferer haben diese Qualitäten in den vergangenen Jahren genutzt, um in andere Branchen zu diversifizieren, in denen ähnliche Anforderungen gefragt sind, wie man sie von den Autoherstellern kennt.»
Feintool liefert ein markantes Beispiel für den Diversifizierungstrend bei den Schweizer Automobilzulieferern. 2022 waren 48 Prozent der Gesamtverkäufe des Unternehmens in Höhe von 861 Millionen Franken vom Verbrennungsmotor abhängig. Ein Jahr zuvor waren es noch fast zwei Drittel gewesen. Feintool hat mit der Übernahme der deutschen Firma Kienle + Spiess nicht nur rund 30 Prozent mehr Umsatz hinzugekauft, sondern auch wichtige Industriekunden ausserhalb des Automotiv-Bereichs hinzugewonnen.
Ist die Schweizer Automobilzulieferindustrie gewappnet für die Zukunft? «Wir sind mit unserem breiten Angebot in anspruchsvollen Technologien sehr gut gewappnet für die Zukunft», sagt Karin Labhart für die Firma Feintool. Man hat nicht das Gefühl, dass sie die Lage nur schönreden will.
Ironischerweise könnte es sein, dass die zur Entwicklung klimafreundlicherer Mobilitätsformen so wichtige Innovationskraft der Industrie gerade in andere Bereiche abwandert, wo sie vielleicht einen grösseren Nutzen stiften kann. Swissmem-Experte Michael Koller formuliert seine Bedenken so: «Die grosse Stärke einer innovativen Industrie war es schon immer die beste technische Lösung für ein bestehendes gegebenes Problem zu finden. Zurzeit wird im Bereich der Mobilität die Entwicklungsrichtung aber stark von der Politik beeinflusst. Das bringt die Automobilzulieferer vermehr dazu, ihre Technologien in anderen Branchen anzubieten.»
Problematisch ist halt auch, dass erst einmal grossen/teuren Modelle elektrifiziert werden, kombiniert mit einer grossen Marge. Ev. hat die Masse auch einfach keine Lust, 80k+ für ein Auto auszugeben.
Übrigens: Warum wird die Produktion gedrosselt? Zwei meiner Kollegen haben einen Liefertermin von über 8 Monaten bekommen.